25. August 2009

"Ich dachte an ein Mädel im Hunsrück"

Interview geführt von

Mit Frank Dellé begibt sich der dritte Seeed-MC auf Solo-Pfade. "Before I Grow Old" lautet der Titel seines Albums, das in erster Linie seine nicht-deutsche Hälfte repräsentieren soll. Die Message, wie des Sängers Grundeinstellung: durch und durch positiv.Den Alleingang von Boundzound mag mancher verpasst haben. An Peter Fox und seinem "Stadtaffen" führte im letzten Jahr kein Weg vorbei. Jetzt zieht der dritte Seeed-MC nach: Frank Dellé veröffentlicht mit "Before I Grow Old" ein Solo-Album, das seine Wurzeln in zwei Kulturen widerspiegelt.

Dabei entstand ein derart gelungenes Album, dass man auf das verabredete Telefonat gerne ein bisschen länger wartet. Die beidseitige Unorganisiertheit lässt sich prächtig mit dem viel strapazierten akademischen Viertel rechtfertigen.

Alsdann erkläre ich die schauderhafte Akustik mit der Notwendigkeit, mich einer Freisprechanlage bedienen zu müssen, was meinen Gesprächspartner zu einem launigen Gruß in die imaginäre Runde verleitet:

Guten Morgen, die Damen und Herren!

Du glaubst doch nicht, dass bei dieser Hitze um die Zeit schon jemand hier ist! Hier schwitzt nur der Praktikant. Die Kollegen haben wahlweise Urlaub, sind noch gar nicht da oder schon wieder Kaffee trinken.

Oh Gott. Ja, es soll der heißeste Tag des Jahres werden, ist das so?

Hab' ich zumindest heute früh so im Radio gehört. Ist ja ein gutes Omen, eigentlich.

Ja! Ein bisschen Hitze, und dann schreien gleich alle. Mann, ist doch schön, echt!

Nächste Woche kommt Dein Album. Ist dann für Dich der gröbste Stress jetzt erst einmal abgefrühstückt?

Stress? Mann, es ist Freude! Es ist Freude. Ich hatte gestern überraschenderweise schon die erste Kopie in der Hand, und es fühlt sich so geil an. Wirklich! Davor war es so etwas Theoretisches. Etwas, das man irgendwie vorhat oder machen will. Aber dieses Gefühl, es in der Hand zu haben, von etwas zu reden, das einfach physisch da ist, nachdem du alle Texte noch mal wegen Rechtschreibfehlern durchgegangen bist, ob die Grafiken richtig sitzen, das Format, wieviele Seiten man zur Verfügung kriegt, um Texte abzudrucken ... Sowas, das war alles vorher. Natürlich auch das Kreieren der Musik. Und jetzt hab' ich es und ich kann es auspacken. Auch das, was ich auf dem Bildschirm gesehen hab', das Frontcover: Wie kommt das im Druck wirklich raus ... Hach! Ich bin beruhigt und zufrieden. Mein zweites Baby ist geboren. (Lacht)

Klingt, als seist Du ein Haptiker?

Auf jeden Fall bin ich ein Haptiker! Ganz klar! Ich umarme gerne Sachen, die ich gern hab', und stoße auch Sachen weg, die ich nicht mag.

Als ich las, "Wenn du jetzt nicht dein Roots-Album machst, wann dann, Alter?", habe ich mit deutlich klassischerem Reggae-Sound gerechnet. Ich war überrascht, wie unkonventionell und modern die Produktion klingt. Wie kam das?

Das ist oft so. Du hast einen Plan im Kopf, oder irgendein Ziel. Das ist wichtig, damit du überhaupt anfängst. Aber viel wichtiger ist, anzufangen. Was dann auf dem Weg zum Ziel passiert, ist oft durch so viele verschiedene Sachen beeinflusst. Ganz konventionell, das alte Rasta-Reggae-Klischee, das ist ja sowieso nicht meine Geschichte. Das bin ich nicht, obwohl ich ganz klar sehr stark von Bob Marley beeinflusst wurde. Bei dem hat mich immer fasziniert, wie der seine Message sozusagen über diese Musik transportieren konnte. Das hab' ich ihm einfach abgenommen. Aber meine Geschichte ist eine ganz andere. Genauso ist meine musikalische Konditionierung nicht rein durch jamaikanischen Reggae beeinflusst, sondern eben auch durch ... ja, durch Ghana, durch Deutschland, durch was auch immer. Das heißt, es ist eigentlich ganz klar, dass da verschiedene Sachen zusätzlich mit einfließen.

