2. Mai 2015

"Früher haben wir uns nicht gegenseitig zerfleischt"

Interview geführt von

Gestorben und begraben schien Ferris MC. Vom ewigen Freak blieb einzig die düstere Legende - bis er in den Reihen von Deichkind ein triumphales Comeback feierte. Doch das reicht nicht. Manches muss ein altes Reimemonster einfach ganz alleine machen.

Glück ohne Scherben zählt nicht unbedingt zu den Dingen, die man dem alten Haudrauf ohne weiteres zugetraut hätte. Dennoch behauptet er, er genau das gefunden zu haben. Zumindest nennt Ferris MC das Album, mit dem er im Mai nach seinen Erfolgen mit Deichkind auch als Solo-Künstler wieder der Versenkung entsteigen will, so: "Glück Ohne Scherben". Aus diesem Anlass kann man schon einmal ein paar Fragen stellen - und wir sind nicht die einzigen, die das so sehen. Die Kondition stimmt jedenfalls: Am Ende eines Interviewmarathons wirkt Ferris noch immer erfreulich aufgeräumt und bester Stimmung.

Lieber Himmel, dein wievieltes Interview ist das heute?

Ich hab' nicht mitgezählt. Ich glaube, wir gehen langsam auf die zwanzig zu.

Kannst du noch?

Ich kann noch, ja, ja! Vor allem Dingen haben ja die Interviewpartner immer 'ne frische Energie. Die nimmt mich in dem Moment mit. Nach den Interviews bin ich immer leicht down und ausgelaugt. Aber wenn ich einen neuen Partner am Telefon oder vor mir habe, dann spür' ich diese Energie, und die weckt mich wieder auf.

Da kann ich hoffentlich was beitragen. Dein letztes Album ist ja knapp elf Jahre her ...

Genau richtig.

... dazu hab' ich 2004 eine meiner ersten Reviews für laut.de geschrieben. Meine damaligen Rap-Autoren-Kollegen haben mich schwer ausgelacht dafür, dass ich die Platte damals sogar in meinen Jahres-Charts hatte. Die sind aber alle nicht mehr da. Ich schon.

(Lacht) Da kannste mal sehen: Wir bleiben bestehen. Das find' ich aber gut. Das Album war ja das am schlechtesten verkaufte. Aber da hat ja trotzdem die eine oder andere Person darin Qualität erkannt. Das ist doch auch nicht schlecht.

Ich mochte das total. Dafür fand ich das davor direkt scheiße.

(Allgemeines Gelächter) Ja. Es ist halt immer 'ne Geschmacksache.

Mir dir hab' ich jedenfalls überhaupt nicht mehr gerechnet. Aber wenn es jetzt heißt: neues Ferris-Album - da bin ich dabei. Fangen wir doch gleich vorne an, bei "Fensterlose Zeit". Darin erzählst du von einem Neubeginn nach dem Scheitern. Fühlt sich das jetzt so an?

Nee, jetzt momentan nicht. Dadurch, dass ich jetzt schon seit sieben Jahren bei Deichkind bin, ist das jetzt natürlich kein Neubeginn nach dem Scheitern. Es ist eher ein Bericht darüber, dass ich sehr oft gescheitert und dann auch immer wieder neu gestartet bin. Wie es halt in meinem Leben war. Dass ich immer wieder bei Null angefangen habe, ob freiwillig oder unfreiwillig , und ... ja, das hat sich bewährt. Man muss, glaub' ich, im Leben auch mal scheitern, um einfach mehr mit den Beinen auf dem Boden stehen zu bleiben. Das tat mir dementsprechend ganz gut. Auch, um diesen ganzen Erfolg mit Deichkind nicht so überzubewerten und nicht so an meine Privatperson heranzulassen.

Du hast demnach kein Problem damit, dich als gescheitert zu bezeichnen?

Ob ich gescheitert bin? (Überlegt) Nö. So richtig gescheitert insgesamt nicht. Ich hab' einfach nur viele Verluste hinnehmen müssen. Jetzt nicht finanziell gesehen, sondern erfahrungsmäßig, was mein Leben angeht. Ich hab' verloren - und hab' immer wieder neu begonnen. Aber ich bin nicht insgesamt gescheitert. Sonst wär' ich ja jetzt nicht hier. Ich hab' mich ja auch immer wieder aufgerappelt, so Stehaufmännchen-mäßig.

