14. Februar 2012

"Es kribbelt nicht, es juckt ohne Ende"

Interview geführt von

Deichkind sind mit Sicherheit eines der größten Mysterien der deutschen Musiklandschaft. Seit der Gründung im Jahr 1997 wächst die Hamburger Elektro-Hip Hop-Combo mehr und mehr zu einem Spektakel-Konzept sondergleichen heran. Zwischen dem Hang zum Hedonismus, zu unterschwelligen Zweideutigkeiten, Sarkasmus und Selbstironie verwandeln die Protagonisten nur allzu gern jede Bühne in ein anarchistisches Tollhaus.Da ist für jeden was dabei: Vom bierbäuchigen Ballermann-Süchtigen, bis hin zum hinterfragenden taz-Leser: Deichkind bedient sie alle. Mit einer gesunden Portion Größenwahn und dem Hang zum Ausleben von archaischen Urinstinkten wird geklotzt und nicht gekleckert. Wer dachte, dass die "Arbeit Nervt"-Tour visuell kaum noch zu toppen sei, der darf sich schon jetzt auf die im Frühjahr startende Konzertreihe zum aktuellen Album "Befehl Von Ganz Unten" freuen.

Im Vorfeld der Veröffentlichung plaudern wir mit Porky und Ferris über neue Arbeitsweisen, die Kunst der Polarisierung und Barcode-Frickeleien.

Vier lange Jahre wartet die dürstende Gefolgschaft bereits auf den "Arbeit Nervt"-Nachfolger. Nun ist es endlich soweit. Ihr seid ja mittlerweile schon alte Hasen im Biz. Kribbelt es da überhaupt noch?

Porky: Es kribbelt nicht nur, es juckt ohne Ende. Wir haben echt schwer an der neuen Scheibe geschuftet. Am Ende hatten wir irgendwie dreißig Songs im Sack. Da steckt schon viel Herzblut und Arbeit drin. Natürlich ist mittlerweile auch vieles 'Business as usual', gerade was die Abläufe betrifft. Aber das fertige Produkt dann in den Händen zu halten, ist immer wieder aufs Neue ne geile Sache, finde ich.

Vor allem ist ja auch jedes neue Werk der Spiegel deiner eigenen Persönlichkeit. Das ist auch immer wieder spannend zu beobachten. Wir machen ja keine Alben, um irgendwelchen Leuten in den Arsch zu kriechen, verstehst du? Es geht nur um unseren eigenen Scheiß, den wir cool finden. Mit Geldmacherei oder Fananbiederung hat das alles nichts zu tun.

Ihr habt ja eine Menge durchgemacht in den letzten vier Jahren. Sowohl persönlich und privat ist ja so Einiges auf euch eingestürzt. Wann war denn der Moment da, wo ihr gemerkt habt, dass es wieder Zeit wird, sich mit einem neuen Album zu beschäftigen?

Porky: Nun, der Tod von unserem Produzenten Sebi Anfang 2009 hat uns natürlich erst einmal ganz schön aus der Bahn geworfen, sowohl privat, als auch auf die Arbeit bezogen. Wenn du jemanden aus deinem engsten Umkreis verlierst, wo man aufgrund des Alters oder langjähriger Krankheit irgendwie damit rechnen musste, ist das eine Sache. Es ist aber etwas ganz anderes, wenn ein Freund einfach so von heute auf morgen aus deinem Leben gerissen wird.

Versteh mich nicht falsch: Die Omi oder den Opi zu verlieren ist schon derbe hart, aber das mit Sebi war schon noch eine andere Hausnummer. Wir haben auch relativ schnell gemerkt, dass wir die Verarbeitung des Ganzen nur über die Arbeit mit der Band schaffen. Wir haben auch verhältnismäßig früh wieder angefangen live zu spielen. Das hat uns unheimlich viel Kraft gegeben. Auch die Reaktionen von den Fans waren unglaublich und sehr hilfreich für alle Involvierten.

Sebi hätte auf jeden Fall auch gewollt, dass wir weitermachen. Jedenfalls entstanden damals schon viele Ideen. Wir waren dann viel live unterwegs und hatten ja auch noch die Theater-Sache in Hamburg am Laufen. So kam dann eins zum anderen.

Ferris: Im Winter 2010 haben wir uns dann ans Texte schreiben gemacht. Da fing es dann eigentlich richtig an.

In der Einöde Mecklenburg-Vorpommerns, richtig?

Ferris: Ja, genau. Da gab's echt gar nichts. Eine Hütte, kein Telefon, kein Internet - nur Holzhacken und Texte schreiben.

