laut.de-Kritik

Die deutschen Depeche Mode machen tiptop geschniegelte Elektromucke

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De/Vision haben's schon schwer: Immerzu müssen sie sich den bösen Vorwurf vom deutschen Depeche Mode-Plagiat anhören, was zwar anfänglich verkaufsfördernd wirken kann, mit der Zeit aber den Weg zur eigenständigen Vollwertband versperrt. Also nahmen die drei Bensheimer (besser gesagt die Studiomusiker) die Gitarren in die Hand und auch Bass und Schlagzeug wurden besetzt. Aber, Mist, das haben die Engländer ja auch schon gemacht, also kommet herein liebe Breakbeats, Drumloops, Big- und sonstige Beats ins neue De/Vision-Universe called "Progressive Pop".

Was sich dort tummelt ist dann - oh Wunder - gar nicht so neu. Zwar wurden hier und da die erwähnten Ingredienzien in die Suppe gepfriemelt, dennoch wird der mit "Monosex" eingeschlagene Weg konsequent weiterverfolgt: Hier schöne, dort langweilige Songs und wie immer alles tiptop sterile, geschniegelte Elektromucke. Wobei man der Fairness halber anmerken muss, dass "Void" mit vier wirklich tollen Stücken für De/Vision überdurchschnittlich gut ausgefallen ist.

Gleich "Re-Invent Yourself" lässt mit rockigem, beinahe progressivem Refrain gehörig hoffen, wie es sich schon mit der schönen Vorab-Single "Foreigner" und dem Longplay verhielt. Doch das alte Syndrom der Belanglosigkeit greift schnell wieder um sich, nachzuhören beim poppigen "Ride On A Star" oder dem belehrenden "Hope Won't Die". Der bereits 1995 veröffentlichte Clubhit "Blue Moon" dagegen glänzt auf "Void" in einer relaxt-verträumten Melancholie und ist mit "Freedom" mein Favorit.

Jetzt ist es ja nicht so, dass der Rest zum Weghören animiert, "Remember" zum Beispiel ist in seiner unendlichen Traurigkeit eigentlich auch schön. Und trotzdem, ich komme nicht umhin, wieder den alten DM-Vergleich zu bemühen. Im Gegensatz zu Wolfsheim oder den seligen Camouflage, ebenfalls deutsche Vorzeige-Synthietüftler, fehlt bei De/Vision einfach die markante Stimme eines Sängers, der die soundtechnische Ähnlichkeit zum englischen Vorbild kaschiert. Zugespitzt und treffend formulierte mein Kollege Daniel: Warum soll ich schlechte Depeche Mode hören, wenn ich gute hören kann? Zuviel bereits Dagewesenes und zuwenig Wiedererkennbares ergibt nunmal zuwenig Hörgenuss.

Trackliste

  1. 1. Re-Invent Yourself
  2. 2. Ride On A Star
  3. 3. Self-Deception
  4. 4. Foreigner
  5. 5. Anywhere
  6. 6. Blue Moon (Void-Style-Version)
  7. 7. Freedom
  8. 8. A Prayer
  9. 9. Hope Won't Die
  10. 10. Give In
  11. 11. Remember

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2 Kommentare

  • Vor 7 Jahren

    http://ancientcave.blogspot.de/2016/09/dev…

    Hochinteressantes Zeitdokument der deutschen Sythiepopgeschichte über eine Band im Wandel

  • Vor 7 Jahren

    Nachdem mich neulich im Chat ein berüchtiges, mir nostalgisch liebes Mitglied den Wunsch aussprach, auch mal statt Verlinkung eine Review direkt auf Laut zu bringen, stehe ich als Ehrenmann natürlich zu meinem Wort

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    Nachdenkliche Gitarrenklänge, von einem schweren Pianothema umrahmt bilden das Grundgerüst auf dem sich Steffen Keth zu immer ausladenderen Ebenen der sonoren Elegie schwingt. Zum Ende hin ertönen fernöstliche Chöre und geleiten das Stück mit fremdartiger Erhabenheit hin zur düster-elektronischen Unendlichkeit ("Self-Deception").

