7. März 2013

Noch mehr Samples und Loops? Warum nicht?

Interview geführt von

Bereits im letzten Oktober wurde das aktuelle Disco Ensemble-Album "Warriors" über das finnische Label Fullsteam Records veröffentlicht. Doch offenbar hält doppelt besser, und so erscheint das Album dieser Tage abermals in den Vö-Listen – diesmal allerdings via Sony, und mit der freundlichen Unterstützung von Til Schweiger, dem wohl bekanntesten deutschen Fan der Finnen. Der parkte nämlich mal eben einen Song des Albums ("Second Soul") auf dem Soundtrack seiner neuen Filmkomödie "Kokowääh 2".Die drei Finnen von Disco Ensemble gehören sicherlich zu den entspanntesten und bodenständigsten Menschen, die mit Rockmusik ihren Lebensunterhalt bestreiten. Trotz einer mittlerweile 15-jährigen Karriere im Biz inklusive international gefeierter Tourneen mit Linkin Park, Danko Jones und den Donots sowie regelmäßiger Top-Ten-Chart-Einstiege in ihrer Heimat haftet das Trio so fest am Boden wie ein mit Industriekleber fixiertes Saurierskelett im Museum für Naturkunde. Und so verwundert es auch nicht, dass Sänger Miikka Koivisto kaum eine Regung zeigt, obwohl wir zu Beginn unseres Interviews in Berlin gleich mit der Tür ins Haus fallen:

Hi Miikka, in vier Wochen kommt euer neues Album "Warriors" ein zweites Mal in die Läden; diesmal mit Sony und Deutschlands Vorzeige-Actor Til Schweiger im Rücken. Wie fühlt sich das an?

Miikka: Ehrlich gesagt nicht anders als vor vier Monaten. Wir freuen uns natürlich, dass das Album durch den Soundtrack jetzt noch mal einen extra Schub bekommt, aber mehr auch nicht. Wir sind keine Typen, die gerne auf roten Teppichen flanieren oder wilde Schampus-Orgien feiern, nur weil es sich durch vermeintlich veränderte äußere Umstände vielleicht anbietet. So sind wir nicht – so waren wir auch noch nie. Wir sind einfach nur froh, dass wir mit dem, was uns am meisten Spaß macht, unsere Rechnungen bezahlen können. Ich weiß, das klingt ziemlich langweilig, aber so ist es nun mal.

Eine Einstellung, die im Rock'n'Roll-Zirkus nicht gerade weit verbreitet ist.

Ja, mag sein. Aber das interessiert uns nicht. Wir feiern zwar auch hin und wieder ganz gerne, aber in erster Linie wollen wir uns über unsere Musik definiert wissen und nicht über gehaltlose Exzesse abseits des eigentlichen Geschehens. Wir sind ziemlich durchschnittliche Typen, die während der Konzerte zwar ziemlich auf die Kacke hauen können, aber ansonsten doch eher wenig Spannendes zu bieten haben (lacht).

Mit eurer Musik präsentiert ihr ja auch Spannung genug. Wie denkst du eigentlich heute über euer aktuelles Album, nachdem jetzt vier Monate seit der "eigentlichen" Veröffentlichung vergangen sind? Ändert sich die Wahrnehmung des Inhalts mit der Zeit?

Das ist eine sehr interessante Frage. Nach den Aufnahmen haben wir unzählige Shows gespielt, bei denen sich die einzelnen Songs des neuen Albums in eine völlig neue Richtung entwickelt haben. Live präsentieren sich die meisten Songs oftmals in einem ganz anderen dynamischen Gewand.

Woran liegt das?

Jedes Konzert ist anders. Man hat zwar die Basis im Kopf und in den Fingern, aber je nach Stimmung des Abends präsentiert sich das Ganze immer wieder neu. Das ist unheimlich spannend und immer wieder faszinierend. Man experimentiert noch mal rum und lässt der Spontanität auf der Bühne freien Lauf, sodass es für mich unheimlich schwer ist, die Songs, so wie ich sie jetzt im Ohr habe, mit den Songs auf dem Album zu vergleichen. Ich habe das Album aber auch, ehrlich gesagt, schon lange Zeit nicht mehr gehört. Ich denke, dass es auf jeden Fall interessant wäre zu wissen, wie die Songs jetzt klingen würden, wenn wir das Album ein zweites Mal aufnehmen würden (lacht).

Wir haben einfach nur ein Wort gesucht, das cool klingt.

Vielleicht etwas dreckiger?

Gut möglich (grinst).

Das würde bestimmt viele ältere Fans von euch freuen, die sich in der Vergangenheit darüber beschwert haben, dass ihr zu weich geworden seid. Nerven dich derartige Stimmen?

Nein, nicht wirklich. Es wird immer Leute geben, die sich über irgendwas das Maul zerreißen. Zum Teil kann ich diese Leute ja auch verstehen, aber wir sind nun mal Musiker, die sich weiterentwickeln wollen.

Demnach könnten Songs wie "Second Soul", "Hologram" oder "Eartha Kitt" durchaus als musikalische Wegweiser für die Zukunft angesehen werden?

Schon möglich, warum auch nicht? Es war unheimlich spannend für uns mit neuen Ideen und Strukturen ins Studio zu gehen und diese dann auch umzusetzen. Gut möglich, dass wir in Zukunft noch mehr mit Loops und Samples arbeiten werden. Ich finde das auch nicht verwerflich, so lange sich das Ganze noch unter Rock kategorisieren lässt.

