laut.de-Kritik

Tränenreiche Hommage an die Achtziger.

Review von

Schon klar, man soll weder Buch noch Platte jemals nach seiner Hülle beurteilen, doch im Fall von "Ullages" bietet die Oberfläche einen guten Einstieg in die Veränderungen, die den Hörer auf dem zweiten Album der Eagulls erwarten. Statt eines ausgebrannten Autos zeigt das Cover zwei Vogelscheuchen, die irgendwo zwischen schwelgerischer Idylle und Einsamkeit aneinander vorbei blicken. Auch der Titel präsentiert sich weniger geradlinig und bildet den Bandnamen im Gegensatz zum Vorgänger nicht nur ab, sondern formt ein Anagramm, das übersetzt so viel wie "Flüssigkeitsverluste" bedeutet.

Einsamkeit, Schwelgerei, Umstellung und der Verlust von Flüssigkeit (in Form von Tränen) sind dann auch allesamt Kategorien, die sich als prägend für "Ullages" erweisen. Nach dem ungestümen Postpunk-Debüt baden Eagulls nun in ausufernder Melancholie, die mal an Dreampop, mal an Goth und New Wave angelehnt ist, aber stets auf die Achtziger Jahre verweist. Das Klangbild hat sich entsprechend gewandelt: Verzerrung sucht man vergebens, stattdessen schmiegen sich nun hallende Gitarren aneinander, bis eine sanfte Wall Of Sound entsteht, die an The Cure in der Zeit um "Disintegration" erinnert.

Passend dazu klingt Frontmann George Mitchell mehr denn je nach Robert Smith, ohne zu einer bloßen Kopie zu verkommen. Bei aller Veränderung sind die Eagulls immer noch als sie selbst erkennbar, es hat analog zur Neusortierung des Bandnamens lediglich eine Refokussierung stattgefunden. Was an Energie bei diesem Prozess verloren ging, das kompensiert die Band nun mit Melodien und atmosphärischen Arrangements, die Stücke wie den getragenen Pop-Song "My Life In Rewind" ermöglichen.

Mitchells Stimme überschlägt sich teils vor lauter Pathos, das an Morrissey zu besten The Smiths-Zeiten erinnert, gerade wenn es zu Zeilen wie "Painting With Tears From My Eyes", die von seufzend-schleppenden Gitarrenläufen untermalt werden. Diese Art von Melancholie, die auch mal ins Plakative abrutscht, ist symptomatisch für "Ullages", steht der Band jedoch gut zu Gesicht und wiederholt die Frage des Debüts mit neuer Attitüde: Wieso geht es mir eigentlich so beschissen?

Statt jedoch mit keifendem Gesang und Lo-Fi-Sound anzuklagen, üben sich Eagulls 2016 in bestens ausproduziertem, transparentem Leiden, das sich regelmäßig mit der Monotonie des modernen Lebens auseinandersetzt. "Skipping" bringt dieses Thema mit einer simplen, aber effektiven Metapher auf den Punkt, begleitet von einem angriffslustigen Bass: "All I ever wanted was an answer / But all I ever got was just a broken record skipping".

Dass Mitchell vorab ankündigte, die Texte dieses Albums seien positiver, kann man ebenso als Sarkasmus abtun, wie den Titel des Songs "Euphoria". Ausgelassen klingt hier gar nichts, stattdessen fantasiert sich der Sänger zu einer twangenden Johnny Marr-Gedächtnis-Gitarre in ein anderes, besseres Leben hinein. Solche Träumereien erweisen sich jedoch immer als realitätsferne Gebilde, die zwangsläufig enttäuschen müssen.

Leicht hätte das zu einer selbstmitleidigen Platte führen können, bewiesen die Eagulls nicht immer wieder ein ausgezeichnetes Gespür für Melodien und Arrangements. Wie sich die wolkigen Gitarren in "Aisles" etwa haushoch auftürmen bis zu einem furiosen Finale, ist eine Lehrstunde für all die Shoegaze-Bands, die bei ihrer Fixierung auf Atmosphäre vergessen, den Songs eine Dramaturgie mit auf den Weg zu geben.

Zugegeben: Auch auf "Ullages" verlieren sich einzelne Songs ein wenig zu sehr in den großen Klangräumen, die die Band eröffnet, etwa das dröge "Psalms". Doch diesen Preis zu bezahlen lohnt sich. Mit weniger Wagemut hätten sie vielleicht ein solides zweites Album aufnehmen können, wären jedoch hinter dem Überraschungseffekt des Debüts zurückgeblieben. Mit "Ullages" haben die Eagulls neues Gebiet erschlossen und sich fit für die Zukunft gemacht.

Trackliste

  1. 1. Heads Or Tails
  2. 2. Euphoria
  3. 3. My Life In Rewind
  4. 4. Harpstrings
  5. 5. Velvet
  6. 6. Psalms
  7. 7. Blume
  8. 8. Skipping
  9. 9. Lemontrees
  10. 10. Aisles
  11. 11. White Lie Lullabies

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