Die große Kunst liegt ja im Wieder-Aufstehen.

Das tut jedem, glaub' ich, gut. Ich würde, was das angeht, gerne auch als Vorbildfunktion ... äh, ja ... funktionieren. (Lacht)

Zeilen wie "Die Müllabfuhr hat mich fast eingesackt" klingen schwer danach, als seist du nah am Absturz gewesen. Wie dicht warst du dran?

Sehr dicht. (Lacht) Aber das lag dann auch eher an meiner selbstzerstörerischen Art und Weise, wie ich mit meinem Körper und mit meinem Geist umgegangen bin, vor fünfzehn Jahren oder so. Ich hab' mich früher, mit 25, mehr als Wrack gefühlt als jetzt mit 41. Ich fühl' mich mit 41 viel fitter und fresher im Leben als damals, wo ich mich weitestgehend von der Realität abgeschottet hatte.

Ist eh ein gutes Alter. Man ist nicht mehr so labil.

Genau. Es ist alles in trockenen Tüchern. Man ist befreit von Existenzängsten. Alles so Sachen, die einen natürlich begleiten, mit 25, 26. Wenn man dann noch eine härtere Vergangenheit hat, zerrüttete Familienverhältnisse und so, das schwebt ja unterschwellig immer mit. Irgendwann kannst du gar nicht mehr dagegen ankonsumieren, um das zu verdrängen. Irgendwann kommt es hoch. Irgendwann ist der Mülleimer voll, und dann musst du anfangen, auszuleeren. Das hab' ich dann gemacht, indem ich mich beerdigt habe. Und danach fing eigentlich auch das Verarbeiten erst so richtig an. Weil ich dann auch fast parallel mit Kiffen, und den anderen Drogen sowieso, aufgehört habe.

Klingt nach Frühjahrsputz im Leben.

Genau. Zur damaligen Zeit war das einer. (Lacht)

Ich find' das ohnehin gar nicht so schlimm mit dem Alter. Man wird gelassener und weniger abhängig vom Urteil von anderen.

Genau, ja, man nimmt es sich nicht so zu Herzen, wie man es früher getan hätte. Zum Glück gabs früher keine Social Media! (Lacht)

Das hätte meine Jugend vermutlich total ruiniert.

Ich wär' bestimmt so ein Mobbing-Opfer geworden.

Meinste?

Ein Mobbing-Opfer, ja. Social-Media-mäßig. Vielleicht hätt' ich mich dann auch erschossen oder so.

Na, gut, dass das erst später kam. Um Social Media gehts dir auch in "Kill Kill Kill", da sagst du: "Ich lösch' das Internet, nehm' euch das Handy weg" ...

Das ist aber schon mit Augenzwinkern. Eine Zeigefinger-Ansage vom Papa an die Kinder - mit 'nem Augenzwinkern. Mit einem völlig übertriebenen Augenzwinkern, natürlich. Klar ironisch gemeint. Geht ja gar nicht: Ich KANN ja nicht das Internet löschen. Ich könnte höchstens einzelnen Kandidaten das Handy wegnehmen und denen vielleicht das Internet löschen. Aber so insgesamt leider nicht.

Leider? Mit solchen Äußerungen läuft man aber schnell Gefahr, wie der verbitterte alte Sack zu wirken, der vergangenen Zeiten nachheult.

Genau. Aber das widerlege ich mit dem Gesamtprodukt des Albums. Das ganze Album spiegelt genau das zum Glück nicht wider.

Kannst du mit diesem ganzen sozialen Netzwerk-Kram überhaupt etwas anfangen?

