3. November 2011

"Der Alexisonfire-Split zerriss mein Herz"

Interview geführt von

Ein Aufschrei des Entsetzens ging am 6. August dieses Jahres durch Hardcore-Szene. Grund dafür war ein Post, den Sänger George Pettit an jenem Tage auf der offiziellen Webseite von Alexisonfire veröffentlichte.Pettit verkündete an diesem Tag das Ende von Alexisonfire: "There is no good way to put it so I'm just going to say it. After ten years Alexisonfire has decided to part ways." Da musste die tätowierte Gefolgschaft erst einmal schlucken.

Einer der Hauptgründe für die Auflösung einer der beliebtesten und einflussreichsten HC-Kapellen der jüngeren Vergangenheit war das Ausscheiden von Haupt-Songwriter Dallas Green, dessen Solo-Projekt City & Colour in den letzten Jahren immer erfolgreicher wurde, so dass er sich irgendwann mit der Frage konfrontiert sah: Welches Boot führt mich am ehesten zum Ziel?

Dallas Green entschied sich für den City & Colour-Kutter und bereist seitdem nur noch die akustischen Weltmeere. Im scheidenden Hafen hinterlässt er viele Tränen, Erinnerungen und bisweilen auch Unverständnis. Wieso? Weshalb? Warum? Fragen, die es zu beantworten gilt, und so treffen wir einige Stunden vor dem City & Colour-Gig im Berliner Astra-Kulturhaus auf einen Dallas Green, der scheinbar schon weiß, was auf ihn zukommt.

Hi Dallas, frisch geduscht und guter Dinge?

Dallas: Ja, sorry. Wir sind gerade erst mit dem Bus aus Köln angekommen. Ich musste mich erst einmal frisch machen, bevor ich mich der Öffentlichkeit präsentiere (lacht).

Ich werde gleich mit der Tür ins Haus fallen: Seit knapp zwei Monaten ist der Split von Alexisonfire offiziell. Fühlst du dich befreit?

Dallas: Ja, irgendwie schon, und dennoch: Zehn Jahre lassen sich auch nicht so einfach wegwischen. Ich hatte immer gehofft, genug Kraft zu haben, um beide Projekte am Leben zu halten, aber das ging einfach nicht. Irgendwann kam ich an den Punkt mich entscheiden zu müssen.

Wann genau war dieser Punkt erreicht?

Dallas: Das liegt schon eine Weile zurück. Ich habe die Jungs bereits vor der Old Crows-Tour darüber informiert, dass ich nach der Tour aussteigen werde.

Wie haben sie reagiert?

Dallas: Es war eine sehr unangenehme Situation für alle Beteiligten. Es gab keinen Streit und auch keine hitzigen Diskussionen. Es war eher eine traurige Stille. Natürlich haben sie versucht, mich umzustimmen, aber für mich gab es kein Zurück mehr. Ich konnte dieser Doppelbelastung einfach nicht mehr länger standhalten. Entweder ich war mit Alexisonfire im Studio oder auf Tour, oder ich machte dasselbe mit City & Colour. Es ging einfach nicht mehr, mein Akku war total leer und ich musste eine Entscheidung aus dem Herzen heraus treffen. Dieses ewige Hin und Her hat mich total ausgelaugt.

Warum habt ihr so lange gewartet, ehe ihr es publik gemacht habt?

Dallas: Mir wäre es lieber gewesen, wir hätten den Fans bereits früher reinen Wein eingeschenkt, aber George und die anderen wollten das nicht. Vielleicht haben sie die Situation unterschätzt oder gedacht, ich würde mich noch umstimmen lassen. Ich fand es vor allem für die Leute schade, die sich diese Tour haben entgehen lassen, da sie vielleicht dachten, dass wir in einem Jahr wahrscheinlich wieder irgendwo in ihrer Nähe spielen würden. Dem ist jetzt nicht mehr so, und mir war das bewusst. Das macht mich ein wenig traurig, denn genau diese Fans beschweren sich jetzt und das auch zu Recht. Vielleicht haben Alexisonfire auch gedacht, sie könnten ohne mich weitermachen, aber als dann Wade (Wade McNeil, Ex-Gitarrist und Sänger bei Alexisonfire, der mittlerweile bei Gallows eingestiegen ist) ebenfalls seinen Ausstieg bekannt gab, ging es einfach nicht mehr und die Luft war endgültig raus.

City & Colour füllt mein Herz aus

Wie hast du den ominösen sechsten August dieses Jahres erlebt, als das offzielle Statement über die Trennung bekanntgegeben wurde? Du hattest an diesem Tag einen Gig mit City & Colour in Kanada. Wie hast du dich gefühlt?

Dallas: Zunächst einmal wurde ich frühzeitig darüber informiert, so dass ich emotional vorbereitet war. Es war ein schönes Gefühl, auf die Bühne zu gehen und zu wissen, dass all der Ballast der vergangenen Monate ab diesem Moment der Vergangenheit angehört. Es war wie der Beginn eines neuen Kapitels in meinem Leben. Ich meine, City & Colour füllt mein Herz komplett aus. Mit dem Tag, an dem ich meinen Ausstieg bekanntgab, konnte ich keinen Alexisonfire-Song mehr schreiben. Es war einfach an der Zeit einen Schlussstrich zu ziehen.

