13. Januar 2011

"Der weiße Surfer ist cool mit dem schwarzen Gangster"

Interview geführt von

Dilated Peoples-Mitglied Evidence tourt im Rahmen der Rhymesayers-Tour und spricht unter anderem über den Unterschied zwischen Weed und Alkohol, den truesten aller Rapper und darüber, was Bushido nie hätte tun dürfen.Im September 2011 erschien des Wettermanns zweiten Longplayer "Cats & Dogs". Von der Fachpresse gelobt und von den Fans gefeiert, müssen die neuen Songs nun auch live ihre Reifeprüfung ablegen. Dafür begab sich Evidence mit Atmosphere, Brother Ali und anderen auf Rhymesayers-Tour quer durch Europa.

Bei ihrem Stop in Zürich ergab sich die Gelegenheit, dem Dilated Peoples-MC noch vor dessen Auftritt einige Fragen zu stellen. Ein braungebrannter und trotz Kälte fröhlich gestimmter Evidence begrüßte mich mit einiger Verspätung zum Interview. Die lässige Cap und der fein gedrehte Dübel in seiner Rechten versprühten umgehend Sympathie für den Kalifornier.

Nach einem Handschlag folgte die Frage: "You care if I smoke this shit up before we are doing the interview?" Natürlich nicht! Kurze Zeit später saß ich einem entspannten Rapper gegenüber, der trotz großer Erfolge mit seiner Crew auf dem Boden geblieben ist und sich fern jeglicher Arroganz meinen Fragen stellte.

Hey, bist du nervös vor dem großen Auftritt?

Nee, das kommt erst später.

Okay, lass' uns anfangen: Wie wichtig war für dich Los Angeles, um ein Rapper zu werden?

L.A. war genau so wichtig wie es New York war. Ein Teil meiner Familie kommt aus Brooklyn, die habe ich im Sommer immer besucht. Ich war ein etwas untypisches Kid aus L.A., das seine Großeltern in New York besuchte, dort die Stadt erlebte und dann wieder zurück kam. Aus diesem Grund war ich schon immer anders als die Kinder in meiner Nachbarschaft. Aber das prägte mich auch. In Venice Beach und Santa Monica, wo ich aufgewachsen bin, war Hip Hop einfach überall. B-Boying, DJing, Graffiti und alles, das dazu gehörte – es war gigantisch. Es war also nicht so, dass ich nur in New York mit Rap konfrontiert war und dann beispielsweise nach Kansas zurückkam, wo die Bewegung noch gar nicht angekommen war. Es passierte in L.A., und ich stand mittendrin. Mich beeinflussten beide Küsten unheimlich. Ich denke, dass das meinen Horizont ungemein erweiterte. L.A. war für meine Rapkarriere genauso wichtig wie New York.

Brooklyn ist nicht die beste Gegend, um unbekümmert auf der Straße zu spielen.

Richtig. Aber zu Beginn war es dort richtig cool. Doch dann in den späten 80ern und frühen 90ern wurde es ziemlich schlimm mit der Kriminalität und dem Drogenkonsum. Ich ging nicht mehr raus und blieb den ganzen Tag in der Stube. Es gibt in New York wunderschöne Flecken, keine Frage. Zuerst fand ich es dort richtig cool, dann begann ich, es nicht mehr so sehr zu mögen. Doch als ich mir dann meinen Freundeskreis in Manhattan aufbaute, liebte ich es wieder über alles, dort abzuhängen. Wenn ich dann meine Großeltern besuchte, war ich eigentlich nur noch in Manhattan und lebte mein eigenes New York City-Leben.

Kannst du dir ein Step Brother-Album mit dir und Alchemist vorstellen?