Ich arbeite mich da langsam rein. Ich bin damit halt nicht aufgewachsen, deswegen ist das nicht so in mein Fleisch und Blut übergegangen. Aber ich hab' mittlerweile auch einen Facebook-Account, und Twitter und Instagram. Allerdings alles noch in Babyklamotten. Ich frag' mich halt, wie die anderen alle dafür Zeit haben, das alles unter einen Hut zu bringen, weißte? Das ist ja auch irgendwie zeitaufwändig. Hier noch 'n Link, da noch 'n Link, noch mal hier ein Selfie, noch mal da noch 'n Bericht, irgendwie hier noch mal 'n lustiger Spruch ... Irgendwie hab' ich so das Gefühl: Das ist ja auch Arbeit. Das krieg' ich gar nicht hin. Wenn ich noch vernünftige Musik machen will und alles andere, dann kann ich doch nicht das auch noch gewissenhaft abarbeiten.

Klingt, als benutzt du das schon in erster Linie als ein Promo-Instrument, und nicht, um dich der Welt mitzuteilen.

Genau richtig. Ich hab', was das angeht, eigentlich überhaupt kein Vermittlungsbedürfnis. Fast gleich null. Zwischendurch kommts in mir hoch, dann hab' ich auch kein Problem damit, was zu posten. Aber das ist halt nicht sechsmal täglich oder so. (Lacht) Ja, ich hab' auch das Gefühl: Ich weiß, dass Social Media irgendwie wichtig ist. Aber ich bin halt sehr alte Schule, und seh' das ja auch an den Klickzahlen von anderen Künstlern. Die haben zum Teil zwei Millionen Klicks auf Facebook, obwohl die nur 10.000 Einheiten verkaufen. Da frag' ich mich: Wo ist denn da die Relation? Was haben die Klicks denn mit der Realität zu tun? Deswegen leg' ich da nicht so viel Gewicht rein, als wie zum Beispiel in Promo-Tage, wo man Interviews führt und so weiter und so fort.

Obwohl du in deinen Texten viel von dir preisgibst, hab' ich trotzdem den Eindruck, dass du Wert darauf legst, Show und Geschäft von deinem Privatleben zu trennen. Ist das so?

Genau. Das, was ich früher nicht gemacht hatte, mach' ich jetzt, auf jeden Fall. Irgendwann bei Deichkind kam der Dreh, dass ich das angefangen habe. Wo ich mir dann auch gesagt hab', dass ich so 'ne ausverkaufte Tour oder vor 100.000 Leuten spiele, dass ich das nicht so überbewerte oder zu nah an mich ranlasse. Denn das ist die Show, das ist die Bühne, und es gibt noch ein Leben außerhalb dessen.

Glaubst du, es ist in Zeiten, in denen jeder sein ganzes Leben permanent öffentlich macht, schwieriger, solche Grenzen zu ziehen? Fällt dir das schwer?

Du meinst, dass ich selber irgendwann nicht davon befreit sein werde, mich privat die ganze Zeit mitzuteilen, oder wie?

Keine Ahnung, aber dieses ganze Social Media-Ding hat ja durchaus Suchtpotenzial.

Ja, genau. Ich bin auch ein Sucht-Mensch, aber in die Richtung wird sich meine Sucht nicht unbedingt verlagern. Das kann ich mir nicht vorstellen. Dafür macht mir das zu wenig Spaß. Die Kunstfigur Ferris MC ist ja auch irgendwo ein Charakter. Zwar hat das musikalisch und auch textlich gesehen sehr viel mit meinem richtigen Leben zu tun, aber deswegen muss ich ja nicht so, wie die Geissens, mein ganzes Leben darlegen und mir in alle Karten reinschauen lassen. Das wär' mir irgendwie zu nahe dran. Ich möchte schon, dass man klar absteckt: Okay, hier ist der Künstler, das ist der Fan, und wir sind nicht in einer Familie oder so. Wir sind nicht irgendwie best friends. Du bist zwar mit meiner Musik groß geworden - aber das ist auch alles. Keiner weiß wirklich, wer ich 24 Stunden lang bin, und das sollen auch nicht alle unbedingt wissen. Das wär' mir irgendwie zu viel. Dann könnt' ich auch so 'ne Daily-Doku-Soap über mich machen.

Von denen gibts ja schon genug.