Weiterhin war natürlich nicht nur ich allein dafür verantwortlich, sondern ich hab' das Album mit Guido Craveiro zusammen produziert. Ich war wirklich froh, so einen Multiinstrumentalisten zu haben, der dir einfach mal ruckzuck verschiedene Varianten anbieten kann. Weißte, wenn ich gesagt hab', mach' mal mehr Pink rein, mehr Braun oder mehr Grün, dann hat der mir einfach mal 'ne Palette angeboten. Das ging relativ schnell. Dieses zu zweit Arbeiten, nicht in so 'nem Riesending, wo man ständig diskutiert. Ich glaube, dass das den Gesamtsound, wie es jetzt klingt, sehr stark mit beeinflusst hat.

Die Erfahrungen mit Seeed schlagen sich aber auch im Sound nieder.

Ja, natürlich! Klar, auf jeden Fall! Alles. Die erste Band hatte man irgendwo mit 13, jetzt ist man 39. Verschiedenste Sachen haben Spuren hinterlassen. "Wenn nicht jetzt, wann dann", das war auch einfach mehr oder weniger ein bisschen darauf bezogen. Nachdem ich diesen Guido getroffen habe, der Urlaub davor, die Pause zum richtigen Zeitpunkt ... Es hat einfach alles gestimmt. Es fehlte nur noch dieses sich selber drauf Einlassen, es wirklich machen zu wollen, zu sagen: Ja, ich mach' das jetzt trotzdem. Obwohl ich es eigentlich nicht vorhatte. Und es hat sich gelohnt. Ich will nicht mehr zurück. Ich bin superfroh, dass ich es gemacht hab'.

Nehmen wir mal nur einen Ausschnitt: Ich bin nach Ghana gefahren und hab' mit meiner Familie ein Video gedreht, ja? Wo irgendwie fünf Cousins und Cousinen drin sind. Egal, wie sich das jetzt verkaufen oder wie gut es ankommen wird: Es ist eine Erfahrung, die ich mit Seeed so nie hätte machen können, glaub' ich. Das kann ich meinen Enkelkindern noch zeigen. Wenn meine Schwester dieses Video zu "Pound Power" sieht, dann erkennt sie die Menschen. Sie sagt, das gibts eigentlich gar nicht ... Das sind so Sachen, die seht ihr draußen gar nicht. Aber für mich ist das schon so ein Erfolg, dass es sich komplett gelohnt hat. Jetzt schon. (Lacht)

Naja, wir hier draußen merken schon, ob jemand Spaß an der Sache hat oder nicht.

Ja, wenn das so ist! Ich glaube, so würde ich auch denken, aber es liegt ja im Auge des Betrachters. Zwei oder zehn Leute sehen dieselbe Sache oft mit so unterschiedlichen Augen. Man hat irgendeine Absicht, möchte vielleicht irgendetwas Besonderes zeigen, dann sieht man aber: Die Reaktionen auf ein und dieselbe Sache sind total unterschiedlich. Es ist immer so subjektiv. Wenn du sagst, dass du das siehst, freut mich das auf jeden Fall.

Musik ist ja sowieso eine subjektive Sache. Mir hat Curse vor Jahren mal gesagt: "Wenn ich eine Plattenkritik lese, weiß ich hinterher nichts über die Platte, aber 'ne ganze Menge über die Laune des Kritikers an dem Tag."

(Lacht) Sehr schöner Satz, genau. Das stimmt auch, glaube ich.

Ich denke mir schon manchmal: Woah, du kannst das heute nicht machen, du hast zu schlechte Laune dafür, das hat die Platte nicht verdient.

