3. Februar 2014

"Ein bisschen krank, so bin ich nun mal"

Interview geführt von

Vom Schlafzimmer- zum Bandprojekt und wieder zurück: Für das dritte Dum Dum Girls-Album "Too True" nahm Bandgründerin Dee Dee die Fäden wieder selbst in die Hand.

Berlin, Anfang Dezember 2013: Dee Dee von den Dum Dum Girls ist in der Stadt, um der nationalen Presse vom neuen Album zu berichten. Dabei erweist sich der vermeintlich zierliche Vamp aus New York als kälteresistentes Energiebündel, das sogar vor Minustemperaturen nicht zurückschreckt. Die herrschen gerade in der Hauptstadt, als wir uns mit der Sängerin in einem überfüllten In-Café unweit des Stadtzentrums zum Plausch verabreden.

Mit der rauen Witterung hat die Amerikanerin allerdings überhaupt keine Probleme. Dee Dee stört sich vielmehr am Lärmpegel innerhalb des Cafés. Und so nimmt sie uns erst mal an der Hand und sucht einen ungestörten Platz im offenen Hinterhof der Location. Dort plaudern wir über Schüchternheit, Kontrolle und alte Helden.

Hi Dee Dee, lieber bibbern als schreien?

Dee Dee: (lacht) Ja, mit Kälte habe ich kein Problem. Schon gar nicht in Berlin. Ich liebe diese Stadt. Hier fühle ich mich immer total wohl und irgendwie unter Gleichgesinnten. Ich brülle nur nicht so gerne, wenn ich mich mit jemandem unterhalte.

Du bist generell keine Person, die gerne für öffentliches Aufsehen sorgt. Du magst es eher ruhig und weist in Interviews immer wieder auf deine Schüchternheit hin. Nicht gerade der perfekte Charakter, wenn man sich für eine Karriere als Sängerin und Frontfrau einer Band entscheidet, oder?

Nein, nicht wirklich (grinst). Es gibt oft Situationen, in denen ich mich und meine Arbeit als Sängerin hinterfrage. Da sitzt dann ein kleines Männchen bei mir im Hinterkopf und fragt mich dauernd, warum ich mich auf eine Bühne stelle, mein Innerstes nach außen kehre und dabei wildfremdem Menschen als Zielscheibe diene.

Das ist schon ziemlich verrückt, das gebe ich zu. Aber hinter diesem einen Männchen hockt auch noch ein anderes, das mich antreibt und mich permanent dazu ermutigt, all diese verrückten Dinge zu tun. So befinde ich mich in einem stetigen Hin und Her zwischen Vernunft und Wagemut.

Klingt anstrengend.

Das ist es manchmal auch. Aber so bin ich nun mal – ein bisschen krank, aber glücklich (lacht). Ich weiß aber, dass es vielen anderen Musikern ähnlich geht. Das hilft mir ungemein.

Gab es schon Momente, in denen das Vernunft-Männchen nicht mehr zu beruhigen war?

Oh ja, die gab es schon oft. Vor allem früher musste ich mich manchmal regelrecht auf die Bühne zwingen. Während dieser Zeit entstand auch die Idee mit der Schminke und der uniformen Garderobe. Das war eine Form von Selbstschutz. Mittlerweile geht es aber. Ich leide zwar immer noch unter Lampenfieber, aber nicht mehr in dem Ausmaß wie früher.

"Das ist ein bisschen wie Magie"

Ich konnte allerdings selbst bei den ältesten Liveaufnahmen keinerlei Nervosität auf der Bühne feststellen. Setzt beim Betreten der Bühne ein gewisser Automatismus ein?

Ja, irgendwie schon. Das ist ein bisschen wie Magie. Sobald die Musik einsetzt, festigen sich Körper und Geist. Das ist schwer zu beschreiben. Es ist wie ein Rausch, der einen übermannt und all die schlotterigen Gedanken mit einem Wisch wegspült. Dieses Gefühl ist letztlich auch der Grund dafür, warum man sich immer wieder diesem Auf und Ab stellt.

Du stehst nicht nur auf der Bühne im Mittelpunkt, sondern auch wenn es um die Fertigstellung eines neuen Dum Dum Girls-Albums geht. Songwriting, Aufnahmen, Produktion: Du hältst die Zügel immer fest in der Hand. Wie wichtig ist dir Kontrolle?

Im Gegensatz zur Livesituation, wo man den Umständen ausgeliefert ist und ständig irgendetwas Unerwartetes passieren kann, folgt man im Studio einem gewissen Plan. Hier ist es mir noch wichtiger den Überblick zu behalten. Ich weiß nicht, ob ich mich als Kontrollfreak bezeichnen würde, aber es fällt mir schon sehr schwer, Dinge abzugeben.

Bei eurem letzten Album "Only In Dreams" konntest du es. Damals war die komplette Band in den Aufnahmeprozess involviert. Das neue Album "Too True" stammt hingegen wieder komplett aus deiner Feder. Gab es keinen Zwist zwischen dir und den anderen Bandmitgliedern, als du ihnen deine Entscheidung mitgeteilt hast?

Nein, gar nicht. Die Mädels wissen, dass das Ganze im Grunde genommen mein Baby ist. Beim letzten Album haben wir es einfach mal ausprobiert. Irgendwie passte die Stimmung, und es fühlte sich gut an. Ich bin auch heute noch mit dem Ergebnis zufrieden. Ich mag die Platte und ihren Vibe, bei dem man merkt, dass live aufgenommen wurde.