Viele eurer alten Fans, die es gerne etwas härter mögen, schmunzeln über den Albumtitel.

Oh, das kann ich gut nachvollziehen (lacht). Der Titel hat wirklich keine tiefere Bedeutung. Wir haben einfach nur ein Wort gesucht, das cool klingt. Die Entscheidung trafen wir letztlich auch ziemlich spontan und aus dem Bauch heraus. Der Titel und auch das Artwork entstanden erst kurz bevor das Presswerk bei uns Alarm machte. Wir sind wirklich keine aggressiven Typen, die sich in irgendeiner Form als "Krieger" bezeichnen würden. Wir fanden, dass "Warriors" einfach gut klingt. Außerdem standen wir, wie gesagt, etwas unter Zeitdruck (lacht).

Ihr seid jetzt schon seit fünfzehn Jahren unterwegs und vor allem in eurer Heimat extrem erfolgreich. Außerhalb Finnlands kommt es aber auch immer wieder zu Back-to-the-Roots-Erlebnissen, Stichwort: Europa-Tour-Auftakt vor einigen Wochen in Kopenhagen vor nicht einmal 50 Zuschauern. Wie geht ihr mit einem derartigen Wechselbad der Gefühle um?

Ja, Kopenhagen war schon krass (lacht). Ich habe übrigens nur zwanzig Leute an diesem Abend gezählt.

Entschuldige, ich dachte mir, 50 Leute klingt schon ernüchternd genug.

Miikka: Ja, das stimmt natürlich (grinst). Kopenhagen war aber auch ein besonderer Fall. Ich weiß nicht warum, aber wir waren vorher noch nie in Dänemark unterwegs. Insofern hatten wir auch kein volles Haus erwartet. Aber ein paar mehr Leute hätten es schon sein können (lacht).

Es spielt keine Rolle, ob wir vor 10.000, oder vor zwanzig Leuten spielen.

Kann sich so etwas auch negativ auf eine Show auswirken?

Mag sein, dass es Musiker gibt, die nur ihr ganzes Potential abrufen können, wenn die Bedingungen passen. Bei uns ist das aber nicht so. Natürlich ist es schöner, wenn der Laden ausverkauft ist und die Leute wie wild zur Musik tanzen und alle einen Riesenspaß haben. Aber, wie ich vorhin schon sagte, wir sind in erster Linie Musiker und dankbar für jeden Auftritt. Da spielt es eigentlich keine große Rolle, ob wir vor 10.000, oder eben nur vor zwanzig Leuten spielen.

Was ist denn die größere Herausforderung?

Das ist schwer zu beantworten. Es ist natürlich eine fantastische Sache, vor ausverkauftem Haus in Helsinki zu spielen, wo die ersten zehn Reihen jeden Song mitsingen und dich förmlich auf Händen tragen. Das zeigt uns natürlich, dass wir über die Jahre hin vieles scheinbar richtig gemacht haben. Aber auch derartige Shows sind keine Selbstläufer, zumal jeder Anwesende sofort merkt, wenn man sich aufgrund der Euphorie zu sehr von der eigentlichen Arbeit auf der Bühne entfernt. Bei einer solchen Show bleibt nichts unentdeckt. Das ist wohl die größte Herausforderung.

Bei einer Show, wie beispielsweise jene in Kopenhagen, herrschen komplett andere Bedingungen. Dort kommt es darauf an, die Leute zu überzeugen, die sich trotz der fremden Band auf der Bühne in die Location verirrt haben. Hier hat man etwas mehr Spielraum. Aber man muss halt auch noch ein paar Prozent draufpacken, um die Leute für sich zu gewinnen. Beides hat also seinen ganz besonderen Reiz.

Das klingt nach einer Band, die einfach nur dankbar ist – egal ob sie vor 10.000 Leuten spielt, oder aber nur vor einer Handvoll Zuschauer. Ist das so?

Exakt. Genauso ist es. Und eben diese Einstellung bewahrt uns davor abzuheben. Es gibt einfach keinen Grund, uns für etwas Besseres zu halten, nur weil wir erfolgreiche Rockmusik produzieren. Wir sind wirklich allesamt sehr bodenständig, haben Familien, Frauen und Kinder. Wir sind einfach total normale Typen, die auf Tour auch mal Heimweh haben.

Obwohl ihr das Musizieren über alles liebt?

Ja, klingt komisch, oder? Aber auf Tour stehst du ja leider nicht 24 Stunden auf der Bühne. Die meiste Zeit hockt man in engen Fahrzeugen, spielt am Laptop rum, quatscht mit tausenden Leuten und wartet. Man wartet eigentlich nur darauf, dass es abends endlich losgeht. So ist das zumindest bei uns der Fall.

Klingt nach mehr Frust als Lust, oder?

Naja, es gibt auch Tage auf Tour, an denen wir die Dinge etwas anders laufen lassen (lacht). Aber grundsätzlich läuft es schon so ab. Zum Glück wiegt aber die allabendliche Show alles wieder auf. Da fiebert man drauf hin. Und wenn es dann endlich losgeht, gibt es kein Halten mehr und alles ist vergessen.

Die Familien, die Frauen, die Kinder und das Heimweh?

Genau (lacht).

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