laut.de-Kritik

Kuschelhasen-Marteria mit Reimblockade.

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Auf "Flüssiges Glück" steht Enno Bunger ganz allein und wie ein begossener Pudel im "Neonlicht". Er ist kein Trio mehr, Bunger ist Bunger. Schlagzeuger Nils Dietrich findet sich nur noch bei den ihn umgebenen Musikern wieder, Bassist Berd Fricke gehört der Vergangenheit an.

Der Songwriter nutzt diese Veränderung, richtet sich neu aus. Auf den ersten Blick dominiert die Elektronik, der neu gefundene Sprechgesang. Zeitgleich wischt er einen Teil der Melancholie, die den Vorgänger "Wir Sind Vorbei" ausmachte, vor die Tür. Doch der Indie-Pop bleibt ihn ihm verankert, sucht sich immer wieder einen Weg an die Oberfläche. Er pendelt auf der Suche nach dem neuen Selbst zwischen Widersprüchen und Extremen. Mit beiden Armen stößt er sich von der sicheren Seite ab.

Wie bei jedem ordentlichen Experiment landet einiges an Dreck auf dem Laborkittel. Die Vorabsingle "Neonlicht" geht gehörig in die Binsen. Ein opportunistischer Ohrwurm, der die Augen auf der Suche nach den Lila Wolken weit aufreißt. Casper und Revolverheld haben angerufen und wollen ihre B-Seiten zurück.

"Wir flimmern und wir leuchten / Wir rauschen durch die Nacht / In keinem meiner Träume / War ich jemals so wach / Wir gehen erst nach Hause / Wenn wir wissen wo das ist / Ich will mich mit dir verlaufen / Irgendwo im Neonlicht." Deutlich zu wenig für einen Sänger, dessen Texte gerne mit Lob überhäuft werden. Da hilft die Zeile "Lasst die Propheten reden / Hier liegt der Gin des Lebens" nur wenig.

Dennoch gelingt "Flüssiges Glück" besser und besser, je weiter sich Bunger von der eigenen Vorlage entfernt. Im zehnminütigen "Hamburg", dem besten Song über das Gefühl der Hansestadt seit Kettcars "Landungsbrücken Raus", geht die Neuberechnung auf. Rußfarbene Bässe und nachtschwarze Beats verbinden sich mit seinem Klavierspiel.

Bunger perfektioniert sein neues Ich als Kuschelhasen-Marteria mit Reimblockade. Einen seiner intensivsten Momente erfährt das Album ausgerechnet, sobald Bunger in "Hamburg" seinen Mund hält. In der zweiten Hälfte entfernt sich das Stück abrupt vom Sänger und entwickelt ein Eigenleben als ekstatischer Club-Track. Ein Klavier-Outro rahmt die Schwermut des Liedes ein.

"Renn!" intensiviert diese Erfahrung und den neu gefundenen Sound ein weiteres Mal. "Wo Bleiben Die Beschwerden?" verbindet dies alles mit einer politischen Aussage. Deutlich und wütend. "Und irgendwo hinter der Glotze endet unser Tellerrand / Und wir richten ohne Glatze ähnlich großen Schaden an / Nein, es sind nicht die paar Nazis, es ist unsere Ignoranz / Lieber Bild, GNTM und Dschungelcamp am Bratwurststand / Als wäre es nicht in unserer Mitte, sondern nur am rechten Rand / Machen wir weiter unsere Witze über Gutmenschen im Land / Vergessene Geschichte wiederholt sich irgendwann / Ist unser Mitgefühl etwa in einem Flüchtlingsheim verbrannt?"

Enno kann seine Finger aber nicht von Bunger lassen, findet regelmäßig zum Klavier-Pop zurück. Das solide "Zwei Streifen", dass an die frühen Keane gemahnt, thematisiert und überromantisiert den Augenblick eines positiven Schwangerschaftstest, den Blick in die Zukunft zu dritt. Nah am Abgrund zum Pomp gebaut, überschreitet der Track diese Grenze einmal sogar deutlich. "Und wenn du dabei heulst / Kommt dann aus deinem Mund / Ein Regenbogen raus." Puh!

"Heimlich" stampft die Grenze zum Kitsch im Purple Schulz-Modus in Grund und Boden. "Man sagt: nur weil man gut aussieht, ist man lange noch nicht schön / Doch bei deinem Augenaufschlag / muss selbst Boris Becker stöhnen." Harter Tobak, den die makellose Ballade "Am Ende Des Tunnels", die wie Billy Joels "Piano Man" in ihrer Melancholie schunkelt, wieder ausbügelt. "Die Idole der Jugend, sie werben für Fastfoodprodukte / Ich glaub' das Licht am Ende des Tunnels ist kaputt."

Im Stillstand finden wir Sicherheit, denn Weiterentwicklung bezieht die Möglichkeit eines Fehlschlag mit ein. Dies erkennt auch Enno Bunger im Opener, singt "ich muss scheitern" und lässt uns im weiteren Verlauf an seinen Fehlschlägen Teil haben. Sein Image als begnadeter Texter lässt manche Feder. Trotzdem zieht er den Hörer auf "Flüssiges Glück" in den entscheidenden Momenten zu sich rüber. Sein drittes Album verfügt über eine eingebaute Heul-Garantie. Mal weinst du, weil dir vor lauter Tand unglaublich übel wird, mal weinst du, weil es dich so sehr berührt.

Trackliste

  1. 1. Scheitern
  2. 2. Neonlicht
  3. 3. Hamburg
  4. 4. Zwei Streifen
  5. 5. Heimlich
  6. 6. Nichts Immer Alles Jetzt
  7. 7. Renn!
  8. 8. Wo Bleiben Die Beschwerden?
  9. 9. Am Ende Des Tunnels
  10. 10. Klumpen

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