Krasse Macht, ey! Auf jeden, siehste, so hab' ich das noch gar nicht gesehen. Naja, klar, so ist es jetzt natürlich: Jetzt hat man etwas rausgebracht. Jetzt stellt man sich auch der Kritik, und jetzt beurteilen das andere. Das gehört wahrscheinlich einfach dazu. Aber ich glaube, wie gesagt: Das Wichtigste ist, dass man selbst erst mal der eigene Kritiker ist. Und natürlich das Umfeld, meine Frau, meine Schwester ... Da wird alles auf den Tisch gelegt. Da muss man ganz klar wissen: Okay, ich will das jetzt aber so, genau so. Und dieses Gefühl ist jetzt eben da: Ich hör' mir die Platte an und weiß, ich hab' da nichts drauf, das ich irgendwie scheiße finde. Jetzt dürfen die anderen darüber herziehen.

Super. Dann hab' ich ja grünes Licht.

Ja, genau.

Ich fürchte, das werd' ich gar nicht brauchen. Ich seh' eigentlich keinen Anlass, über dieses Album herzuziehen.

Du hast die Promo-CD?

Hmm. Genau.

Ach, Gott! Das ist ja alles noch gar nicht ... (Lacht) Wenn dir das schon gefällt! Das freut mich doch. Danke. Nice one.

"Kuck' dir die Welt an, und alles wird einfacher."

Du betonst immer, dass Du es eigentlich gar nicht hast machen wollen. Nachdem Du jetzt der dritte - und damit auch der letzte - bist, der bei Seeed den Alleingang wagt: Fühltest Du eine Art Gruppendruck, da in irgend einer Form nachzuziehen?

Nee, überhaupt nicht. Gruppendruck gar nicht. Bei Demba [solo als Boundzound unterwegs, d. Red.] hielt sich der Erfolg ja in Grenzen. Der hatte diesen geilen Radiohit, und dann war das alles so ein bisschen ... ja ... Erfolg, was ist Erfolg? Im kommerziellen Sinne, wieviele Platten man verkauft, oder wieviel Spaß man an seiner eigenen Produktion hat? Deswegen ist das immer so ein zweischneidiges Ding. Aber dass Peter Fox erfolgreich war: Ach, geil, ey! Da könnte ich eigentlich noch mal drei Monate Urlaub machen, dann ganz entspannt zurückkommen, dann gehts mit Seeed weiter und das wird der Hammer. Was der jetzt noch für Leute gezogen hat, die Seeed vorher überhaupt nicht kannten, die ja auch dann da alle hinkommen werden ...

Für mich war es so, dass, wenn der jetzt auch nicht erfolgreich geworden wäre, dann wär' Druck entstanden. Weil ich dann eher gedacht hätte: Scheiße, jetzt machen wir diese lange Pause, die Solo-Projekte gehen alle total nach hinten los, und im Endeffekt muss man dann sich wieder Gedanken machen. Aber dieser Mega-Erfolg war eher eine Erleichterung. Und überhaupt: In Deutschland ein englischsprachiges Roots-Album zu machen, das ist ja echt krasser Luxus, muss ich sagen. Um - im Sinne von Plattenverkäufen - wirklich erfolgreich zu sein, hätte ich ein deutsches Elektro-Album machen müssen. Das wird hier gehört und gekauft, von den Massen und im Radio und überhaupt. Nicht englischer Reggae. Für mich war aber möglich, so ein Album zu machen, mit einer Major-Plattenfirma, aufgrund des Erfolges von Seeed und von Pierre. So habe ich das empfunden.

Also eher entspannend, als wie eine sehr hoch gelegte Latte?

Ja. Ich will das auch gar nicht vergleichen. Ich glaube, das kann man überhaupt nicht. Ein deutschsprachiges Album von der Innovativität wie "Stadtaffe": Das ist ja wirklich was Neues. Da kann, find' ich, Deutschland drauf stolz sein, dass da oben jetzt mal einer ist, der es wirklich verdient hat, der Qualität bietet. Da kann man doch auch nach außen hin, Richtung Ausland, sagen: Kuck mal hier, das können wir auch. Das ist mein Album ja so in der Form gar nicht. Erst mal ist es englisch. Pierres Album, das singen ja die Vierjährigen, die können die Texte auswendig. Das wird natürlich bei Patois und Englisch nicht so sein. Das ist wirklich eher was für mich. Ich will zwar nicht sagen, dafür bin ich auch zu sehr Alphatierchen, das ist scheißegal, ich bin ja so cool und entspannt und es braucht nicht erfolgreich werden. Das nicht. Aber es ist nicht so, dass ich meins in irgendeiner Form mit Pierres Album messen würde. Ich glaube halt einfach, meins könnte auch etwas sein, das vielleicht auch in Frankreich oder in englischsprachigen Ländern Erfolg hat. Verglichen mit dem Genre Reggae/Dancehall - wenn das da mithält. Das wäre für mich, wenn ich vom kommerziellen Erfolg spreche, ein Erfolg.