Das wär', ehrlich gesagt, auch gar nicht so spektakulär. (Lacht)

"Ich seh' mich eher bei Lindenberg und Nena"

Du hast für dieses Album mit Swen Meyer zusammengearbeitet.

Ja. Bis auf einen Bonus-Track, der auf der Fanbox drauf ist, hat er alles mit mir zusammen entwickelt und produziert.

Der hat sich eher mit so Indie-Dingern wie Kettcar und Tomte einen Namen gemacht. Oder mit Tim Bendzko - knallhart Pop ...

... und das alles spiegelt sich auch so ein bisschen auf meinem Album wider! So 'n bisschen Alternative, ein bisschen Rock, ein bisschen Pop, leichte elektronische Einflüsse, vielleicht bei "All Die Schönen Dinge", auch. Und dann natürlich mein Wunsch nach mehr Progressivität, den er auch noch mit einfließen lassen musste. Der hatte viel zu tun. Das hat ihm aber super Spaß gemacht, weil ich glaube, so eine Produktion oder so ein Ergebnis hat er mit den anderen noch nicht hingelegt. Aber das zeichnet ihn ja auch aus. Er ist Vollblut-Profi und in meinen Augen irgendwie auch ein legendärer Typ.

Offensichtlich hatte er jedenfalls keine Angst vor dir. Und du hast wohl keine vor dem Begriff Pop?

Nee. Im Nachhinein nicht. Ich hatte zwischendurch mal Berührungsängste. Aber das kommt immer drauf an, von welcher Seite man Popmusik sieht. Es gibt natürlich den scheißschlechten Disco-Pop, diesen Großraumdisco-Sound. Aber du hörst im Alternative- und Indie-Bereich ja auch Pop-Einflüsse, und die sind ja weitaus musikalischer angesetzt. Und Udo Lindenberg oder Nena ist auch Pop. Da seh' ich mich eigentlich eher, in dem Genre. Das ist dann eher musikalisch qualitativ hochwertiger Pop. (Lacht)

Ich halte durchaus für möglich, dass es den gibt.

Es gibt auf jeden Fall ein paar Alben, die superschön sind - UND Pop. Aber als junger Mensch lässt du das nicht zu, eventuell.

Och, ich bin zum Beispiel Fan der Pet Shop Boys. Mehr Pop geht ja kaum.

Ja, oder Depeche Mode! Hab' ich auch abgefeiert ohne Ende.

In Hip Hop-Kontexten sind die Leute ja aber leicht zu erschrecken. Mit Namen wie Bendzko oder Kettcar kann man durchaus dem einen oder anderen, der sich für einen Hip Hopper hält, Angst einjagen. Siehst du keine Gefahr, damit eventuell Fans zu vergraulen?

(Überlegt) Hmm. Ich weiß gar nicht, ob sich die alten Fans nicht auch weiterentwickelt haben. Ob die wirklich noch so engstirnig in ihrem Leben rumlaufen, das ist halt die Frage. Es gibt natürlich Leute, die entwickeln sich nicht weiter. Aber bei denen ist mir egal, ob sie sich dann erschrecken. Ich appelliere einfach an die Intelligenz meiner Zuhörer, dass sie mehr Musik zulassen als nur eine straighte Richtung.

Glaubst du, von den alten Fans sind überhaupt noch viele übrig?

Ich weiß nicht, wieviele. Vielleicht 'ne Handvoll? (Allgemeines Gelächter)

Nach "Ferris MC" kam noch ein Best-Of-Album, und dann warst du, wie du mal gesagt hast, mit Rap durch.

Ja. Eigentlich war ich schon vor dem Best-Of-Album durch. Aber das hat sich so in die Länge gezogen, bis das veröffentlicht wurde.

Woran lag das? Ausgebrannt?