Diesmal war ich in einer anderen Stimmung, die aber nichts mit den Mädels zu tun hatte. Ich verspürte einfach den Drang, wieder so zu arbeiten wie damals, als ich im Schlafzimmer unzählige Demos und Ideen aufnahm und mir einen eigenen kleinen musikalischen Mikrokosmos zusammenbastelte.

Inwieweit diente die im vergangenen Jahr erschienene EP "End Of Daze" als Generalprobe für die Arbeiten am neuen Album?

Das Prozedere war natürlich hilfreich, keine Frage.

Du sprachst vorhin von der Stimmung, die mitentscheidend dafür sei, wie letztlich ein Album bei euch entsteht. Du hast gesagt, dass du dich vor und während der Aufnahmen von "End Of Daze" in einer schwierigen, teils auch chaotischen Lebensphase befandst. Hast du dich vielleicht auch deswegen für einen neuerlichen Alleingang entschieden?

Darüber habe ich auch schon öfters nachgedacht. Ich denke, dass es unterbewusst schon eine Rolle gespielt hat. Ich hatte wirklich viele Dinge in meinem Kopf, die ich verarbeiten, sortieren und einordnen musste. So etwas mache ich in der Regel lieber mit mir selbst aus.

"Das Geschäft ist Segen und Fluch zugleich"

Welchen Part übernimmt dein Ehemann Brandon Welchez (Crocodiles) in so einer Phase?

Nun, er ist an meiner Seite. Es sei denn, er ist mitverantwortlich für eine solche Phase (lacht). Nein, im Ernst: Brandon hilft mir enorm. Die Tatsache, dass er selbst Musiker ist, macht vieles einfacher. In unserer Beziehung weiß jeder genau, wie sich der andere gerade fühlt. Man muss sich nicht erst stundenlang erklären und das ganze Programm von vorne bis hinten durchkauen, weil der Partner das Dasein als Musiker nur aus dem Fernsehen oder der Zeitung kennt. Wir wissen beide genau, was Musik und das ganze Business drumherum mit einem anstellen können. Das Geschäft ist Segen und Fluch zugleich.

Wie war denn dein Befinden während der Aufnahmen zum neuen Album?

Ich fühlte mich befreiter. Ich habe versucht, all die negativen Schwingungen zu absorbieren und in etwas Positives zu verwandeln. Das war für mich das Wichtigste, als es um das Schreiben neuer Songs ging. Im Grunde genommen ist Musik für einen Künstler auch immer eine Form der Selbsttherapie. Selbst die absurdesten Geschichten über Menschen am anderen Ende der Welt haben immer auch irgendwie etwas mit einem selbst zu tun. Davon bin ich zumindest überzeugt.

Was mir beim Hören zuerst aufgefallen ist, ist der voluminöse Grundsound. Trotz der Tatsache, dass sich die Produktion des Albums wieder am Bedroom-Projekt orientiert, klingt das Ganze um einiges kompakter als der Vorgänger "Only In Dreams", der von der kompletten Band eingespielt wurde. Wie kommts?

Ich wollte einfach etwas Neues wagen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich stundenlang mit Richard (Richard Gottehrer) und Sune (Sune Rose Wagner, The Raveonettes) Löcher in die Luft gestarrt habe, während wir uns im Kollektiv überlegten, was man ändern könnte. Letztlich landete noch eine dritte Gitarre mit auf dem Album. So klang alles irgendwie eine Spur dramatischer und voller. Ich wollte Poppiges ins Dunkle ziehen, ohne dafür zu weit ausholen zu müssen.

In der Presse wirst du oft mit Susanna Hoffs von den Bangles verglichen. Stört dich das?

Nein, gar nicht. Ich meine, wir stehen beide auf Sixties-Sounds, kaputte Netzstrümpfe und emotionale Grundstrukturen. Das passt doch, oder (lacht)? Letztlich wird doch jeder Künstler irgendwie verglichen. Das ist ganz normal. Im Grunde ist doch alles irgendwie schon mal dagewesen. Es geht eigentlich nur noch darum, aus all dem bereits Vorhandenen etwas Eigenes zu kreieren.

Die Bangles spielten schon immer eine Rolle in meinem Leben. Ich mag ihr Gespür für langlebige Harmonien. Wenn mich die Leute nach meinen musikalischen Einflüssen fragen, dann pendle ich immer zwischen Bands der Sechziger und Achtziger hin und her. Das sind die beiden Jahrzehnte, mit denen ich musikalisch am meisten anfangen kann.

Velvet Underground, The Cure und U2?

Exakt (lacht). Diese Mischung ist doch perfekt, oder? Ich finde auch viel dieser Künstler in unseren Songs wieder, ohne das Gefühl zu haben, eine bloße Kopie zu hören. Vor allem auf dem neuen Album geht es verstärkt um die Kombination dessen, für was besagte Bands standen.

Es gibt diese experimentelle Note von Velvet Underground, genauso wie den Wave-Vibe von The Cure und den rockigen Touch der Anfangszeit von U2. Dazu noch eine Prise Dramatik und haufenweise Emotionen. That's it! So, jetzt wird mir aber doch ein bisschen kalt.

Kein Problem. Dann lass uns wieder reingehen. Hab Dank für das Gespräch.

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