Das kommt auf jeden Fall. Ich kann dir nicht sagen wann, weil ich damit aufgehört habe, Release-Dates bekannt zu geben. Das bringt nur unnötigen Druck mit sich, der sich negativ auf die Künstler auswirkt. Es ist voll in unseren Köpfen, sobald wir zusammen Zeit finden, gehen wir das auch an. Aber im Moment ist Alchemist als Live-DJ von Eminem unterwegs, produziert Beats für wie Lil Wayne und andere Game-Schwergewichte. Er ist gerade einfach sehr beschäftigt. Aber das Ding kommt!

Für wie wichtig hältst du Beef oder Battle-Rap in der Hip Hop-Szene?

Das ist und bleibt ein sehr wichtiger Aspekt im Hip Hop. Mit Battle-Rap hat doch eigentlich erst alles angefangen. Ein Schritt kam nach dem nächsten und das ganze Ding explodierte und wurde riesig. Aber Beef gehört einfach genauso dazu, wie die Battle-Raps. Allerdings sollte man sich nach einem Battle ganz fair die Hände schütteln und am besten noch eine Tüte zusammen rauchen. Dieses Beef-Ding darf nicht ausarten, so dass jemand ernsthaft zu Schaden kommt. Was mit 2Pac oder Biggie passierte, ist einfach grauenvoll. Die Welt hat damit zwei großartige Künstler verloren. So weit darf es nicht kommen!

Wer samplet in deinen Augen am besten?

Alchemist. Ganz klar. Es gibt einfach keinen anderen, der es auf so eine mitreißende Art und Weise schafft, eine fette Melodie zu picken und über vier Minuten zu loopen.

Du selbst baust auch Beats. Aus welcher Musikrichtung samplest du am liebsten?

Die Klassiker sind ja schon Funk und Soul. Aber es gibt auch richtig schöne Sachen aus dem Progressive Rock. Da stehe ich in letzter Zeit voll drauf.

Was denkst du eigentlich über die Newcomer, die im Moment angesagt sind? Du bist schon seit den frühen Neunzigern am Start. Laufen dir die neuen Sachen rein oder eher nicht?

Der neue Scheiß rockt. Kein Zweifel. Es kommen so viele neue großartige Rapper heraus, da verliert man echt schon mal den Überblick. Ich komme gar nicht hinterher mit dem ganzen neuen Kram. Ich denke aber auch, dass man nicht alles verstehen muss. Gerade Odd Future, die sind cool aber nicht so sehr mein Ding. Aber das war schon immer so. Die Leute haben damals LL Cool J auch nicht sofort verstanden. Mich würde es ehren, wenn ich irgendwann mal ein Vorbild für Jungspunde werde. So wie für mich damals Pete Rock oder eben LL Cool J Vorbilder waren.

"Ich bin zufrieden damit, wer und was ich bin."

Wo kriegt man in Europa das beste Gras her?

Ich würde sagen Amsterdam. Oder Kopenhagen. Da gibts auch gutes Zeug. Es ist auch überhaupt kein Thema, an Gras heranzukommen, obwohl wir nicht von hier sind. We didn't miss one day!

Wenn wir schon beim Thema sind: Weed oder Bier?

Bei mir sind das zwei Paar Schuhe. Ich rauche gerne einen, um zu chillen, mit meinen Homies abzuhängen und um einfach runterzukommen. Beim Alkohol ist das anders. Alkohol trinkt man dann, wenn man was zum Vögeln aufreißen will. Man trinkt sich gut einen an, geht tanzen und macht Frauen an. Das ist beim Kiffen anders. Da geht es mehr um die Gemeinschaft und um ruhigere Momente. Nene, beim Alkohol gehts vordergründig ums bambam (lacht).

Ne, ernsthaft. Für mich sieht ein perfekter Tag folgendermaßen aus: Ich wache auf, mache mir einen Kaffee, baue mir einen Joint und chill' erst mal. Dann komm ich so langsam in die Stimmung, Musik zu machen. Ich hämmere auf meinem MPC herum, bis ein Beat dabei herauskommt, der mir gefällt. Dabei fallen mir Tausende Ideen ein und ich bin voll in meinem Element. Wenn dann der Beat steht und ich damit zufrieden bin, fange ich an, darüber zu rappen. Das unterscheidet mich, glaube ich, von anderen Rappern. Ich bin kein klassischer Produzent. Manchmal ist erst der Beat da, manchmal aber auch erst die Lyrics. Ich mache einfach mein Ding und worauf ich Lust habe.