Du hast mal gesagt, es sei schon immer dein Traum gewesen, ein englischsprachiges Reggae-Album aufzunehmen. Warum gerade auf Englisch? Viele andere fangen mit englischen Texten an und stellen dann fest, dass sie sich im Deutschen einfach besser ausdrücken können.

Nee, bei mir ist es schon so, dass einfach ein Großteil meiner Familie Englisch spricht und kein Deutsch versteht. Generell verstehen auch weltweit relativ wenig Leute Deutsch. Klar, von Deutschland aus betrachtet: Hier versteht man es. Aber meine Welt ist ja viel größer als nur Deutschland. Daher ist für mich ein klar englischsprachiges Album in Bezug auf meine Geschichte und zu dem, wie ich zu der Musik gekommen bin, schon konsequent. Bei Seeed sing' ich zwar auch eher die englischen Strophen, aber da gehört für mich auch ganz klar der deutsche Teil hin. Da gehört für mich Berlin hin. Da gehört für mich mein europäischer Teil hin. Mein Album zeigt sozusagen den anderen Teil. Ich bin nun mal aus beiden Kulturen, aber es ist schon auch betont eher der ghanesische, englische Teil, nicht der deutsche, der hier zum Zug kommt.

Du sagst, Deine Welt sei viel größer als Deutschland. Das ist Thema im Titeltrack, der - auch wenn ich ihn noch gar nicht in der endgültigen Fassung gehört habe - jetzt schon einer meiner Favoriten ist.

Oh, das freut mich aber. Ich hab' grad eben ein bisschen Gänsehaut gekriegt, als du das gesagt hast. Wirklich! "Before I Grow Old", das ist so 'ne schöne Nummer ... danke.

Da gehts ja unter anderem um Dinge, die man noch erledigen soll - und da in erster Linie ums Reisen. Du bist selbst schon ziemlich rumgekommen. Welchen Stellenwert hat das Reisen für Dich?

Ich sags mal so: Die Möglichkeit zu nutzen, sich Dinge anzukucken, go out there and see, das ist für mich auf jeden Fall interessant, weil: Ich hab' es gesehen. Ich bin nicht unbedingt von mir aus selbst der totale Reiser. Meine Schwester ist viel mehr gereist, hat ihr Geld immer in Reisen gesteckt. Ich bin so rumgekommen, weil wir viel umgezogen sind. Oft bin ich der, den meine Freunde mitziehen, und ich fahr' dann doch irgendwo noch mit hin. Aber ich habe die Menschen in unterschiedlichen Ländern kennen gelernt und sehe, dass die sich eigentlich alle sehr, sehr ähnlich sind. Man hat als Mensch den Horizont oft einfach nicht, sich vorzustellen, dass etwas, das anders ist, auch gut sein kann. Und zwar nicht nur hier in Deutschland, sondern überall. Es geht im Endeffekt darum, dass ich glaube, dass die Menschen generell immer gleich nett sind. Wenn man hinfährt und sich das ankuckt und sieht, dann erkennt man: Ah, ja. Stimmt. Das ist ja gar nicht so, wie ich dachte. Dass in Deutschland nur Nazis sind und in Afrika alle auf den Bäumen rumspringen, diese typischen Klischees.