    Void

    Das fünfte Studioalbum De/Visions offenbart gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale. So ist es nicht nur das abschließende Werk als Trio (Keyboarder Markus Ganßert stieg wenige Monate nach Release aus), auch das experimentelle Soundbild, das beim Vorgänger "Monosex" erste Einsätze fand wurde weiter ausgebaut. "Progressive Pop" lautete das neue Credo und somit flossen erneut rockige Beiträge, Samples, krachende Schlagzeugeinsätze anstatt sterilem Drumcomputer und allerlei weitere Spielereien in die blankpolierte Elektronik ein.

    "Re-Invent Yourself" startet die Versuchsreihe passend betitelt mit majestätisch geprägten Klängen, es knarzt und rauscht im Hintergrund und die gepresst erscheinenden Vocals ordnen sich der frischen Soundformel unter. Der Opener mündet im weiteren Verlauf in einen pulsierenden Rock-Song, dessen losgelöste Spielfreude samt mitreißender Hookline pure Aufbruchsstimmung verbreitet.
    Dieses Gefühl entlädt sich vollends im sämtliche Ketten sprengenden "Freedom". Lässig groovende Gitarreneinlagen und abermals satte Drums dominieren die verspielten Strophen. Die schallende Hook setzt sich fest, während der omnipräsent surrende Sythesizer das Bindeglied zur elektronischen Welt markiert.

    Das in sich ruhende "A Prayer" fährt das Kontrastprogramm auf, ohne dass der rote Faden verloren geht. Enspannende Soundfragmente sorgen hier für wohlige Entschleunigung. Der Refrain ist einnehmend mit sanften Nachdruck, ohne Pathos wird eine kleine, süßlich angehauchte Oase inmitten mächtig scheppernder Industrialwelten ("Hope Won't Die") platziert. Doch "Void" bietet mehr.

    Verzerrte Vocodereffekte, unterschwellig brummende Synthies, eine kaum wahrnehmbare Melodie spielt im Verborgenen, ehe sich "Anywhere" in eine donnernde Walze transformiert, die mit viel Biss und Dynamik die Bässe bis zum Anschlag aufdreht. Melodische Gesangslinien verbindet hingegen "Blue Moon" in der " '99 Void-Style-Version" mit spährischen Klangwogen. Der ursprünglich 1995 erschienene Song bekam zum Jahrtausendwechsel ein Facelifting besonnenerer Art spendiert: Über nächtlichen Gewässern, in denen feine Elektronik mitschwimmt glitzert in kühler Brillianz ein bläulich schimmernder Mond und erhellt das stimmungsvolle Szenario in beruhigenden
    Farbtönen.

    An anderer Stelle schaltet Keth in den Turbo-Modus und gönnt sich in "Ride On A Star" einen gleichsam poppig-prägnanten wie energiegeladenen Astraltrip. "Give In" mit seiner wabernden Strukturierung, arrhythmischen Drumeinsatz und steigernd-treibenden Ausprägungen liegt schwer über der endlosen Spannung des Albums. Einerseits wie eine Drohung, doch vielmehr als sexuell aufgeladenes Spiel.

    Der Highlight des Werks hört jedoch auf den Namen "Foreigner", der ersten Single. Scratches, energetische Bigbeats und ein markiges Tastenmotiv treffen auf punktgenaues Drumset, griffige Vocals und schwebend-spacige Einspielungen. Stark.

    Ebenfalls ansprechend ist das finale "Remember" in vordergründiger Schwermut, die jedoch von euphonischen Strophen und einprägsamen Chorus behutsam getragen wird. Die Atmosphäre einer aus starrem Eis geformten Halle wird zwar soundtechnisch erzeugt, dem dagegen stehen jedoch die bestärkenden, positiven Lyrics.
    Es existiert ein offizieller Remix dieses Songs, der durch lieblich gespielte Gitarrenparts, weiblicher Vocalbegleitung und luftig inszinierten Synthieflächen dem Text zumindest akustisch näherkommt. Die Originalversion punktet aber vielmehr durch diesen krassen Gegensatz. In trister, kalter Umgebung keimt noch immer der zarte Hoffnungsschimmer, den jeder in sich trägt.

    "Void" ist anders, anders als die Alben zuvor und anders als die Alben danach. Kein Song gleicht dem Anderen, doch zusammen agieren sie als Einheit.
    Mal düster, mal lebensbejahend, mal zart und zugleich kompromisslos. Ein hochinteressantes Zeitdokument der deutschen Synthiepopgeschichte und der gleichzeitige Wandel für die Band.

    Von nun an hieß es "Two".

    5/5