laut.de-Kritik

Tausche eine Kelle Schmalz gegen etwas mehr Frohsinn!

Review von

Es bedarf einer hohen Toleranzschwelle gegenüber Schmachtfetzen, lässt man sich mit Gyptian ein. Wer jedoch ein beharrliches Schrammen entlang der Kitschgrenze nicht scheut, entdeckt auf "I Can Feel Your Pain" neben einem Reggae-Sänger, dem die Kritik bereits nach seinem Debüt "eine Stimme wie flüssiges Gold" attestierte, eine ganze Reihe gefühl- und dabei durchaus gehaltvoller Titel.

Akustikgitarre und behutsam dosierter Backgroundgesang begleiten "Keep Your Calm", einen in all seiner Sanftheit ungemein berührenden Aufruf an die "ghetto youths", um Himmels willen die Ruhe zu bewahren. "Anything you want in life you can achive." Gyptian fühlt sich durchaus zum Lehrer und Moderator berufen.

Dieses Selbstverständnis blitzt auch in den zahlreichen Nummern, die statt des harten Alltags die Liebe in all ihren oft wenig angenehmen Ausprägungen zum Thema haben, immer wieder durch. "Try to drink my sorrows away, but it bring me nothing but more pain", heißt es beispielsweise in "Where Is My Baby?". In anderen Worten: Saufen bringt nix, schon eher der zielsichere Griff zum richtigen Kraut.

Das erfährt in "Sensi", wofür Produzent Ray Stephens selbstredend den Klassiker "Under Mi Sensi" zitiert, eine 1a groovende, blubbernde, hallende Huldigung. Während hier oder für "More Money", dessen musikalische Untermalung mit angesichts des doch recht knackigen Textes mir um Welten zu harmlos gerät, traditionelle Reggae-Felder beackert werden, tritt das Jamaikanische hinter R'n'B- und Pop-Elementen an vielen Stellen in den Hintergrund.

Akustische Gitarre, Streicherpassagen, satte Bässe und Claps bereiten der Stimme Gyptians ein angemessen weiches, entsprechend aber wenig aufregendes, an musikalischen Entwicklungen oder gar Neuerungen armes Bett. Der übliche Pianoballaden-Schick wird ebenfalls aufgefahren, so im Auftakt von "Love Against The Wall" oder "World Is Caving In". Im Duett mit Yanique Sasha legt Gyptian in "Touch" zu sachten Gitarren und klar definierten Bässen einen Pas de Deux aufs Parkett.

Sein stets ordentlich klagender Gesang scheint den Album-Titel mit jeder Zeile zu unterstreichen. Nicht gerade die rosigsten Erfahrungen klingen in dieser Stimme mit, die, gelegentlich mit leichten Effekten verbrämt, vom warmen Bariton zu nahezu kieksigen Intermezzi - und glücklicherweise auch wieder zurück - wechselt.

Nicht gar so leidend wirkt Gyptian, außer in der Ganjahymne "Sensi" lediglich im deutlich sonniger tönenden "Too Bad Mind" sowie in der optimistischen Forderung nach "More Love". Schön flüssiges Singjaying liefert zudem in "Thanks And Praise" ab. Schade, dass hier die hübsche Rhythmik unter einer Synthie-Schaumstoffmatte schier erstickt.

Ein wenig mehr an hörbar vermittelter Lebensfreude hätte ich gegen eine Kelle Schmalz gerne eingetauscht. Ansonsten hat Gyptian ja Recht: "What we need ist more love / What we don't need is more blood" - auch, wenn das Rote Kreuz diese Ansicht vermutlich nicht teilt.

Trackliste

  1. 1. Keep Your Calm
  2. 2. Nobody No Cry
  3. 3. I Can Feel Your Pain
  4. 4. Where's My Baby?
  5. 5. Love Against The Wall
  6. 6. World Is Caving In
  7. 7. Touch ft. Yanique Sasha
  8. 8. Thanks And Praise
  9. 9. Too Bad Mind
  10. 10. Sensi
  11. 11. More Money
  12. 12. More Love
  13. 13. Guide Me

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