Ich hatte mir bei dem Song, ehrlich gesagt, ein Mädel im Hunsrück vorgestellt, das in so einem Inzucht-Kaff groß wird, wo alle Generationen schon leben. "I am my village, my village is me. Is it all that I'll ever be?" Sie ist noch ganz jung und sitzt an ihrem Schreibtisch, kuckt raus und träumt von der Welt, wie sie sie sich vorstellt, und sagt: "I wanna see America. They say it's the land of the free." Also: Man sagt darüber, es sei das Land der Freiheit - was natürlich überhaupt nicht stimmt. Aber sie träumt so davon. Oder: "Africa, the land full of joyful people", wo sie glaubt, es sei da so. Sie will weg und ihre Familie sagt aber: "Ey, was willste da draußen, es ist doch alles hier, bleib mal schön."

Das kennen, glaub' ich, viele junge Menschen. Von daher ist "Before I Grow Old" auch nicht unbedingt auf Alter bezogen, das mach' ich jetzt noch, bevor ich alt werde oder weil ich ja schon so alt bin. Es ist eigentlich eher wie "Aufstehen" bei Seeed. Mach' es jetzt, pack' die Sache an, du hast die Möglichkeit. Wir, gerde hier in diesen Breitengraden, haben die Möglichkeit, mit unseren alles verpestenden Billigfliegern zu reisen. Wir sollten das unbedingt auch tun. Das ist, was dieser Song für mich bedeutet, und das ist auch irgendwo die Aussage der Platte für mich. Zu sagen: Go and see. Steh' auf, kuck' dir die Welt an, und alles wird einfacher. Wir sind uns alle viel, viel ähnlicher, als wir glauben.

Hast Du persönlich eine Art Liste von Dingen, die unbedingt noch abgehakt werden müssen?

Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn meine Tochter und meine Frau nicht wären, wenn mir dann jetzt ein Backstein auf den Kopf fallen würde, dann wär' alles geil gewesen. (Lacht) Jetzt geht es zum Glück irgendwie weiter. Das ist ja auch irgendwie ein bisschen der Sinn des Lebens: Ich muss mich jetzt nicht mehr die nächsten vierzig Jahre um mich kümmern, um meine Karriere, sondern alles verschiebt sich aufs Kind. Das merkt man dann eben erst, wenn ... ja, wenn man das erste Mal Papa wird. Dann sieht man, warum alles Sinn macht. Diese ganzen Kreise. Auf einmal verschiebt sich der Mittelpunkt deiner Welt auf dein Kind. Das ist auf der einen Seite ganz schön entspannend. Aber wahrscheinlich dann stressig in der Pubertät. Ich weiß es nicht. Das ist ja noch 'ne Weile hin.

"Genießt das Leben in vollen Zügen!"

Reggae ist in Deutschland immer noch ein Nischenthema. Trotzdem glaube ich, dass wir hier einen vergleichsweise starken Markt dafür haben. Wie siehst Du das?

Ich glaube, dass Deutschland für Musiker und Produzenten generell ein dankbares Pflaster ist, weil man sich hier gerne Sachen anhört und sich damit auseinander setzt. Reggae an sich ist aber hierzulande immer noch sehr klischeebehaftet. Das ist mir damals aufgefallen, als ich aus Ghana kam. Dreadlocks, Kiffen, Sunshine, Happyness ... Oft wird nicht hingehört. Das ist dann eben der Groove. Ich konnte natürlich irgendwann dann auch nachvollziehen, warum das so ist: Weil man mit den Inhalten hierzulande oft einfach nicht wirklich was anfangen kann. Rastafari oder Repatriotation, zurück nach Afrika, ist natürlich nichts, das hier funktioniert. Von daher muss ich die Texte ausblenden. Dann wird die Musik eben chillig und cool und klingt nach Urlaub und so. Aber ich finde, das Hinhören ist wichtig. Man sieht, was mit den ganzen homophoben Texten passiert ist. Die Sizzlas und die ganzen anderen, die powern voll an, die Leute sagen: "Geil, geil, geil!", hören aber nicht hin. Auf der einen Seite kann man es ihnen nicht vorwerfen, weil Leute Musik unterschiedlich auffassen. Oft geht es eben einfach über den Beat und darum, dass es flowt. Auf der anderen Seite ist es trotzdem wichtig, hinzuhören. Ich glaube, in Deutschland hört man sich die Sachen an, feiert es ab, kauft auch CDs.

