laut.de-Kritik

Geheimtipp, Legende und Inspiration für die Metal-Szene.

Review von

Manchmal passieren in der Welt des Pop und Rock Dinge, die nicht nur unerklärlich, sondern im hohem Maße ungerecht erscheinen. Während es Gruppen gibt, denen der Erfolg geradezu über Nacht zuzufallen scheint, bekommen andere, vielleicht ebenso talentierte Künstler trotz toller Leistungen kein Bein auf den Boden.

Auf eine gewisse Art gilt das auch für dieses großartige Heavy Metal-Album und die Band, die es schuf. Trotz aller Qualitäten wäre die Scheibe möglicherweise schon längst in Vergessenheit geraten, wenn nicht inzwischen höchst populäre Epigonen immer wieder auf ihre Existenz hingewiesen hätten.

"Lightning To The Nations" von Diamond Head ist ein kaum zu toppendes Highlight der legendären New Wave Of British Heavy Metal, darin sind sich alle ernst zu nehmenden Metalheads gleich welcher Generation einig. Aber allein der Umstand, dass dieses Meisterwerk voller Kraft, Erhabenheit und melancholischer Düsternis trotz diverser Wiederauflagen niemals in einem auch nur halbwegs ansehnlichen Cover herauskam, zeugt schon von einer gewissen Tragik.

Die erste, von der Band selbst heraus gebrachte Auflage erschien fast schon blasphemisch als "The White Album" betitelt natürlich in einem bei häufigen Gebrauch schnell schmutzig werdendem neutral-weißen Papp-Cover in limitierter Auflage. Heutzutage ein gesuchtes, teures Sammlerstück.

Die Ausgabe der Platte beim ominösen Hamburger Label Woolfe Records, dort endlich "Lightning To The Nations" benannt, kann nur als schlechter Witz bezeichnet werden. Da scheint irgendjemand eine alten Landkarte recht verschwommen fotografiert zu haben, über die er ein brennendes Feuerzeug gehalten hat. Auf diese auf Pappe gedruckte Sternstunde der Fotografie wurde der Name der Band handschriftlich mit einem schwarzen Edding geschmiert und darunter der Titel etwas sorgfältiger mit roten Druck-Buchstaben aufgebracht.

Als ich diese Platte zum ersten Mal in der Hand hielt, dachte ich nur: 'Was soll denn der (pardon) Scheiß?'. Selbst die aktuellen Covers dieses immer wieder aufgelegten und um zahllose Bonustracks erweiterten Kultalbums mit dem irgendwann erfundenen statischen, diamantenen Bandlogo machen nichts wirklich besser. Es ist hoffnungslos.

Als damals aber der Inhalt dieses so obskur verpackten Machwerks zum ersten Mal auf dem Plattenteller lag, dauerte es nur etwa eine Minute, um die wahren inneren Werte zu erkennen. Hier erklangen auf sieben Gänsehaut erzeugenden Stücken die mächtigsten Riffs seit Black Sabbath, galoppierten die wildesten Rhythmen vor Metallica in ihrer gloriosen Anfangszeit und verstörten rätselhafte, teils hoffnungsvolle, teils verzweifelte Texte, die von einer manchmal unfertig wirkenden und dennoch total faszinierenden Stimme vorgetragen wurden. Auf die Rolle von Metallica im Zusammenhang mit dieser Platte kommen wir später noch zu sprechen.

Es beginnt mit dem gleichnamigen Titeltrack, an dessen Anfang Chefgitarrist Brian Tatler sozusagen ein paar Schicksals schwangere 'Hornstöße' von der Gitarre in die Arena bläst, bevor der Song Fahrt aufnimmt und sich die klare, hohe, immer etwas leidende Stimme von Sänger und Gitarrist Sean Harris dazugesellt. Darauf folgt ein Wechselspiel von Beschleunigung und Verzögerung, dem nach und nach immer mehr Breaks, Riffs und Gitarrenfarben hinzugefügt werden. Schon jetzt ist klar, dass hier ein Meister der Axt am Werk ist, der vor Einfallsreichtum geradezu strotzt.

Es folgt "The Prince", das ganz locker einen draufsetzt. Anfangs unterlegt von einer prägnanten Hammond-Orgel, angetrieben von geradezu aufreizend lässigen, fast arroganten Gitarrenriffs und einem unbeirrt vorwärts rollenden Bass, mäandert sich dieser fabelhafte Rocker durch unzählige schöne Gitarrenlinien, Soli und Einsprengsel. Harris scheint weniger zu singen, als sich wie ein Raubvogel aus großer Höhe mit schrillen Schreien auf den Song zu stürzen, um sich seine Beute zu greifen, das gilt fast für das komplett Album. Kille!