Nö. Einfach satt. Es gab keine Herausforderung mehr. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich mich im Kreis gedreht hatte, irgendwann. Dass mein Publikum nicht älter wurde, nur ich. Es gab Ausnahmen, die diesen Imagewandel so schnell nachvollziehen konnten, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass die Außenwelt immer länger braucht als der Mensch selber, der sich entwickelt. Die konnten, glaub' ich, den Step vom einen zum nächsten Album nicht so schnell verfolgen, so dass ich für die Erwachsenen immer noch der alte Ferris MC war, im Endeffekt. Der mit dem Asi-Image-Stempel auf der Stirn, der Drogentyp. Und dann gabs ja auch noch Gerüchte, dies und das, und auch noch das verpeilte Interview, und dann noch der VIVA-Ausraster ... Das hat das ja alles noch mal untermalt. Und für die Jugendlichen aber, hab' ich das Gefühl gehabt, war ich einfach nicht mehr krass genug. Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht bereit und auch noch nicht reif genug, so ein Album wie "Glück Ohne Scherben" abzuliefern oder zu schreiben.

Was hat sich denn geändert, dass du jetzt wieder mitspielen willst? Nur du? Die Szene?

Also wenn, dann hat sich nur mein Umfeld geändert. Und ich hab' mich verändert. Die Rap-Szene allgemein - ich red' jetzt nicht unbedingt von dem Fan der Rap-Szene, aber die Künstler: Da steck' ich sowieso nicht drin. Ich bin früher schon irgendwie ein Außenseiter gewesen, ein Underdog, und ich glaub', das werd' ich auch heute noch sein. Damit hab' ich auch kein Problem. Aber die Entwicklung, wie gesagt, warum ich das Album gemacht hab', ist ja ganz klar: In Deichkind ist die Marschrichtung einfach vorgegeben, was Musikalität und was Texte angeht. Das ist ein Teamwork, wo wir uns gegenseitig Bälle hin- und herwerfen. Aber in mir brodelt es ja. Da sind viele Sachen hochgekommen, die ich nicht verarbeitet habe. Viele Textideen und all sowas. Das konnte ich in dem Deichkind-Kosmos natürlich nicht verbraten. So war ich gezwungen, mich selber wieder auszugraben und im Endeffekt mein verändertes, neues, aufgebautes Ich den Leuten präsentieren zu wollen. Ich musste ein Solo-Album machen, wo ich genau das niederschreibe und singe und frei von allen Klischees und Schubladen, in denen ich vorher steckte, das Album fertig stelle.

Also doch ein gewisser Zwang, sich mitzuteilen. Nur eben über andere Kanäle.

Genau. Ja. Ja, klar. Über die Musikalität. Über die Kreativität.

Eine Nummer wie "Roter Teppich" geht nicht gerade als Liebeserklärung an das Showbusiness durch.

(Lacht) Ne. Aber auch das ist Humor. "Monstertruck" zum Beispiel ist ja eine völlige Fun-Punk-Nummer, und auch "Roter Teppich" ist für mich so eine Battle-Rap-Crossover-Punk-Nummer. So ein bisschen. Ich zieh' einfach über diese Promis her, worüber sich ganz Deutschland ein Bild gemacht hat, und ich hoffe, dass viele Leute vielleicht dieses Bild, das ich da aufgemalt habe, mit mir teilen und sich darüber amüsieren können. Es ist natürlich nicht ernst gemeint, das ist alles mit einem Augenzwinkern. Aber ich hab' mir dabei gedacht: Um der Rap-Szene zu gefallen und iren Erwartungen zu entsprechen, hätt' ich ja auch irgendwelche Rapper nehmen und die dann zerpflücken können. Aber, wie gesagt: Das wäre mir zu limitiert gewesen. Und ich hab' ja auch mit denen allen nix zu tun. Dann find' ich das viel lustiger, wenn man die Feindbilder höher ansetzt. Bei Leuten, wo jeder 'ne Meinung drüber hat, als dass man sich in der Rap-Szene untereinander zerfleischt. Das hat es früher auch nicht gegeben. Wir haben uns nicht gegenseitig zerfleischt, sondern unterstützt. Und haben uns ganz andere Feindbilder ausgesucht. Das setze ich hiermit fort, im Endeffekt.

Die Feindbilder sind durchaus breiter gestreut.

Bei mir jetzt? Ja. Aber die kennt ja nu' jeder, die Feindbilder, die ich aufliste. Und jeder hat so ein bestimmtes komisches Meinungsbild oder nimmt diesen Mann oder diese Frau nicht so ganz ernst.

