laut.de-Kritik

Musik wie ein schaurig schönes Gothic-Varieté.

Review von

Die Musik des Amerikaners Danny Cohens ist gleichermaßen irritierend wie spektakulär. Mit seinen eigentümlichen Arrangements, die sich zwischen dem Brass-Sound einer Beerdigungs-Kappelle aus New Orleans, Folk und Kirmesmusik bewegen, entzieht er sich gänzlich dem kommerziellen Mainstream. Dazu kommt diese gewöhnungsbedürftige Stimme, die immer schräg, gebrochen und verfremdet klingt und den rechten Ton nicht treffen mag.

Die skurrile und eher düstere Atmosphäre erinnert teilweise an Tom Waits, der Gesang an Daniel Johnston. Häufige Verweise auf Vic Chesnut oder Jad Fair weisen nicht wirklich in die richtige Richtung. Danny Cohen ist Multiinstrumentalist, er beherrscht sein Handwerk durchaus. Vielmehr erklärt er das Unfertige, Angedeutete und Klagende zum Konzept seines musikalischen Wirkens. Vorgeblicher Dilettantismus wird zur Kunstform erhoben, was ihn in die Nähe des Antifolk rückt. Überlegt man sich, wie der titelgebende ewig junge Dorian Gray in Oscar Wildes Novelle sich gefühlt haben mag, als er festgestellt hat, das sein Bildnis, nicht aber er altert, entspricht "Shades Of Dorian Gray" vielleicht diesen Empfindungen. Und es ist nicht schön, sich so altern zu sehen.

Eine schrubbelnde Akustik-Gitarre und eine kleine Brass-Band bahnen sich gelassen ihren Weg im Opener "Prayer In The Black & White", ehe Cohen eine schöne Melodie anstimmt. Gitarre, Schlagzeug und eine eintönige Orgelwand instrumentieren das trübe "Avian Blues", Cohen versteht es glänzend, mit seinem Gesang eine dunkle Stimmung zu inszenieren. Plötzlich bricht die Sonne durch den Nebel!

Gitarre, Mundharmonika, eine singende Säge und ein Horn erfreuen in "For George Bailey, LaPado & Bottom", auch wenn Cohen nur verhalten optimistisch klingt. Sakrales Orgelspiel dominiert in "Vertigo", das wie ein Ableger von Cockney Rebels "Sebastian" daherkommt, ein Klavier in "Drawning In The Dark". Dass Cohen ein großer Songwriter ist, beweist mit dem wunderschönen Liebelied "Palm Of My Hand", das ergreifend von Streichern eingerahmt ist, ebenso großartig sind das folgende "Cold Snap Conundrum" und "Confection Of Bullshit", die mit schlichter Gitarrenbegleitung auskommen.

Klaustrophobisch wird's im verstörenden "Noah Baine", gespenstisch in "The Fall", das Cohen mit Sprechgesang vorträgt und das das Leitmotiv aus dem Film "Rosemary's Baby" adaptiert. Das Spektrum seines Timbres führt er eindrücklich im recht heiteren "Sunday In Richmond", das mit entzückendem Glockenspiel aufwartet, vor und im traurigen "Rigormortis". In "Beneath The Shroud", dem letzten Stück des Albums, singt Cohen mit einer Tiefe und Behäbigkeit, dass man meint, die Platte wird zu langsam abgespielt. Ein konsequenter und würdiger Abgang eines Werks, das mich etwas ratlos zurücklässt. Der Irritation steht die Faszination für diese abseitigen Songs gegenüber.

"Shades Of Dorian Gray" ist eine Platte, die einen seltsam morbiden Charme besitzt, auf den man sich nicht ungern einlässt. Das liegt zum einen an der ungewöhnlichen Stimmung und der durchweg akustischen und tollen Instrumentierung, zum andern daran, dass die Schwermut immer Raum lässt für Arrangements, die einen Hauch von Frohsinn mitteilen. Es ist schwer, mit Zuschreibungen dieser Musik gerecht zu werden.

Cohen ist ein dunkler Romantiker und verwegener Außenseiter. Man stelle sich einfach einen typisch düsteren Puppenfilm von Tim Burton vor, Cohens Lieder könnten diesen Figuren wunderbar in den Mund gelegt werden. Musik wie ein Gothic-Varieté. "Shades Of Dorian Gray" ist ein schaurig-schönes Nischenprodukt, das aufgrund seiner Unkonventionalität eine sympathische Besonderheit darstellt.

Trackliste

  1. 1. Prayer In The Black & White
  2. 2. Avian Blues
  3. 3. For George Bailey, LaPado & Bottom
  4. 4. Vertigo
  5. 5. Drawing In The Dark
  6. 6. Devil Brat
  7. 7. Cold Snap Conundrum
  8. 8. Palm Of My Hand
  9. 9. The Prophecy
  10. 10. Noah Baine
  11. 11. Confection Of Bullshit
  12. 12. The Fall
  13. 13. Sunday In Richmond
  14. 14. Death Waltz
  15. 15. Rigormortis (On The Ridge)
  16. 16. Beneath The Shroud

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