Porky: Wir haben das dieses Mal ja mal komplett anders in die Hand genommen: Zuerst Texte schreiben und dann die Musik machen. Das war auch ein ganz wichtiger und effizienter Prozess für uns. Du hast halt viel mehr Möglichkeiten. Wir konnten zum Beispiel einen oder zwei Songs mit vier oder fünf verschiedenen Beats unterlegen, weil die Lyrics halt zuerst da waren. Wenn du erst die Beats hast, bist du sehr eingeschränkt und Veränderungen im Nachhinein sind mit viel mehr Zeit und Aufwand verbunden, als wenn du dich auf einem bereits vorhandenen Text schön austoben kannst.

Ferris: Das war jedenfalls eine geile Erfahrung. Bis auf eine Kiste DVDs war auch absolut nichts da, was uns von der Arbeit hätte ablenken können.

Porky: Und der Inhalt der Kiste war auch nicht so der Brüller. "Forrest Gump", "Rainman", etc. Das kannst du dir auch das ganze Jahr über bei ProSieben reinziehen.

Ferris: Hallo? Wir hatten aber kein ProSieben da oben. Sei froh, dass ich mit dem Arsenal wenigstens noch für ein bisschen Action gesorgt habe.

Porky: Naja, egal. Wie gesagt: Das war so der Startschuss fürs Album.

"Erfolg hat heutzutage eine Halbwertzeit von maximal einer Woche"

Inhaltlich geht's auf "Befehl Von Ganz Unten" mal wieder polarisierend zu. Sämtliche Themen lassen sich von verschiedenen Perspektiven aus betrachten. Ist das so der 'Schlüssel' für euch, wenn es ums Texte verfassen geht: Polarisierung ja, Parolen eher nein?

Porky: Jeder Mensch hat das Recht auf eine eigene Meinung. Wir haben auch unsere Meinung. Ich finde es aber schwierig, wenn man versucht, seine eigene Haltung anderen aufzudrängen. Ich bin nicht der, der mit einem roten Umhang und einem Stern durch die Gegend läuft und allen erzählt, wie scheiße sie sind. Das ist ein erster Gewaltimpuls. Wir hingegen bauen lieber Häuser ohne Möbel. Individuell einrichten können sich die Leute dann selber. Das ist unsere Kunst, und die versuchen wir immer mehr zu perfektionieren.

Ferris: Das ist auch ein ganz schmaler Grat. Du glaubst gar nicht, wie viele Texte bei uns immer rausfliegen, weil sie uns zu meinungsaufdrängend sind. Das ist halt auch so ein Prozess. Ich denke, "Arbeit Nervt" kam da noch ziemlich brecheisenmäßig rüber. Auf dem neuen Album sind wir schon einen Schritt weiter.

Hat dieser Prozess auch etwas mit wachsendem Erfolg zu tun? Je erfolgreicher und unabhängiger man ist, desto freier und offener kann man sich geben und arbeiten?

Porky: Erfolg ist ja relativ. Ich meine wir, Deichkind, sind ja als Konsummenschen trotzdem irgendwie gefangen. Außerdem: Wenn du kein Nostalgiker bist, und das sind wir bei Deichkind nicht, dann hat Erfolg heutzutage ungefähr eine Halbwertszeit von maximal einer Woche. Danach fragst du dich wieder, was du als nächstes machst. Ich meine, Geld und Ruhm interessiert uns echt eher weniger. Das mag zwar der eine oder andere nicht glauben, aber es ist echt so.

Guck dir einfach unsere neue Show an. Da haben wir dermaßen viel reingebuttert, und gehen am Ende wahrscheinlich mit null raus. Die Tickets kosten dreißig Euro. Wenn du die Show siehst, und wenn du wüsstest, was der ganze Scheiß gekostet hat, würdest du dir aus Mitleid wahrscheinlich zwei Tickets kaufen.

Dann erzählt doch mal. Der Tour-Trailer verspricht ja schon mal Einiges.

Porky: Der Trailer auf vierzehn mal acht Meter. So wirds aussehen. Wir haben 28 eigenständige Omnipods, das sind fahrbare Säulen. Die Kleinsten sind 80 Zentimeter groß und die größten enden bei 4.60 Meter. Auf dem Boden sind eingebrannte Codes eingefasst. Jede Pyramide hat an ihrer Unterseite eine Scan-Vorrichtung, sodass sie sich mit Hilfe der Codes auf dem Boden eigenständig bewegen kann. Das ist schon ganz schön abgefahren.

Ferris: Vor allem ist das Programmieren eine ziemliche Frickel-Arbeit. Wenn du da an einem vierseitigen Code schreibst und irgendwo ein Komma vergisst, dann fährt das Ding halt nicht.

