laut.de-Kritik

Licht und Schatten zwischen Reggae, Dub und Electronica.

Review von

Nu Metal, Nu Pagadi ... Scheint so, als habe der Zusatz "Nu" selten gut getan. Jetzt also Nu Reggae. Was mag das wieder für ein neumodischer Scheiß sein? Nu-n, sooo furchtbar neumodisch offenbar auch wieder nicht: Flox bewegt sich inzwischen seit mindestens vier Albumlängen in den neologistisch benamsten Grenzlanden zwischen Reggae, Dub und Electronica.

Dumm nur, dass hierzulande von seinem Treiben kaum jemand etwas mitbekommen hat. Album Nummer fünf soll daran Grundlegendes ändern. Deswegen bekommt "Homegrown", das eigentlich schon im Februar erschien, eine Neuauflage spendiert. Die üppig bestückte Bonus-CD entpuppt sich als Best-Of-Kollektion aus den Tracklisten der vier Vorgänger.

Ein wenig seltsam wirkt schon, wenn das Zugaben-Set umfangreicher ausfällt als die eigentliche Setlist. Geizkragentum kann man Flox und seinen Zuarbeitern bei Echo Beach so aber nicht vorwerfen. Im Verbund mit dem Bonus-Paket geht "Homegrown" als aufschlussreiche Werkschau des in Paris ansässigen Londoners durch und offenbart seine Stärken, jedoch auch die Schwachstellen.

Entsprechend durchwachsen gestaltet sich der Eindruck, den "Homegrown" hinterlässt: Gegen eine Mischung verschiedener Stile lässt sich zunächst einmal nichts einwenden. Allerdings sieht es schwer danach aus, als liege Flox der elektronische Teil nicht besonders. Das allgegenwärtige Synthie-Geflackere wirkt an vielen Stellen altbacken, oft auch einfach zu schwachbrüstig, um sich gegen die hübsch quakigen Reggae-Bässe wirklich zu behaupten. Mehr als ein Soundeffekt kommt mindestens den Greiseren unter uns - also denen, die das Titelthema von "Wetten, Dass..?" noch im Ohr haben - ganz schön angestaubt vor.

In vielen Tracks stecken aber auch wieder echt hübsche musikalische Ideen. Die fluffige Single "Find Some Joy" etwa lässt sich von einer freundlichen Melodie tragen. Flox fordert, passend dazu, ganz unverblümt: "Come, sing a sweet melody like this" - und dabadabadubiduuut sich in der Folge eine, das es schwer fiele, sich von der Fröhlichkeit nicht anstecken zu lassen.

Verhallte Gitarre, klassischer Reggae-Rhythmus, Elektroeffekte, Streichergewimmere und Sprachfetzen verschmelzen in "It's The One" zu einer ganz eigenen Ästhetik. Die Instrumentalnummer "Cut It" dagegen wirkt lediglich wie eine Collage aus sattsam bekannten Schnipseln. Jedes einzelne Soundelement kommt einem längst fast schon ärgerlich vertraut vor.

Mit den Texten verhält es sich ähnlich: Flox hat Ideen und begrüßenswerte Anliegen, was ihn aber nicht davor schützt, hin und wieder in üble Phrasendrescherei abzugleiten. So landet die Frauenpower-Hymne "So Many Blisters" allein schon für den seltenen Umstand auf der Habenseite, dass hier, "yes!!!", zur Abwechslung einmal ein Mann "less power for the misters" fordert. "In other words: more power to the girls." So sei es.

Sich nicht vom Alltag auffressen, sich nicht auf später vertrösten zu lassen, sondern im Jetzt und Hier leben, den Moment genießen und - "Stop! Pick a shovel. Start diggin'!" - einfach loslegen mit dem, wonach einem ist: keine ganz neuen, deswegen aber nicht weniger weisen Ratschläge. Bei "A Road" dagegen mit seinem Alles-wird-gut-Vibe und der Es-gibt-immer-einen-Weg-Beruhigungsstrategie schrillen alle Plattitüdenalarmglocken.

Flox' Gesang reißt nicht vom Hocker, wirkt aber auch nirgends daneben. Wortwahl und Aussprache wecken in mir trotzdem die lebhafte Erinnerung an den Moment, da ich Kevin "The Bug" Martin über seinen sehr jungen, sehr bleichen, sehr, sehr guten Warm-Up-DJ in durch und durch britischer Zunge urteilen hörte: "He played such a wicked selection - and then he spoiled it all by speaking fake Patois." Vielleicht tu' ich Flox Unrecht und er hat gute Gründe für die jamaikanische Färbung in seinem Englisch. Sie wirkt trotzdem befremdlich aufgesetzt.

Auf der Dreingabe-CD setzt sich das Wechselbad der Gefühle nahtlos fort: Durch den Hintergrund von "Drum And Bass" (dem Titel nach Etikettenschwindel, weil tatsächlich keinerlei Drum'n'Bass, sondern Reggae, "talking about love", drinsteckt) hoppelt eine hübsche Basslinie. Die kommt in der auf dem Fuße folgenden, reduzierten Dub-Version noch besser zur Geltung.

"Hey, I'm talking to you!" Keine Ahnung, ob eine zielführende Strategie dahintersteckt, den Hörer unhöflich von der Seite anzuraunzen, weil er angeblich zu wenig Augenmerk auf "The Words" legt. "No Words" verzichtet später konsequent fast ganz auf Text, liefert dafür aber die Blaupause für Kirmes-Reggae, falls jemand seine Fahrgeschäfte zur Abwechslung einmal mit karibisch inspirierten Klängen beschallen will: beide nicht so berauschend. "Man 2 Man", in dem Spuren von Industrial auf indianisch anmutende Melodien, Sprachsamples und Synthiegeblubbere treffen: wieder ziemlich cool.

Der in Knöchelhöhe brummende Bass in "The Dromz" oder die irrlichternden Gitarren in "Slow Down": topp. Die Tatsache, dass einem schon vom ersten Ton letztgenannten Tunes an klar ist, dass auch dieser wieder im immer gleichen Reggae-Groove münden wird: weniger doll. "Homegrown" zeigt also in jeder Hinsicht die Flox'sche Bandbreite: Licht und Schatten liegen da dicht nebeneinander.

Trackliste

Homegrown

  1. 1. So Many Blisters
  2. 2. Tight
  3. 3. Homegrown
  4. 4. Find Some Joy
  5. 5. Times Up
  6. 6. The Sound Of The Champion
  7. 7. A Road
  8. 8. It's The One
  9. 9. The Color
  10. 10. Cut It

Bonus

  1. 1. Drum And Bass
  2. 2. Drum And Bass (Dub)
  3. 3. Killing U And Me
  4. 4. The Words
  5. 5. Slow Down
  6. 6. Playground
  7. 7. The Dromz
  8. 8. No Words
  9. 9. Bob K
  10. 10. Man 2 Man
  11. 11. All Must Disappera (Original Version)
  12. 12. Higher Man
  13. 13. Like Us All
  14. 14. Right Here

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