"Der Deichkind-Bonus zählt null!"

Du trittst seit Jahren auch immer wieder als Schauspieler in Erscheinung. Was findest du denn schlimmer: das Filmgeschäft oder den Rap-Zirkus?

(Überlegt) Also, ich empfinde beides jetzt nicht als schlimm. Wie gesagt: Das Rap-Ding ist ja 'ne richtige Massenware geworden, und ich hab' mit dieser Szenerie null zu tun. Deswegen ist mein Album auch total befreit von dem, das normalerweise so stattfindet. Das Feature mit Eko Fresh ist eigentlich auch nur zustande gekommen, weil wir zusammen gearbeitet haben, an dieser "Blockbustaz"-Serie, deren Pilot ja gewonnen hat. [Im Rahmen des ZDF neo TV Labs treten verschiedene Serienideen gegeneinander an, eine Jury bewertet die Konzepte und wählt drei aus, von denen eine Pilotfolge abgedreht wird. Die treten in einem Voting gegeneinander an. Vom Gewinner, 2014 eben "Blockbustaz", wird eine komplette Staffel produziert, d. Red.] Da drehen wir jetzt die erste Staffel. Ansonsten: Filmgeschäft, Rapgeschäft ... was die Protagonisten angeht: Mit den Leuten, mit denen ich mich umgebe, find' ich überhaupt nichts schlecht. Beides ist für mich einfach eine Abwechslung. Ich liebe es, beides zu machen.

Du hast insbesondere für deine Darstellung in "Für den unbekannten Hund" Lob kassiert.

Ja, das war meine erste größere Rolle, die ich eigentlich noch sehr holprig vorgetragen hab'. Aber das ist natürlich auch ein Zusammenspiel mit Regisseur und Schauspielern. Die beiden Regisseure [die Brüder Dominik und Benjamin Reding, auf deren Konto unter anderem auch "Oi!Warning" ging, d. Red.] sind natürlich keine 08/15-Normalo-Regisseure, sondern das sind schon extreme Burschen gewesen. Die haben mich zwar mit Samthandschuhen angepackt. Aber ich bin da schon durch eine harte Schule gegangen, wenn ich das jetzt mal mit anderen Regisseuren vergleiche.

Zuletzt hab' ich dich im "Tatort" gesehen.

Genau - und in diesem "Blockbustaz"-Piloten mit Eko Fresh. Da sind die Stromberg-Leute dabei, das Pastewka-Team dabei: Das ist eine richtig geile Sitcom. Da spiele ich eher so einen verpeilten Typen. Total was anderes als jetzt so "Tatort"-Geschichten. Aber vielleicht eher näher dran an dem alten Ferris MC (lacht), nur ein bisschen niedlicher verpeilt. Die Folge hat halt gewonnen, gegenüber zwei anderen Piloten. Da drehen wir jetzt, von Juli bis September, eine ganze Staffel von sechs bis acht Folgen. Dann hab' ich noch einen Kino-Film mitgedreht, der heißt "Taxi". Da hab' ich nur eine kleine Rolle mitgespielt. Der kommt jetzt irgendwann ins Kino. Und dann hab' ich noch eine größere TV-Produktion, die jeder von euch kennt, worüber ich aber noch nicht sprechen darf, abgedreht. Die kommt im Herbst.

Klingt nach einem durchaus ausbaufähigem Karrierestandbein.

Auf jeden Fall. Das mach' ich ja schon von Kindheit an. Nur meine Zeit hat es mir nicht erlaubt, noch mehr Filme zu drehen. Hab' ich auch gerne gemacht, aber ich musste auch wegen Deichkind schon drei bis vier Rollen absagen.

Reden wir noch ganz kurz über Deichkind: In einem Interview hast du vor ein paar Jahren behauptet, du habest "eine poetische Note in den Deichkind-Kosmos gebracht". Echt jetzt?