Reggae an sich ... ja ... ich weiß gar nicht, so im Speziellen. Ich kümmer' mich auch ehrlich gesagt nicht. Ich bin nicht so der, der sich so tierisch in der Szene auskennt oder immer nach Jamaika kuckt. Was ist gerade aktuell? Darf man das sagen? Ist der hipp und der cool? Ich habe eine andere Auffassung. Ich bin mit Reggae, wie gesagt, über diesen Marley in Ghana konfrontiert worden. Das hat mich fasziniert. Wenn ich das jetzt zum Beispiel mit Gentleman vergleiche: Der stammt aus Köln und sagt: "Boah, das hat mich so fasziniert, diese Insel!", dass er theoretisch fast ein Buch drüber schreiben könnte. Weil man sich mit dieser Kultur so auseinander setzt, aus einem anderen Land heraus. Ich bin zu dieser Zeit in Ghana groß geworden und habe einfach einen Musiker kennen gelernt, der aus einem anderen Land kam und Themen angesprochen hat, die man, wenn man in Ghana lebt, total nachvollziehen kann. Wo man denkt: Ja, der sagt das mit seiner Musik. Das ist krass, geil. Das ist zwar nicht meine Geschichte. Ich bin nicht unterdrückt, ich hab' nicht die Probleme, die er hat. Aber es ist so krass, was man mit Musik - in dem Fall war das für mich eben Reggae-Musik, diese rebel music, sozusagen - was man damit ausdrücken kann.

Das wollte ich dann auch irgendwann machen, mit meiner Message. Mein Leben war geil. Es war cool. Ich hab' Liebe aus beiden Kulturen erfahren. Ich bin nicht unterdrückt worden. Das ist es eigentlich auch wert, besungen zu werden. Ich hab' jetzt nicht die Ghetto-Story, mein Leben war halt positiv, was soll ich sagen? Ich kann eben auch über "Pound Power" singen und sagen: Ey, Kraft des Lebens, genießt das Leben in vollen Zügen, ohne allzu sehr auf andere drauf zu trampeln. Das Leben ist schön. Das hab' ich probiert, aber ebenfalls mit dem Vehikel Reggae-Musik. Das ist für mich sozusagen ein Träger.

Ich bin textfixiert. Mir gelingt es nur schwer, drüber hinweg zu hören und die Musik geil zu finden, wenn dazu Scheiße erzählt wird. Im Reggae staune ich dann oft, wie stimmig unglaublich positive, aufrichtende Musik mit absolut tragischen, tieftraurigen Texten verbunden wird. Das Gefühl hatte ich zum Beispiel bei "I Am Leaving". Dem Text nach ist das ja eigentlich eher ein Blues.

Ja, genau. Das ist ein Blues, richtig. Man merkt, dass du dich ganz anders mit Musik auseinander setzt. Das ist nicht der Normalfall, wenn ich höre, wie du das jetzt gesagt hast. Trauriger Text mit positiver Musik: genau der Punkt. Wenn du dann den Text ausblendest, bleibt nur noch happy sunshine summer übrig. Das ist eine ganz andere Grundaussage! Es ist ja schwer, weil Patois hier oft überhaupt nicht verstanden wird. Das können ja oft noch nicht einmal Leute, die wirklich richtig Englisch sprechen, verstehen. Man kann es also niemandem verübeln. Aber die Aussage ist ohne Text halt eine komplett unterschiedliche! Ich habe diese Roots oder Marley ziemlich melancholisch wahrgenommen. Genau, wie du meinst: so Blues-mäßig, zum Teil. Dann kommt man hier hin, und dann ist alles so yeeeaaah, cooool. Hach!

Aber gut, ja klar. Es ist immer wieder schön zu hören, dass man doch nie verallgemeinern kann. Es gibt viele Leute, die sich eben doch damit auseinandersetzen. Das ist für mich auch Deutschland: Es ist sehr, sehr vielfältig. Du hast auf der einen Seite ... ich sag' mal ... Skins und irgendwelche alten, verbohrten Säcke, aber du hast auch ganz viel Freiheit. Gerade in unserer Generation: Leute, die viel gereist sind, die sich wirklich mit verschiedensten Kulturen auseinander gesetzt haben. Ich denk' manchmal, verglichen mit Spanien oder Südamerika: die sind viel schmaler.

