27. Oktober 2014

"Wir bieten den Amerikanern etwas Neues"

Interview geführt von

Drei Jahre nach seinem Chanson-Album "In Paris" wechselt Götz Alsmann die Seite des Atlantiks und nimmt es mit Frank Sinatra und Co. auf.

Götz Alsmann ist seit rund fünfzehn Jahren aus der deutschsprachigen Jazz-Pop-Landschaft nicht mehr wegzudenken. Parallel zu seinem TV-Erfolg mit der WDR-Talkshow "Zimmer Frei!" erarbeitete sich der Mann aus Münster einen tadellosen Ruf als Entertainer, Bandleader und sprachgewandter Schlager-Jazzer. Zwei Echo-Auszeichnungen für "Tabu" und sein letztes Album "In Paris" (2011) verweisen auf seine ungebrochene Popularität. Für das neue Album "Am Broadway", auf dem er legendäre Songs des American Songbook auf deutsch intoniert, reiste er mit seiner Band an den Ursprung vieler Stücke, nach New York.

Sehen Sie es als Kompliment an, wenn ich sage, "Götz Alsmann am Broadway" klingt von vorne bis hinten wie ein Götz Alsmann-Studioalbum?

Götz Alsmann: Ich hoffe, es ist so gemeint. Ich sehe das als positiv an. Wir haben ja als Band durchaus versucht, diesen weltbekannten Liedern unseren Stempel aufzudrücken.

Wo nimmt man den Mut her, weltberühmte Evergreens von Sinatra oder Ella Fitzgerald neu einszuspielen?

Das sind ja nicht nur die zwei genannten, sondern noch unzählige andere. Es gibt Titel, die sind alleine tausendfach gecovert worden. Aber durch unsere deutschen Texte bekommen sie auch einen neuen Dreh. Wir bieten den Amerikanern etwas, was ihnen vor uns noch keiner geboten hat. Wobei ich es eher noch kühn fand, vor drei Jahren in Paris ein Album mit französischen Chansons zu machen. Das war fast noch herausfordernder. Diese amerikanischen Songs sind ja so sehr Teil unseres Lebens, dass es eigentlich keinen Grund gibt, es nicht einfach zu versuchen. Die Zahl der deutschsprachigen Künstler, die diese Lieder auf englisch gesungen haben, ist ja Legion.

Sie haben in New Yorks ältestem Studio, dem Sear Sound Studio, aufgenommen. Hat man dort nicht ein wenig auf diese komischen Deutschen herunter geschaut, die sich am American Songbook vergreifen?

Nein. Diese Attitüde des Misstrauens und der Geringschätzigkeit, wie sie früher vielleicht existiert hat, gibt es nicht mehr. Das haben wir nicht eine Sekunde so empfunden.

Haben Sie vor Ort erfahren, wann zuletzt deutsche Künstler in diesem Studio gearbeitet haben?

Kurz nach uns war Ute Lemper dort, die in dem Studio alle ihre Platten aufnimmt.

Haben Sie sich getroffen?

Nein. Direkt nach uns war Paul Simon dran. An unserem letzten Tag wurden schon die Kisten für ihn angeliefert. Ute Lemper war zwei Wochen nach uns eingebucht.

Wie verlief Ihr Alltag in New York? Sind Sie abends zusammen essen oder ins Kino gegangen? Oder haben jeden Tag Ihre Kinder angerufen, die sie besuchen wollten?

(lacht) Wir sind jeden Morgen um zehn Uhr ins Studio gekommen und haben so bis acht, neun Uhr abends gearbeitet. Dann sind wir entweder in Manhattan essen gegangen oder sind zurück nach Long Island City gefahren, um dort den reichen Schatz an Sushi-Lokalen und Italo-Restaurants abzuklappern. Also es waren wirklich volle Arbeitstage. Ich habe keine Zeit für Tourismus oder Freizeit gehabt, aber ehrlich gesagt bin ich deshalb auch nicht rüber gefahren. Ich muss mir nicht noch mal die Freiheitsstatue anschauen.