Die anschließende fast zehnminütige, heftig pulsierende akustische Kopulations-Orgie "Sucking My Love", die teilweise Urahnen wie Led Zeppelin alle Ehren erweist, führt den Hörer unwiderstehlich zum ersten Orgasmus angesichts dieser Prachtscheibe. Harris steigert sich im nach und nach an Intensität zunehmenden Mittelteil sozusagen in seine ureigene gesangliche Klimax hinein. Besser kann es nicht kommen, so könnte man meinen.

Aber weit gefehlt! An vierter Stelle wird für siebeneinhalb Minuten Metal-Geschichte geschrieben und gespielt. "Am I Evil" marschiert wie ein majestätischer Gladiator in den Ring, den nichts und niemand aufhalten kann. Textlich eine Beschreibung von Inquisition, Hexenverbrennung und blutiger Rache bewegt sich das Stück musikalisch zwischen totaler Kontrolle, technischer Überlegenheit und wütender Raserei.

Nichts kann den Sturm der Rachelust aufhalten, den Harris hier in zornigen Zeilen artikuliert. Und keiner kann den ineinander verschachtelten Riffs widerstehen, die dieses Meisterwerk quasi mehrsprachig machen. Bis heute ist sich die Gemeinde größtenteils einig, dass dieses Stück unter die zehn besten Stücke des Heavy Metal ever eingereiht werden muss. Ein Signature-Song, der einen auch beim tausendsten Durchlauf noch atemlos macht und aufgewühlt zurücklässt.

Darf es auch mal etwas einfacher zugehen? Vielleicht ein Liebeslied? Ja, mit "Sweet And Innocent". Aber selbst bei einem vordergründig so schlichten Song flicht Brian Tatler noch ein paar faszinierende Stolperer ein, und bei Sean Harris weiß man nie, ob da nicht doch noch was Schmutziges nachkommt. Ein kleines, geiles Stückchen.

Mit "It's Electric" kommen Diamond Head auf sich selbst zu sprechen. Strotzend vor Spielfreude und Optimismus wollen sie es schaffen und mindestens eine Million machen. So singt zumindest Sean Harris. Es ist in der Zukunft dann doch ein wenig anders gekommen. Wer weiß, ob der Fade Out am Ende des Stückes nicht so etwas wie ein böses Vorzeichen war.

Wie auch immer, der Schlusstrack "Helpless" rauscht so geradlinig, unwiderstehlich und vielfarbig durch die Lautsprecher, dass man sich wünscht, er würde nie aufhören. Diamond Head müssen zu dieser Zeit vor Kreativität und Selbstbewusstsein übergequollen sein. Der Ideenreichtum dieser Platte hätte eigentlich für drei Scheiben Qualität gereicht. Aber die Band lieferte schon auf dem zweiten Dreher "Borrowed Time" von 1982 viel Durchschnitt und Selbstplagiat ab.

Das dritte Werk "Canterbury" kam akustisch dann so weichgekocht, dass sich die Fans der ersten Stunde mit Grausen abwandten. Und so war schon etwa drei Jahre nach diesem Edelstein erst mal Schluss. Die Originalbesetzung fand später nie mehr zusammen.

Was hat das nun, wie erwähnt, mit Metallica zu tun? Als deren Drummer Lars Ulrich noch ein kleiner Metal-Fan war und auch noch einen vernünftigen Musikgeschmack besaß, verehrte er Diamond Head und ihre prägnanten Riffs sehr. Und so coverten Metallica unter seinem Einfluss zu ihren Anfangszeiten live etliche Songs der Band und verewigten vier der sieben Songs von "Lightning To The Nations" vor allem auf den Rückseiten ihrer ersten Maxi-Singles.

Es flossen wohl auch etliche Riffs und Song-Strukturen der Vorbilder in ihre ersten Stücke ein, was speziell auf dem Metallica-Debüt "Kill 'em All" zuweilen deutlich zu hören ist. Darüber hinaus hat Ulrich im Laufe der Zeit Diamond Head immer wieder gefeaturet, beispielsweise auf einem von ihm kompetent zusammengestellten NWOBHM-Sampler, der noch einige andere recht obskure Bands aus dieser Zeit beinhaltet. Auch sonst hat er wohl einiges getan, um die alten Helden im Gespräch zu halten.

Vielleicht führte auch das dazu, dass Diamond Head mit vielen Unterbrechungen noch heute aktiv sind. Vom alten Line-Up ist bedauerlicherweise nur der unverwüstliche Brian Tatler übrig. Dennoch, wenn die jetzige Diamond Head-Coverband, so wollen wir das mal nennen, irgendwo live den alten Klassiker "Am I Evil" intoniert, dann recken sich immer noch die Fäuste in die Luft und fliegen die Matten. Ein bisschen Ewigkeit bleibt immer.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Lightning To The Nations
  2. 2. The Prince
  3. 3. Sucking My Love
  4. 4. Am I Evil
  5. 5. Sweet And Innocent
  6. 6. It's Electric
  7. 7. Helpless

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