Wobei man die Kultur, in der man drinsteckt, viel facettenreicher wahrnimmt, als eine, die man von außen betrachtet. Da ist es dann leicht, zu sagen, dort und dort ist es schmaler. Ich hege den Verdacht, dass der Prozentsatz ignoranter Idioten überall gleich hoch ist.

(Lacht) Okay, das kann sein. Aber manche Leute haben einfach mehr die Möglichkeit zu reisen als andere. Ich glaube, es hat ganz viel damit zu tun, wie du rumkommst und ob dus machst. Wenn du etwas im Fernsehen siehst oder wenn du einfach nur davon hörst, das ist etwas anderes. Der Prozess, etwas abzuarbeiten, setzt erst ein, wenn du wirklich mal andere Sachen gesehen hast. Auch nicht nur als Urlauber, sondern auch mal in einem Zusammenhang. Dass du wirklich die Menschen kennen lernst und verstehst, dass etwas, das du in unseren Parametern überhaupt nicht fassen oder begreifen könntest, trotzdem funktioniert. Weil du überhaupt mal lernst: Es gibt noch andere Parameter, unter denen bewertet werden kann. Das passiert oft durchs Reisen. Da finde ich, haben wir zu unserer Zeit in unseren Breitengraden diese tierische Möglichkeit, es zu tun. Die Vollidioten tuns halt nicht.

Reisen als Alleilmittel - zumindest gegen Blödheit?

Ja, find' ich schon. Auf jeden Fall ein wichtiges Allheilmittel. Reisen und Reden.

Mich haben auf dem Album die Coverversionen gefreut - zumal ich bei der einen erst gelernt habe, dass es eine ist. Ich wusste gar nicht, dass "Waiting On The World To Change" von John Mayer ist.

Siehste! Das ist echt lustig. Ich wusste das zuerst nämlich auch nicht. John Mayer ist an mir vorbei gegangen. In Amerika war das ja ein Nummer-1-Hit, in Deutschland ist es überhaupt nicht passiert. Das ist ein unglaublicher Musiker, du musst dir wirklich mal die DVD ausleihen und kucken, was der sonst noch alles gemacht hat, unglaublich. Ich bin so darauf gekommen: Mein Cousin, der auch 'ne Strophe da mitrappt, Reub, ist der einzige in meiner Familie, der auch professionell Musik macht. Ich bin bei ihm auf die MySpace-Seite gekommen - kannst du gerne erwähnen, ich mache gerne Werbung für ihn, weil das ein toller Rapper ist: www.myspace.com/reubmuzik1 - der hatte sich diese Nummer ausgewählt und darüber gerappt. 32 Bars über den Beat, dann ging es in den Refrain über. Das war so ein Konzept von ihm: Er hat sich bekannte Beats genommen und wollte damit zeigen, dass er auf dem gleichen Niveau ist - wenn er einen vernünftigen Produzenten finden würde. Tatsache ist: Ich hab' diesen John Mayer gehört und dachte, das sei ein Schwarzer. Curtis Mayfield oder irgendwas aus den 70ern ...

Ich hab' "People Get Ready" von den Impressions da rausgehört.

Genau! "People Get Ready"! Genau dieselbe Akkordfolge, das ist es. Genau. Das ist es. Und ich dachte, wie geil ist das denn!? Die Akkordfolge ist so geil! Ich muss daraus ein Reggae-Cover machen. Und das Geilste ist, er macht dazu 'ne Strophe. Dann sind wir zusammen auf meinem Debüt-Album, family-mäßig vereint, sozusagen. Genau das hab' ich gemacht – und darüber aber auch John Mayer entdeckt.

Ich auch, vielen Dank. Daran wär' ich sonst wohl achtlos vorüber gegangen. Ein Geben und Nehmen, hier. Das gefällt mir gut. Ich dank' Dir für Deine Zeit und wünsche viel Erfolg.

Danke. Hat mich gefreut. Und immer schön kühl bleiben, an dem Tag heute. Kalter Eimer Wasser unter den Schreibtisch, Füße rein, das hilft total.

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