Alle Texte des Albums bis auf "Broadway" stammen von heute weitgehend in Vergessenheit geratenen, deutschsprachigen Versionen dieser Klassiker. Wie muss man sich die Vorarbeit zu diesem Album vorstellen? Saßen Sie vor Ihrem Plattenschrank in Münster und haben alle Singles und Alben einzeln aussortiert?

Das hätte keinen Sinn gemacht, denn die meisten dieser Texte sind bis auf vielleicht zwei Ausnahmen nie auf Schallplatten erschienen. Die stammen aus Notenbüchern oder von Theaterverlagen. Zum Beispiel ist das Musical "The Music Man" 1961 ein einziges Mal in Oberhausen aufgeführt worden. In diesem Fall muss man dann beim Verlag nachfragen, ob es noch Noten oder Texte gibt. Dann gibt es jede Menge Standards und Übersetzungen mit Klavierbegleitung für Leute, die früher in Cafés gesungen haben und die im Zuge der weitgehenden Anglisierung des Rundfunks in den 60er und 70er Jahren einfach nicht mehr benutzt wurden.

Sie müssen auch bedenken, dass es früher ja unheimlich viele Rundfunkproduktionen gab. Dort haben Sänger und Orchester im Rundfunk Lieder für den Rundfunkgebrauch aufgenommen. Die Idee, den ganzen Tag nur Schallplatten abzuspielen, ist verglichen mit der gesamten Radiogeschichte ja verhältnismäßig neu. Dass das Programm zu 100 Prozent aus Tonträgern besteht, ist vielleicht Anfang der 70er Jahre aufgekommen.

"Von dieser Stunde an" singt Doris Day im Original "From This Moment On" als Ballade und Judy Garland in ihrer Show 1963 als sehr schwungvolle Swing-Nummer, die Ihrer Interpretation schon näher kommt. Woran haben Sie sich generell beim Schreiben der Arrangements orientiert?

Ich habe versucht, mich von den historischen Vorbildern weitgehend zu lösen. Ich habe dann festgestellt, dass es von "From This Moment On" auch Versionen mit starker Bongo-Rhythmik gibt, aber die bekannteste Version ist die von Frank Sinatra und der hat es als Midtempo-Swing-Nummer gemacht. In dem Film "Kiss Me Kate" ist es eine sehr wilde Tanznummer. Aber die Melodien geben alles her, Sie können damit eigentlich alles machen. Nehmen Sie die berühmte John Coltrane-Version von "My Favourite Things": Da ist die Melodie des Originals eher schemenhaft erkennbar, die Struktur wird von ihm ständig auf den Kopf gestellt. Das geht auch.

Von der Trompete mal abgesehen atmet "Alles Passiert Immer Mir" sehr die Atmosphäre des Chet Baker-Originals, finde ich.

Das ist nicht das Original.

Ah, verstehe.

Das Original kam ungefähr 15 Jahre vor Chet Baker raus. Geschrieben hat es Matt Dennis, der es auch selbst aufgenommen hat, aber die erste bekannt gewordene Version stammt von Frank Sinatra und Tommy Dorsey.

Aber Sie kennen die Chet Baker-Version?

Na klar. Ich kenne noch ungefähr 50 andere. Aber es ist eigentlich immer eine Ballade.

Die Texte versprühen natürlich viel nostalgischen Charme und erinnern ein wenig an manche Songs von Max Raabe. Beschäftigen Sie sich als Musikfan mit Kollegen, die wie etwa Raabe Musik aus vergangenen Zeiten reaktivieren?

Ich bekomme das schon mit.

Aber Sie kaufen deshalb nicht die Platten?

Ich bekomme Sie meistens so.

Kenne ich.

(lacht) Wir sind ja alle irgendwie miteinander bekannt und begegnen uns freundlich hier und da. Aber ich sitze nicht zuhause und frage mich verzweifelt, was Raabe oder Tukur gerade machen. Ich glaube, jeder von uns hat genug mit sich selbst zu tun.

Interessant auch, dass die Story von "Blue Moon" an den Golf von Tarent verlegt wurde.

Ja, das fand ich auch interessant. So wird aus einem American Songbook-Klassiker ein Italo-Schlager. Lustig.

