30. August 2008

"Wir aßen Pilze und zählten die Monde"

Interview geführt von

Auf dem Motor im Grünen-Festival trafen wir einen gut gelaunten Carl Barât. Wir fragten ihn nach seiner Beziehung zum Libertines-Kumpan Pete Doherty, wie es ihm nach seinem Zusammenbruch geht und natürlich nach dem neuen Album, das unlängst erschien."Oh what became of the likely lads?"

Dieser Frage wollten wir auf dem Motor im Grünen-Festival in Berlin Spandau auf den Grund gehen. Bereits die Ankunft bereitet uns Freude. Denn der Weg zum Freigeist-Prinzen Barât führt uns durch den Innenhof eines Renaissance-Schlosses, in dem am späteren Nachmittag die ersten Bands spielen sollen.

Kaum sind wir in den Katakomben des Schlosses angekommen, schlendert uns auch gleich Carl entgegen. Nach kurzer Vorstellung bittet er höflich, ob wir das Interview nicht lieber in seiner Garderobe machen können. "Da darf man nämlich rauchen".

Kein Problem: Die Garderobe der Dirty Pretty Things ist ein gemütlicher Backstage-Raum mit Sofas und einem guten Sortiment an alkoholischen Getränken. Erstaunlich, denn Medienberichten zu Folge trinkt Carl seit seinem Kollaps im Juni keinen Alkohol mehr, er habe sogar der ganzen Band ein Alkoholverbot erteilt. Zeit, das gleich mal zu klären.

Carl, ich dachte bei euch in der Band herrscht ein Alkoholverbot. Stimmt das?

Carl: (lacht) Nein, nein! Du solltest mal die Boys sehen. Man, das ist richtig beschämend (lacht).

Du wurdest ja Mitte Juni wegen eines Bauchspeicheldrüsenkollapes ins Spital eingeliefert. Was war da los?

Nun ja, ich nahm Pillen gegen meine Kopfschmerzen. Eigentlich nahm ich verdammt viele davon. Danach trank ich eine Menge russischen Vodka. Gut, ich trank in letzter Zeit grundsätzlich sehr viel. Das haute mich dann um. Nun fange ich halt von ganz vorne an.

Das heißt, du selber trinkst überhaupt nichts mehr?

Doch. Aber nicht mehr so viel.

Ich habe gelesen, dass in deinen Augen die Gigs besser sind, wenn kein Alkohol im Spiel ist. Ist das so?

Das soll ich gesagt haben (lacht)? Well, no. Ich habe eigentlich vergessen, wie die Konzerte vorher waren - ohne Alkohol. Es macht mir nichts aus. Es spielt eigentlich gar keine große Rolle - die Musik ist das wichtigste. Aber Alk kann natürlich schon angenehm sein. Das Problem ist, dass ich immer angenommen habe, dass an Konzerten die ganze Crowd genau so betrunken sei wie ich. Und ich dachte, dass ich sie enttäuschen würde, wenn ich nicht betrunken bin.

"Alle wurden ein bisschen verrückt"

Lass uns über das neue Album reden. Bist du zufrieden damit?

Hm. Ich glaub schon (überlegt). Doch, ich bin zufrieden damit. Es widerspiegelt sehr gut die Zeit, in der wir es schrieben.

Wie unterscheidet es sich von eurem ersten Werk "Waterloo To Anywhere"?

Es ist ein bisschen herzergreifender. Manche sagen, ein bisschen zu viel. Aber in meinen Augen ist es das nicht.

Ihr habt ja euer neues Album in Los Angeles aufgenommen. Warum seid ihr dorthin gefahren?

Weil es billiger ist als in England.

Mochtest du den Ort?

Nein, es war schrecklich. Wir lebten nicht in Hollywood selbst sondern in einer Gegend, die einer Betonwüste glich.

Gibt es denn - außer Geld - sonst noch einen Grund, ein Album in L.A. und nicht in England aufzunehmen?

Oh, wir wollten einfach raus aus all dem Scheiß, ehrlich gesagt. Doch nach einer gewissen Zeit in L.A. wurden wir alle ein wenig verrückt. Wir gingen raus in die Wüste - ungefähr zwei Stunden von L.A. entfernt ... wie die Doors!

Aha. Und was habt ihr da so getrieben?

Well, wir haben Pilze gegessen und die Monde am Himmel gezählt (lacht). Wir sind da einfach bisschen rumspaziert.

Nachdem ihr das Album eingespielt hattet, bist du für drei Wochen nach Spanien gefahren. Ich las, du fühltest dich dort wie ein Mönch in einer Zelle - nur du und deine Gitarre. Was hast du dort gemacht?

