laut.de-Kritik

Hypnotisch, brutal, emotional: zum Niederknien.

Review von

Das Fazit vorneweg: Ja, Gojira entwickeln sich hier und da weiter. Nein, besonders viel verändern sie deshalb trotzdem nicht. Aber: Noch immer klingt niemand so wie sie. Ob "Magma" nun besser oder schlechter als "L'Enfant Sauvage" ist, differiert wohl von Hörer zu Hörer. Ich selbst bin mir darüber noch nicht wirklich im Klaren. Heißt im Endeffekt: Gojira halten ihr Qualitätslevel problemlos.

Vielleicht präsentieren sich die Franzosen insgesamt doch ein wenig facettenreicher als auf dem Vorgänger. Irgendwie entzerrter gehen sie zu Werke. In drückendem Low-Tempo geleitet "The Shooting Star" in ein Album, das dem vulkanischen Namen ob seiner mal schwelenden, mal explosiven Brut gerecht wird. Hypnotisch erstreckt sich die Eröffnung auf sechs Minuten, dominiert vom Klargesang Joe Duplantiers. Harmonievocals legen sich auf den steten Fluss der Palm-Mute-Salven. Eine gewisse Epik lässt sich gegen Ende kaum leugnen.

Ihren Glanzmoment erlebt die trademarkige Palm-Mute-Leersaite im Titeltrack, einem weiteren Vertreter der Clean-Vocals und ebenfalls der eher langsamen Zunft zugehörig. Der Wechsel zwischen ruhigen, irgendwie meditativen Passagen und nichtsdestotrotz wiederkehrender Heavyness rührt die Magengrube noch wirkungsvoller durch, als es im vollen Aggressionsmodus der Fall ist.

Einen besonders schönen Kontrast dahingehend liefert "Pray". Zunächst geht es mit Flöte in den Urwald, unter der Oberfläche brodelt es aber schon gewaltig. Meshuggah-Staccatos setzen ein, alles deutet auf einen baldigen Ausbruch hin, doch Gojira nehmen sich ihre Zeit, zögern den Moment gekonnt hinaus. Kurz vor dem Zerreißen liefern sie ein erstes Häppchen dessen, was einen hinten raus noch erwartet. Mit einem "Go!" öffnet Joe schließlich alle Schleusen.

Das tun "The Cell" oder auch "Only Pain" dagegen gleich von Anfang an und entfalten pure, rohe Kraft. Ersteres drückt einem schier die Eingeweide raus. Bei "Only Pain" ist dafür in der Strophe Jean Michel Labadies Bass zuständig.

Wie eh und je tragen Gojira auf "Magma" eine ungeheure Präzision zur Schau, die jedoch nie Überhand gewinnt. Technische Finessen arbeiten die Franzosen en masse ein, tun es aber subtil und lassen nie vergessen, dass hier Menschen am Werk sind, keine Maschinen. Da können die Betonungswechsel in "Stranded" Köpfe verdrehen so viel sie wollen, im Refrain herrscht Alternative-Vibe. Beides in Kombination sorgt unweigerlich dafür, dass man sich daran erinnert.

Dazu kommt, dass es in der gesamten Metalbranche kaum einen Schrei gibt, dem so viel Emotion innewohnt wie dem des Gojira-Frontmanns. Seine Bandbreite beweist Joe Duplantier unter anderem in "Silvera", das in seinen dreieinhalb Minuten ohnehin fast alles zu enthalten scheint, was Gojira ausmacht. Growls, Cleans und dieses einzigartige Hybrid auf Vocalseite, Rhythmik zum Niederknien, Headbangen und Moshen gleichermaßen, typische Tapping-Ausflüge ... und dieser Drummer.