Das war, weil ich "Luftbahn" geschrieben hatte. (Lacht) Sowas Kitschig-Poetisches hats da noch nie gegeben, im Deichkind-Kontext. Ich glaube, sowohl auf "Befehl Von Ganz Unten" mit "Der Mond" als auch mit "Porzellan Und Elefanten" bei "Niveau Weshalb Warum" wird diese rote Linie fortgesetzt. Das wurde so ein bisschen übernommen: keine Angst zu haben vor auch leicht kitschigen Sachen, die aber total selbstbewusst und ernsthaft meinen.

Ausgerechnet der ewige Freak bringt die Poesie mit?

Ja. Wahnsinn. (Lacht) Was für ein Quantensprung!

Deichkind, man kann es nicht anders sagen, sind durch die Decke gegangen.

Das stimmt.

Bist du denn darauf vorbereitet, mit deinen Solo-Sachen jetzt wieder kleinere Brötchen zu backen?

Davon geh' ich aus. Ich gehe davon aus, dass wir bei Null anfangen, egal ob Deichkind-Bonus hin oder her. Ich glaube, der zählt in dem Moment null, da Deichkind nicht aus Ferris MC besteht, sondern aus Deichkind. Die Tour im Herbst, die ich geplant habe, da setzen wir die Clubgröße bei 500 bis 1.000 an. Natürlich mit der Option, hochzuverlegen, allerdings sind wir auch realistisch und wollen lieber die kleinen Clubs voll haben als die großen Hallen leer.

Zumindest die Deichkind-Bühnenshows dürften sich, was Dimensionen und Durchgeknalltheit angeht, schwer toppen lassen.

Das stimmt. Jetzt mittlerweile sind wir schon auf einem ziemlich krassen Level. Ich glaube, da ist nicht mehr viel Luft nach oben.

Was erwartet einen dann, wenn man zu einer Ferris MC-Liveshow kommt?

Ich werde natürlich mit 'ner Band spielen, und wir werden natürlich noch ein bisschen mehr Gas geben als auf dem Album. Mein Verlangen ist natürlich schon, dass der alte Punkrocker in mir dann live das auch ein bisschen ausleben kann. Mit seinen Leuten, die dann kommen. Die sollen schon verschwitzt nach dem Konzert nach Hause gehen können. Das gehen sie nach dem Deichkind-Konzert ja auch, aber alles ist natürlich zum jetzigen Zeitpunkt nicht so pompös, nicht so aufgeblasen oder aufgepumpt. Es konzentriert sich mehr auf die Musik, auf das Abgehen und das Gefühl. Wie das Album auch: Die Emotion muss rüber!

Neben Emotion gehts auf dem Album auch um Suche - nach dem Glück ohne Scherben, ohne Nebenwirkungen. Gibts das überhaupt?

Also, ich befinde mich momentan in genau diesem Zustand. In dem Glück-ohne-Scherben-Zustand. Früher hab' ich aus dem Scherbenhaufen mein Glück gezogen. Mittlerweile ist es genau umgekehrt. Ich brauch' keine Scherben mehr, um Glück zu empfinden. Der Song wiederum beschreibt natürlich eher die Hoffnung auf Hoffnung und auf einen gewünschten Neuanfang.

Du musst heute also nicht mehr alles kurz und klein schlagen - oder eben mit dem Monstertruck über den Haufen fahren?

Ja, genau. Aber wenn, dann einfach nur aus purer Lust und mit einem Lächeln im Gesicht.

Ist das dieses Erwachsenwerden, von dem alle reden?

Das ist dieses Erwachsenwerden, ja. (Lacht) Das ist dieses Erwachsensein! Das wurde ich heute auch schon gefragt: wie ich erwachsen werden wollte. Für mich ist es so, dass ich sage: Früher, als junger Mensch machst du vieles aus dem Bauch heraus. Unbedacht, unbefangen. Und als Erwachsener kannst du auch vieles aus dem Bauch heraus machen. Allerdings denkst du vorher über die Konsequenzen nach.

Klingt einigermaßen gesund. Danke dir!

Schön! Dann hoff' ich, dass wir spätestens in elf Jahren noch mal ein Interview führen.

Dann gehen wir zwar beide schwer auf die Zahnlosigkeit zu - aber ich schreibs mir in den Kalender.

Dafür gibts ja die Dritten. Und Kronen.

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