Haha. Das klingt fast ein bisschen kitschig. Es hätte genauso gut Alaska sein können, das spielt keine so große Rolle. Weil im Grunde da nur ich und der Himmel waren. Ich habe da viel nachgedacht, und ich habe viele Bücher gelesen.

Was für Bücher denn?

Ich las viele Romane. Und ich las viel von Bukowski, nur um herauszufinden, dass ich Bukowski eigentlich gar nicht so mag. Weißt du, viele Leute schreiben so lange Listen, in denen sie beschreiben, was sie so getan haben. Das ist langweilig. Ich will keine verdammten Listen lesen. Ich will eine Story. Ich mag zum Beispiel Graham Greenes "The End of the Affair" sehr. Das ist ein verdammt gutes Buch.

Einer eurer Songs heißt "Tired of England". Hattest du England auch schon satt?

Yeah, manchmal. Die Menschen zum Beispiel oder ironischerweise die englische Attitüde ... ach, ich kann gar nicht aufhören rumzunörgeln (lacht). Ich nehme England als einen großen Organismus wahr.

Du hast mal gesagt, dass es in England bald einen politischen Sturm geben wird. Was hast du damit gemeint?

Oh, ich denke, ich habe mich eine Zeit lang wie Nostradamus gefühlt. Well ... Musik reflektiert die Zeit und auch Bewegungen. Du kannst dich echt glücklich schätzen, wenn du in Zeiten einer Bewegung eine gewichtige Stimme hast. Ein Teil einer Bewegung zu sein, ist etwas Großartiges. Mittlerweile haben wir aber überall nur so kleine Szenen. Das kann mit der Zeit ganz schön langweilen. Ich würde eine große Bewegung viel mehr begrüßen.

Kannst du eine solche Bewegung ein wenig genauer beschreiben?

Ich meine damit zum Beispiel den Punk in den 70er. Das war eine Bewegung. Oder Oasis in den 90er.

Glaubst du, dass ein Künstler etwas bewegen kann. In politischer Sicht?

Ich sehe die Rolle des Künstlers eigentlich darin, das kollektive Bewusstsein zum Ausdruck zu bringen.

"Klar kann ich mir vorstellen, wieder mit Pete aufzutreten."

Nun seid ihr mit "Romance At Short Notice" auf Tour. Wo trittst du am liebsten auf?

Ich liebe es, in kleinen Clubs zu spielen. Das ist meistens sehr aufregend. Alle tun sich zusammen, und es entwickelt sich ein richtiges Feuer. Die Musik auf der Bühne ist zwar meistens sehr laut, aber auch verdammt gut. Ich mag es, in diesen kleinen dreckigen Clubs zu spielen, wo jeder nur für diese eine fucking second leben will. Darum geht es.

Was macht ihr eigentlich abseits der Bühne gerne zusammen?

Wir sitzen viel rum und spielen zusammen Gitarre, laufen bisschen rum oder trinken ein Bier. I don't know. Manche der Guys schauen sich auch gerne Filme an. Grundsätzlich sitzen wir aber rum und reden über die verschiedensten Dinge.

Viele wünschen sich eine Reunion der Libertines. Welche Band, deren Mitglieder noch leben, würdest du gerne wieder zusammenführen?

Die müssen alle noch leben? (überlegt lange) Das ist eine verdammt schwierige Frage. All die Guten sind ja schon tot. Hm ...

Na gut. Dann dürfen sie meinetwegen auch schon tot sein.

Hm. The Velvet Underground. Also für die Frage davor. Und sonst - The Beatles.

Wenn wir schon bei Reunions sind. Kannst du dir vorstellen, noch mal mit Pete aufzutreten?

Yeah! Ich denke zwar, dass es harte Arbeit wäre, aber klar, sicher.

Wie ist die Beziehung zu ihm zurzeit?

Wir haben eine gute Beziehung zueinander. Wir konnten nicht viel miteinander reden, da wir uns für eine ganze Weile nicht gesehen haben. Aber Yeah, grundsätzlich haben wir eine gute Beziehung.

Was sind deine nächsten Pläne?

Das ist ein Geheimnis.

Ich habe etwas über ein Album mit Reverend and The Makers gelesen ...

Ach, das ist immer noch ein Geheimnis (murmelt etwas Unverständliches). Es gibt viele Dinge zu tun. Jetzt habe ich ja mehr Zeit. Jetzt, wo ich nicht mehr so viel trinke.

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