Mario Duplantier will sich nicht ums Verrecken nach vorne spielen. In der Regel hält er sich sogar eher im Hintergrund. Gerade deswegen prägt er die Musik entscheidend mit. Bei ihm sitzt jeder Schlag exakt da, wo er sein soll, Sperenzchen bleiben in der Regel außen vor. Er flicht aber hin und wieder durchdachte Details ein, die Songs wie "Silvera" oder "The Shooting Star" immer wieder aufblitzen lassen. "Low Lands", das zwischenzeitlich etwas Mastodon-Stimmung verströmt, definiert er über ein einleitendes Drum'n'Bass-Pattern. Seine Tightness bleibt weiterhin unangetastet, und der Rest der Band agiert ganz ähnlich: Gojira funktionieren als Kollektiv, nicht als Einzelartisten.

Sein Kit verlässt Mario in "Liberation" zugunsten indigener Percussion. Zusammen mit der Akustikgitarre seines Bruders lässt er so "Magma" in einer kurzen Improvisation ausklingen. Diese mag musikalisch vielleicht überflüssig erscheinen, fängt aber das verfolgte Konzept von Natürlichkeit hervorragend ein. Die Produktion macht mit, lässt den leisen Ausklang sehr roh stehen, ein mystisches Überbleibsel, schon halb im Nebel vergessen.

Bleiben nur noch die Lyrics, die bisher noch gar keine Erwähnung fanden. Sie geben sich gewohnt interpretationsoffen und bescheren "Silvera" den Refrain des Albums: "Time to open your eyes on this genocide / When you clear your mind you see it all / You're receiving the gold of a better life / When you change yourself you change the world."

Trackliste

  1. 1. The Shooting Star
  2. 2. Silvera
  3. 3. The Cell
  4. 4. Stranded
  5. 5. Yellow Stone
  6. 6. Magma
  7. 7. Pray
  8. 8. Only Pain
  9. 9. Low Lands
  10. 10. Liberation

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15 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    muss meine vernichtende kritik bisher zurücknehmen (asche auf mein haupt, ernsthaft).. ich hab ewig gebraucht, um bzgl. dieser neuen musikalischen ausrichtung gojiras umzudenken bzw. mich umzugewöhnen. gerad in den letzten tagen hat sich mein empfinden bzgl. des abums aber iwi stark gewandelt. ich würde das album mittlerweile sogar vor "l'enfant sauvage" setzen, allerdings weiterhin mit weitem abstand zu den meisterwerken "from mars to sirius" und "the way of all flesh"..
    die songs 2-4 sind knackiges musikalisches fast food, aber für sich genommen zu wenig für eine band vom format gojiras, für mich daher (zunächst) massiv abschreckend, mittlerweile aber willkommene snacks im gesamtkontext des albums. der einstiegssong und die songs 6-9, v.a. wenn chronologisch abgespielt, erzeugen allerdings einen unentrinnbaren sog, bauen eine absolut einnehmende atmosphäre auf und grooven teils wirklich amtlich.
    die sperrigkeit und brutalität als für mich essentielle merkmale gojiras fehlen, dafür gibts erstmals einen wirklich persönlichen topos, trauerarbeit, der ein gojira-album atmosphäre schaffend dominiert, und es wird eine tür geöffnet für ambitionen in eingängigem metal mit nähe zum rock, was ich ablehne, und eine andere für ambitionen in richtung verstärkter progressivität + atmosphäre, was ich begrüße - es bleibt abzuwarten, welchen weg die band wählt.
    hoffe, mit diesem text mein bisheriges palaver zu der neuen platte ein wenig revidieren zu können ^^

  • Vor 7 Jahren

    Weniger hart und sperrig als der Vorgänge aber "hypnotisch" trifft den Nagel auf den Kopf. Nach einigen Durchläufen hat sich das Album in den Gehörgang gefräst, fließt in der Gesamtheit (also am Stück durchgehört) unfassbar gut.

  • Vor 7 Jahren

    gefällt mir sehr gut. Schon Shooting Star geht mit nem ordentlichen Drive los, erinnert fast stellenweise ein wenig an Stoner.
    Dann wieder die fetten Riffs wo man sich fast denkt dass man aus versehen Obzen aufgelegt hat, aber nein, das kann nicht sein, sie klingen anders.
    Eigenständig und doch spannend, ausserdem einer der besten Growls / Shouts imo.