laut.de-Kritik

Die Schönheit des Verfalls.

Review von

Sie wollen eine Pause machen, verkünden Efterklang 2014, reflektieren und ihren Ausdruck neu definieren. Nun, was macht man in so einer Pause? Eine Oper komponieren, 2015 damit 16 exklusive Shows spielen, ein Sideproject gründen (Liima) und mit diesem Anfang 2016 ein Album veröffentlichen. Ich verstehe etwas anderes unter 'Pause', aber gut.

Jedenfalls liegt hier jetzt eine neue Efterklang-Platte. "Leaves – The Colour Of Falling" präsentiert die eben angesprochene Oper in Albumform. Wer jetzt etwas im Stile Mozarts, mit Orchesterauflauf, klarer Dramaturgie etcetera erwartet, könnte falscher kaum liegen. Allerdings erwartet das wohl auch niemand, der die Band kennt. "Leaves – The Colour Of Falling" ist eine moderne Avantgarde-Oper, an der man sich bisweilen schonmal die Zähne ausbeißen kann – teilweise macht sie das aber auch selbst.

Klanglich entfernen sich Efterklang dabei gar nicht so weit von ihrem Sound, wie sie ihn etwa auf dem Vorgänger "Piramida" zeigten. Die Grundparameter sind dieselben. Nur ziehen und zerren Efterklang an diesen herum, biegen sie nach ihren Vorstellungen zurecht. Am besten stellt man sich den bisherigen Stil der Band als Körper vor: Um "Leaves – The Colour Of Falling" zu erschaffen, reißen die Musiker diesen Körper auf, wühlen in den Gedärmen herum, quetschen die Organe – liebkosen die gefledderte Schale in anderen Momenten aber auch (z.B. "Leaves").

Die Wirkung dessen lässt sich ideal anhand einer Filmparallele erklären: Manchmal erfüllt zur Schau gestellte Viszeralität zweifellos einen Zweck; manchmal ist sie aber auch einfach überflüssig. Das Album verfügt über beides. György Ligeti-artige Dissonanzen erscheinen in "Imagery Of Perfection" oder "Abyss" und funktionieren dank kompositorischer Einbettung hervorragend. Das Klagelied "Spider's Web" dagegen wirkt in seiner exzentrischen Darbietung mehr gewollt denn tatsächlich gebraucht. Der berühmte Fragesatz "Ist das Kunst oder kann das weg?" dürfte einem beim Hören dieses Werks öfter durch den Kopf spuken. Die Antwort variiert von Song zu Song – teilweise auch im Laufe eines Songs.

So verpufft das abschließende "Wind" leider in nichtssagender Effekthascherei, so sehr die entfachten Explosionen und mehrstimmigen Chormantras auch nach Epik streben. "No Longer Me" versucht sich als Gegenstück zum exakt gleichlangen "Imagery Of Perfection", balanciert ähnlich wie dieses auf dem schmalen Grat zwischen Ruhe, Verzweiflung und pointiert instrumentiertem Chaos, setzt hörbar mehr Akzente, lässt die Solistin durchdrehen, bleibt aber trotzdem immer kühl und distanziert. "Imagery Of Perfection" zieht den Hörer hingegen förmlich in sich und seine drückende Atmosphäre hinein.

Dann allerdings gibt es Momente, wie beim eröffnenden "Cities Of Glass", das kompositorisch auf höchstem Niveau spielt und sowohl rhythmisch als auch melodisch zu überzeugen weiß. Schon die Ethno-Percussion gleich zu Beginn und die bald Blaue Blume-haft ertönende Gesangsline liefern dem Album seine Daseinsberechtigung. "It's a castle with many chambers" heißt es später im Text. In der Tat. Bereits "Cities Of Glass" verfügt über mehrere. Zum Ende hin peitscht der Track seine Vokalisten zum Wiederholen der Titelzeile und schwingt sich so in einen Synthie-getriebenen Höhepunkt, der Herzklopfen und Schweißausbrüche verursacht.

Während die meisten Stücke hakenschlagend dem Avantgarde-Anspruch gerecht werden, startet die Single "The Colour Not Of Love" zunächst vergleichsweise stringent. Statt Operngesang erklingen Casper Clausens 'normale' Rock/Pop-Vocals. Erst später setzen Sopranistinnen, Countertenor und Bass mit ein. Streicher prägen das Arrangement des Songs – sowohl mit nervösen, rhythmusgebenden Stakkatos, als auch breiten Melodiebögen, die die sehnsuchtsvolle Stimmung des Tracks grandios transportiert.