Wenn wir schon beim Produzieren sind: Wie kam es dazu, dass du angefangen hast, Musik zu machen? Hast du ein klassisches Instrument gespielt?

Ich spielte Piano. Meine Mom hat mich dazu gezwungen. Das lag mir überhaupt nicht und ich hasste es. Aber im Nachhinein bin ich enorm froh darüber. Ich habe mir so ein Verständnis der Musik aneignen können, das mir jetzt ungeheuer dabei hilft, Beats zu bauen. Seitdem fällt es mir leichter eine coole Melodie zu picken oder einen passenden Rhythmus zu finden.

Gab es für dich als Weißen nicht Startschwierigkeiten beim Rappen? Als du begonnen hast, waren weiße Rapper ja eher eine Rarität.

Es war nicht einfach, akzeptiert zu werden, da hast du schon Recht. Dass es doch geklappt hat, habe ich zu einem Großteil Venice Beach zu verdanken. Wenn man aus der Gegend kommt, spürt man so etwas wie ein Gemeinschaftsgefühl. Der weiße Surfer ist cool mit dem schwarzen Gangster. Diese Mentalität verhalf mir dann doch zu einer gewissen Akzeptanz innerhalb der Szene.

Bevorzugst du in einem Club DJs, die neuere Sachen spielen, oder fährst du eher auf Old School-Hip Hop ab?

Dem stehe ich sehr offen gegenüber. Ich mag beides. Wichtig ist einfach, dass der DJ einen guten Mix spielt und das mit voller Begeisterung tut. Wenn ich merke, dass der Plattendreher voll in seinem Element ist und das mit Überzeugung tut, fahre ich darauf ab. Er gibt den Ton an.

Früher warst du viel mit dem Skateboard unterwegs. Wenn du dich entscheiden könntest, wärst du lieber Profi-Skater oder Rapper?

Rapper! Für mich gab es nie eine größere Leidenschaft. Skaten war ganz witzig und ich mein, ich komm aus Venice, da skatet einfach jeder. Aber das war immer nur ein Hobby von mir und nie wirklich ernst gemeint.

Kommst du noch manchmal zum Fahren?

Joa, schon hin und wieder. Ich benutze es halt als Transportmittel. Olli und Kickflip laufen schon noch. Aber eine Karriere als Profi-Skater käme für mich nicht in Frage.

Wie wichtig ist Fame für dich? Träumst du davon, ein Mega-Star wie beispielsweise 50 Cent oder Lil Wayne zu werden oder genießt du es einfach, dir Respekt im Underground abzuholen?

Das spielt für mich eigentlich keine so große Rolle. Ich bin einfach damit zufrieden, wer ich bin und was ich bin. Schau' mal, wenn ich bei meiner Release-Party vor 300 Leuten spiele und die alle ausflippen, dann bin ich absolut happy. Ich trete aber auch gerne vor 3.000 Leuten auf. Was ich sagen will, ist, dass es sich richtig und natürlich anfühlen muss. Das tut es im Moment'. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

"Erst kommt der Text, dann der Beat."

Rhymesayers kennen zwar die Underground-Heads, es gehört aber nicht zu den Major-Labels. Du kennst die ganz Großen. Dilated Peoples waren bei EMI gesignt. Independent vs. Major. Was gefällt dir besser?

Ich fühle mich sehr wohl bei Rhymesayers. Das ist im Moment einfach genau das Richtige. Ich kenn beide Seiten. Auf beiden Seiten gibt es Vor- und Nachteile. Bei einem Independent-Label zu sein ist auf jeden Fall cooler. Das heißt aber auch, dass bedeutend mehr Arbeit auf dich zukommt. Dafür bekommst du aber auch mehr Kohle pro verkauftem Album.