"Ich brauch nur Hasch und Fanta"

Das klingt alles ziemlich spektakulär. Was dauert bei euch eigentlich länger – Album machen oder Show-Konzept entwerfen?

Ferris: Das nimmt sich nichts. Es läuft ja auch alles parallel bei uns. Phillip, Porky und ich gehen ins Studio, während La Perla und sein Team sich im Werkstatt-Studio die Hände schmutzig machen. Irgendwann sind dann beide Seiten fertig und man trifft sich in der Mitte, um zu gucken, wie es bei den anderen aussieht. Wir stecken momentan eigentlich gerade voll in den Tour-Proben. Alles ist total hektisch, weil wir mal wieder auf den letzten Drücker auf den Punkt kommen.

Porky: Stimmt, irgendwie kriegen wir das zeitlich immer nie so richtig gebacken. Ich meine, am Ende funktioniert dann meist alles, aber kurz vorher geht es bei uns immer ziemlich stürmisch zu.

Ferris: Wir beide haben beispielsweise die Omnipods noch gar nicht fahren gesehen.

Porky: Aber so sind wir halt auch drauf. Das ist Deichkind. Das ist ja auch das Spannende an der ganzen Kiste, dass du auch jederzeit auf die Schnauze fallen kannst. Die ganze Tour haben wir beispielsweise schon im Sommer gebucht, obwohl noch kein einziger Song fertig war. So etwas kann natürlich auch nach hinten losgehen, wenn die Abläufe nicht stimmen und du deswegen bereits vertraglich geregelte Sachen canceln musst. Dann bist du schneller am Arsch, als du gucken kannst.

Viele fragen sich, wo das live bei euch noch hinführen soll.

Porky: Es ist der Kick, dass immer was passieren kann. Das brauchen wir. Wenn du so eine Show auffährst, kann immer was schief gehen. Wenn bei solch einer Produktion elementare Dinge nicht funktionieren, spielst du bei der nächsten Tour plötzlich nur noch in 500er-Hallen.

Ihr habt zur Show-Thematik einen interessanten Zweiteiler in den Song "Leider Geil" eingebaut. Und zwar heißt es da: "Die Platte von Deichkind war nicht so mein Ding, doch ihre Shows sind leider geil." Kriegt ihr sowas oft zu hören?

Porky: Ziemlich oft sogar. Das ist auch völlig in Ordnung. Man kann es nicht jedem Recht machen. Gerade die alteigesessenen Hip Hopper kotzen oft ab, wenn sie neue Songs von uns hören. Andererseits können sie aber auch ihre Augen nicht von der Bühne wenden, wenn es bei uns zur Sache geht. Das passt schon.

Braucht ihr denn lange, um nach einem Auftritt wieder einigermaßen geradeaus gucken zu können?

Porky: Also, ich brauch nur Hasch und Fanta.

Ferris: Die Zeiten hab ich hinter mir (lacht). Wir sind da sehr verschieden. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was auf Tour letztlich abgehen wird.

Ist das auch so ein Erfolgsgeheimnis von euch, diese Zusammenführung unterschiedlichster Charaktere?

Ferris: Absolut. Du musst halt lernen, dein Ego runterzuschrauben. Das war vor allem für mich ganz wichtig, weil ich ja aus dem Solo-Bereich komme. Wenn du dann aber merkst, wie viel kreativer Output von jedem Einzelnen in den großen Topf geschmissen wird, dann ist das schon ein berauschendes Gefühl. Vor allem hast du künstlerisch so viele Optionen und Möglichkeiten, die du mit vier gleichen Charakteren nie hättest.

Porky ist zum Beispiel ein totales Energiebündel mit einem Kopf voller Ideen. Da sind dann auch immer mal zehn richtig geile dabei, die von uns abgefeiert werden. Den Rest müssen wir halt ertragen (lacht). Jeder bringt was anderes mit ein. Der eine kann kanalisieren, der andere kann ausspucken und wieder ein anderer bringt eine gerade Linie rein. Das funktioniert bei uns einfach.

Porky: Ich kann mich noch erinnern, als es hieß: "Macht doch mal hinne, wo bleiben die Songs, wir müssen fertig werden." Ich meinte dann nur: Mann, mach jetzt nicht so einen Stress, komm runter und bück dich doch mal hoch.

Zack: Titel geboren.

Porky: Genau. So läuft das bei uns. Die Sachen sprudeln dann einfach so raus. Und wenn du dann Leute um dich herum hast, die so etwas auffangen, umsetzen und was Kreatives daraus basteln, dann ist das ein Geschenk. Und das machen wir uns zu Nutze.

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