Co-Komponist Karsten Fundal sagt über die Oper: "Wir wollten das Gefühl vermitteln, das man bekommt, wenn man an einem schönen Herbsttag sieht, wie ein braunes Blatt vom Baum in den Garten fällt – dieser wunderschöne, wiegende Fall, der besagt: alles wird zugrunde gehen." Diesen Zwiespalt zwischen realistischer Untergangsphilosophie und der gleichzeitig daraus entspringenden friedvollen Zufriedenheit fängt "The Colour Not Of Love" gerade mit seiner simplen, zurückhaltenden Schönheit ein. Einerseits wünscht man sich deshalb, die restlichen Tracks würden manchmal vielleicht nicht ganz so ausgefranst vor sich hin mäandern und stetig Vorschlaghammer mit Quasi-Stillstand abwechseln. Andererseits ist es wohl diesem Umstand geschuldet, dass "The Colour Not Of Love" so herausragt.

Und dann wäre da noch "Abyss", das weit entfernt von der harmlosen Indiepop-Fassade des eben angesprochenen Kollegen seinen Namen vertont. Die Brachialrhythmik in Kombination mit Nicolai Elsbergs Bassstimme erinnert tatsächlich irgendwie an Rammstein. Statt das im Verfall ein letztes Mal erblühende welke Blatt ungestört seinen Weg fliegen zu lassen, schicken Efterklang regelmäßig aufrührende Windstöße hinterher.

So entzieht sich "Leaves – The Colour Of Falling" konsequent jedem Schubladendenken. Es ließe sich streiten, ob Efterklang diese Tugend nicht insgesamt etwas zu vehement durchboxen. Kunst kann sperrig sein, bisweilen muss sie das sogar. Raubt man ihr bei aller Extravaganz aber den Raum zur Entfaltung, verliert sie ihre Strahlkraft.

Trackliste

  1. 1. Cities Of Glass
  2. 2. Imagery Of Perfection
  3. 3. Spider's Web
  4. 4. The Colour not of Love
  5. 5. Leaves
  6. 6. Stillborn
  7. 7. Abyss
  8. 8. No Longer Me
  9. 9. Eye Of Growth
  10. 10. Wind

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2 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Superb geschriebene Rezension. Ich habe noch keinen Ton der Platte gehört, aber durch die tollen Beschreibungen des Sounds und einzelner Stücke kann ich mir (mit Efterklang-Vorkenntnissen) relativ gut vorstellen, wie das Ganze klingen wird.

    Trotz der vielen erwähnten Kritikpunkte (und der auch nicht so berauschenden 3/5) hab ich definitiv Lust mir das Teil anzuhören. Bin gespannt!

    BTW: Da Piramida damals von vielen ja komischerweise zerrissen wurde, kann ich denjenigen die nach einigen Durchläufen aufgegeben haben nur raten, der Platte vielleicht nochmal eine Chance zu geben. Bei 10 Umdrehungen aufwärts fängt das Ganze dann an so richtig Laune zu machen. Mittlerweile einer meiner meistgehörten Scheiben ever.

    • Vor 7 Jahren

      Wurde piramida zerrissen? Hab ich gar nicht so in Erinnerung. Ich fands ein ganz gutes Album

    • Vor 7 Jahren

      Erinnere mich schon an einige negative Kritiken, auch hier auf laut.de hieß es "Indietronic ohne Tiefgang". Und auf RYM liegt das Album mit einer Durchschnittswertung von 3.15 von 5 auch eher im Naja-Bereich.

    • Vor 7 Jahren

      du hast recht. hatte ich gar nicht so in Erinnerung. bei plattentests ist es damals ganz gut weggekommen, sowohl von der Redaktion als auch von den Usern. Und hier sind die Userbewertungen ja auch recht gut.

  • Vor 7 Jahren

    Klingt eher nach Afterklang.

    • Vor 7 Jahren

      Ja, so ähnlich empfand ich nun auch beim ersten reinhören. Es fängt ja vielversprechend an, die Sounds sind nett, und erinnern eindeutig an frühere Werke. Aber der Operngesang zerstört bei mir alles. Unhörbar. In der Kritik klingt das ja alles noch recht interessant, aber "in echt" einfach nur unhörbar für mich. Bekommt definitiv keine zweite Chance von mir. Sehr schade, hoffe auf ein baldiges normales Efterklang-Album, nach deren "Pause". Da hör ich dann doch lieber das diesjährige Liima-Album.

    • Vor 7 Jahren

      ich war sehr enttäuscht, als ich herausfinden musste, dass kot gar icht so schmeckt, wie er riecht :(