Bist du gerne auf Tour? Schaut ihr euch die Städte in denen ihr spielt auch an oder hetzt ihr von einem Gig zum nächsten?

Klar schauen wir uns die Städte an. Wir machen schon so Sightseeing-Touren, wenn es der Terminplan irgendwie zulässt. Das gehört zu den schönen Seiten am Touren. Du bist unterwegs, hast coole Homies um dich, triffst nette Menschen und siehst und erlebst viele neue Dinge. Da will man gar nicht mehr heim. Es kann aber auch anders laufen. Wenn es zum Beispiel sehr stressig zugeht, kann es einen schon auch mal ankotzen und dann will man nur noch nach Hause. Aber meistens macht es schon Spaß!

Womit würdest du dein Geld verdienen, wenn du kein Rapper wärst?

Weiß ich nicht genau. Auf jeden Fall irgendwas Kreatives. Fotographie interessiert mich. Es müsste halt etwas sein, in dem ich für mich selbst arbeiten kann. Ein Boss, der mir immer von oben herab sagt, was ich zu tun habe, wäre gar nichts für mich. Wenn er cool wäre, okay. Aber ich denke, ich würde lieber mein eigener Herr sein wollen.

Wie siehst du die deutsche Hip Hop-Szene? Bekommt man davon in den Staaten überhaupt etwas mit?

Nur sehr wenig. Ich kann mir nicht wirklich ein Bild davon machen, einfach weil ich nicht viel davon mitbekomme. Beats, die über Plattenfirmen angeboten werden, kommen manchmal aus Deutschland. Da spielt es auch keine Rolle, welche Sprache der Beatbastler spricht. Für mich sind die Texte unheimlich wichtig. Zuerst kommt der Text und dann der Beat. Da ich kein Deutsch spreche, verstehe ich auch die Lieder nicht. Ihr lernt Englisch und könnt damit unsere Texte verstehen. Dafür sollten wir euch echt dankbar sein. Thanks!

Bushido kann man hierzulande kaum aus dem Weg gehen. Auf seinem letzten Soloalbum hat er einen Beat von DJ Premier bekommen. Er veränderte ein paar Scratches, ohne ihm das zu sagen.

Ah ja, stimmt. Darüber habe ich was gehört. Das hat er total versaut! You never do that with Premo!

Du bist 34 Jahre alt. Wie siehst du dein Leben in zehn Jahren?

Ich hätte gerne eine Frau, die ich liebe, und eine Familie. Das Essen sollte pünktlich auf dem Tisch stehen und abends bringe ich sie dann ins Bett. Anschließend fahre ich noch ins Studio, baue ein paar Beats und komme zurück, noch bevor alle wach werden. So stelle ich mir mein Leben in der Zukunft vor. Ein klein wenig ruhiger und häuslicher als es jetzt ist.

Was hältst du von politischen Themen in Lyrics?

Ich kenn' mich selbst zu wenig aus in der Politik, um darüber rappen zu können. Aber prinzipiell ist das ein sehr wichtiger Teil von Hip Hop und eine schöne Form, seinem Frust darüber Gehör zu verschaffen. Das überlasse ich aber Rakaa. Das wäre nicht mein Ding.

Die Fachpresse war sich schon immer einig darüber, dass die Dilated Peoples wahren Hip Hop in seinen Grundzügen machen. Wer ist für dich der wahrste Rapper?

Slug (von Atmosphere) is the truest rapper alive.

Okay, das wars. Ich wünsche weiterhin noch viel Spaß auf eurer Tour und bin auf den Gig nachher gespannt.

Ich danke dir. Cooles Interview, weiß ich zu schätzen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Evidence

Am 10. Dezember 1976 erblickt Michael Perretta das Licht der kalifornischen Sonne in Santa Monica, Los Angeles. Sein Vater mit italienischem Wurzeln trennt …

Noch keine Kommentare