Als versteckten Song singen Sie noch "Singing In The Rain" bzw. "Ich bin heut ganz verdreht" auf der Ukulele. Wollten Sie den nicht in Bandstärke interpretieren?

Nein, ich wollte damit unserem Mann beim Blue Note-Label eine Freude machen. Der wollte das gerne mal von mir hören.

Der Entstehungsprozess der Platte wurde eng mit Facebook verknüpft. Alle paar Tage wurden neue Fotos aus dem Studio veröffentlicht, teilweise auch in Ihrer unnachahmlichen Weise kommentiert - ich denke da zum Beispiel an das Foto des Mischpults mit den Instrumentenaufklebern ...

Da muss ich jetzt eben mal kurz dazwischen gehen, das sind im wesentlichen Auszüge aus meiner Homepage. Die Facebook-Seite betreibt die Plattenfirma. Sie finden die Kommentare und die Fotos auf meiner Webpage, die mir sehr am Herzen liegt.

Und Sie machen die Fotos für die Homepage selbst?

Manchmal ich, manchmal jemand aus der Band. Es gibt da zum Beispiel jeden Montag das 'Foto der Woche'. Das können auch Fotos von unseren Tourneen sein oder irgendwas Nostalgisches aus meinem Leben.

Genau, oder neulich erst ihr Einschulungsbild mit Schultüte. Ich war verwundert, dass Sie sich so privat öffnen.

Naja, meine Einschulung liegt jetzt 50 Jahre zurück. Da habe ich nichts mehr zu verbergen. Das kann nicht mehr gegen mich verwendet werden, oder?

Obwohl Sie seit Jahren erfolgreiche Alben und ausverkaufte Tourneen vorweisen können, denkt man in Deutschland beim Begriff Schlager doch eher an Phänomene wie Helene Fischer, Andrea Berg oder Michael Wendler. Ärgert es Sie immer noch, wie sehr dieses Genre in Verruf gebracht wird?

Ich weiß nicht, ob es in Verruf gebracht wird. Schlager ist eben unser Wort für deutsch gesungenen Pop. Der ändert sich natürlich alle zehn Jahre. Mich irritiert eher, dass der Begriff heutzutage so vergangenheitsnegierend benutzt wird. Es wird oft vergessen, dass da eine mehr als hundertjährige Geschichte dahintersteckt. Das wiegt schwerer als die Tatsache, dass Leute, die sich aktueller Klangbilder bedienen, damit sehr erfolgreich sind. Das war zu jeder Zeit so. Irgendwann hat auch der Schlager der 60er und der 70er Jahre relativ rigoros mit den Vorgängern aufgeräumt.

Ich finde es allerdings schade, dass Klangbilder verschwinden, die den Schlager über einen langen Zeitraum häufig in eine starke Jazz-Nähe gebracht haben. So wie es etwa in der Zeit um den Ersten Weltkrieg Tango-Schlager gab oder in den Zwanziger Jahren die Schlager im Charleston-Rhythmus. Ich finde, man sollte das als selbstverständlichen Teil unseres musikalischen Kanons betrachten. Die Franzosen machen es uns ja vor: Wenn Sie abends durch Frankreich fahren und haben das Autoradio an, hören Sie zwischen aktueller Popmusik immer mal alte Aufnahmen von Charles Trenet oder Yves Montand. Das würde auch uns gut zu Gesicht stehen.

Welche Musik hören Sie sich privat an?

Ich höre kaum aktuelle Musik und kenne mich überhaupt nicht aus. Da ich 80 Hörfunksendungen im Jahr mit Platten aus meiner Sammlung gestalte, lebe ich in einer ganz anderen Welt. Ich höre viel Schellack-Platten.

"Ich weiß, dass ich mit 'Zimmer Frei!' aufhören werde und ich weiß auch schon wann"

Kürzlich gab es im ZDF eine große Udo Jürgens-Gala zu dessen 80. Geburtstag - haben Sie die zufällig gesehen?

Nein.

Dort waren viele prominente Gäste anwesend, vor allem jüngere Künstler wie David Garrett, Lang Lang, Yvonne Catterfeld, Tim Bendzko aber auch Otto und José Carreras. Udo Jürgens saß dann da, musste sich alle Beiträge ansehen und sich danach artig bedanken. Es war eine sehr lange Veranstaltung, Udo Jürgens sah müde aus, und ich habe mich gefragt, ob man einem Mann dieses Kalibers und diesen Alters so etwas zumuten muss.

Tja, dazu kann ich mich leider nicht äußern, da ich die Sendung nicht gesehen habe. Aber manchmal glauben Redakteure, Fernsehsendungen funktionierten so. Ich denke da etwa an die oftmals etwas abseitigen Laudatoren beim Jazzecho, das sind manchmal ganz bizarre Entscheidungen, die dazu führen, dass die Veranstaltungen immer zu lang sind. Und dann kommen natürlich die Plattenfirmen und bieten weitere Künstler zwecks Ausgestaltung des Abends an, und das Fernsehen sagt sofort: Her damit! Also, Ihr Eindruck wundert mich gar nicht.

Hätten Sie denn Interesse gehabt, einen Udo Jürgens-Song in dieser Show zu interpretieren?

Ich habe mit Udo Jürgens schon gemeinsam meine Lieblingssongs von ihm spielen dürfen, dazu gab es in verschiedenen Fernsehsendungen Gelegenheiten. Ich hätte es interessanter gefunden, wenn man in der ZDF-Gala etwas mit ihm zusammen hätte machen können.

Welchen Song hätten Sie interpretiert?

Es gibt von mir ja schon eine bahnbrechende Version von "Siebzehn Jahr Blondes Haar" von meinem 1997er Album "Gestatten ... Götz Alsmann". Mein Lieblingsstück von ihm stammt aber aus dem Jahr 1966, glaube ich, es heißt "Mein erster Weg". Das ist eine der besten deutschen Bossanova-Nummern.

Trauern Sie Ihren früheren TV-Formaten wie "Götz Alsmanns Nachtmusik" hinterher, wenn Sie lesen, dass Andrea Berg eine eigene ZDF-Samstagabendshow erhalten soll?

Ich trauere da nicht hinterher, aber ich bedaure natürlich, dass die "Nachtmusik" eingestellt wurde. Aber Sie kennen ja den Grund, warum Sendungen eingestellt werden: Sie machen keine Quote. Die "Nachtmusik" war eine sehr große, teure Sendung und hat sich sechs Jahre durch ein Quotental geschleppt, so dass es eher verwunderlich ist, dass man so lange durchgehalten hat.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann als "Zimmer Frei"-Moderator aufzuhören?

Ich weiß, dass ich damit aufhören werde, und ich weiß auch schon wann.

Oh. Diese Antwort hatte ich mir jetzt eigentlich nicht gewünscht. Wann denn?

Wir haben gesagt, wir machen nach 20 Jahren Schluss, und das ist in zwei Jahren.

Es ist von einer Trilogie die Rede, die die Alben "In Paris" und "Am Broadway" beinhaltet. Wohin wird es Sie als nächstes verschlagen?

Wir haben schon einen Plan. Es handelt sich um eine europäische Großstadt. Die Hauptstadt eines deutschsprachigen Landes, aber es ist nicht Deutschland. Hmm, wie spannend.

Klingt so, als dürfte ich jetzt raten.

Sie können sich überlegen, was Sie gut finden. Nein, in der Tat haben wir uns bisher hauptsächlich mit Wien beschäftigt. Es ist noch nicht klar, ob wir es machen, aber unsere Überlegungen gehen in die Richtung.

Und ihr Label Blue Note findet das auch gut?

Das war ja deren Idee, wie ohnehin die ganze Geschichte unserer musizierenden Herrenreisegruppe. Es hat uns Spaß und natürlich auch Erfahrung gebracht, in diesen legendären Studios arbeiten zu dürfen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Götz Alsmann

Peter Pan ist heute überall. Zumindest möchte er das gerne sein. Die Städte sind vollgestopft mit Mitvierzigern, die nicht von ihrer Jugend lassen …

3 Kommentare mit einer Antwort