Seit diesem Tag hast du bereits viele Shows gespielt. Wie sah die Reaktion der Fans aus?

Dallas: Nun, es gibt natürlich viele Anhänger, die enttäuscht, verärgert und traurig waren und auch noch heute sind, aber die meisten respektieren und verstehen meinen Entschluss. Vor allem die ersten Tage nach der Bekanntgabe waren nicht ganz so einfach, da die Menschen einfach nicht wussten, warum es dazu kam. Als ich dann aber die ersten Interviews gab und meine Sichtweise der Dinge erklärte, bekam ich viel positives Feedback von den Fans, die meine Entscheidung nun nachvollziehen konnten. Das hat mir sicherlich auch sehr geholfen, mit der Situation umzugehen, denn, wie gesagt, es zerriss mir das Herz und es war keine leichte Entscheidung.

Ok, lass uns über City & Colour reden. Die letzten beiden Alben "Bring Me Your Love" und "Little Hell" wurden jeweils in einer Kirche aufgenommen. Wie kam es dazu?

Dallas: Die Idee stammte von Dan Aiken, einem guten Freund von mir, der mittlerweile verstorben ist. Er kaufte vor vielen Jahren eine alte Kirche, baute sie in ein Studio um und bat mich irgendwann mal vorbeizukommen. Ich war total fasziniert von der Stimmung und der Akustik, die dort herrschte, und so beschlossen wir einfach dort aufzunehmen. Als er dann in der Zeit zwischen den beiden letzten Alben verstarb, war es mir ein persönliches Anliegen, seiner Arbeit und unserer Freundschaft Respekt zu zollen, in dem wir "Little Hell" ebenfalls dort aufnahmen.

Ähnlich wie dein Genre-Kollege Frank Turner trittst du manchmal alleine auf und an anderen Tagen wiederum mit einer kompletten Band. Wovon machst du das abhängig?

Dallas: Da steckt jetzt nicht zwingend ein Konzept dahinter. Es hängt auch immer von der Stimmung ab. Es gibt auch während der Shows mit Band Momente, wo ich alleine performe. Ich liebe es auch, live zu experimentieren. Manchmal spiele ich Songs, die ich auf dem Album mit Band aufgenommen habe, alleine und umgekehrt. Das ist das Schöne an City & Colour. Ich habe totale künstlerische Freiheit im Gegensatz zu Alexisonfire, wo alles fest strukturiert war, verstehst du? Das war mitunter auch ein Grund, warum ich mich letztlich für City & Colour entschieden habe, neben all dem Stress den du hast, wenn du zwei Herzensangelegenheiten auf Hochtouren fahren lässt.

Das klingt ein bisschen nach Selbstfindung. Was meinst du?

Dallas: Ja, so könnte man es nennen. Das hat aber auch eine Weile gedauert, schließlich läuft City & Colour ja schon seit fast sieben Jahren (lacht).

Es geht nicht darum, die Erwartungen von anderen zu erfüllen

Wenn man es genau nimmt, sogar noch wesentlich länger, oder?

Dallas: Ja, du hast Recht. City & Colour entstand im Jahr 2005, doch ich habe bereits vor meiner Alexisonfire-Zeit Songs geschrieben, mit denen ich auch aufgetreten bin. Diese ganze Singer/Songwriter-Sache hat mich nie wirklich losgelassen. Irgendwann fanden dann Fans alte Aufnahmen von mir im Netz und fragten mich, ob ich diese nicht irgendwann einmal veröffentlichen werde. Das war praktisch die Initialzündung für das City & Colour-Debütalbum, das aus diesem Material besteht.

Wenn man sich die musikalische Entwicklung der letzten City & Colour-Alben vor Augen führt, fällt auf, dass die Instrumentierung kontinuierlich kompakter wurde. Könntest du dir demnach vorstellen, dass City & Colour irgendwann einmal ein richtiges Band-Projekt wird?

Dallas: Puh, das ist eine gute Frage. Keine Ahnung, ehrlich gesagt. "Little Hell" beinhaltet für den Moment genau das, was ich mir unter City & Colour vorstelle. Mir ist einfach wichtig, das machen zu können, was ich machen will. Es geht nicht darum, die Erwartungen von anderen zu erfüllen, die nach meinem Debüt vielleicht gehofft haben, dass City & Colour auf ewig ein Gitarre-Vocals-Projekt bleibt. Die neuen Arrangements sind ganz bewusst verwendet worden, da sie zeigen, was ich mit City & Colour verbinde: Freiheit und Leidenschaft. Und wenn das in Zukunft dazu führen sollte, dass eine komplette Band daraus entsteht, dann soll es so sein.

Deine Songs sind sehr persönlich gehalten, und dennoch präsentierst du in deinen Texten viel Freiraum, so dass sich auch Außenstehende in die Problematiken hineinversetzen können. Ist es dir wichtig, dass die Leute einen persönlichen Bezug zu deinen Texten aufbauen können?

Dallas: Ja, absolut. Das ist doch das Großartige an Musik. Alle meine Songs sind sehr persönlich und beschäftigen sich mit Dingen, die mich bewegen, und dennoch fungieren sie für den einen oder anderen auch als Spiegel. Wenn sich die Leute in die Thematiken hineinversetzen können und ihnen meine Texte vielleicht sogar helfen, eigene Probleme zu reflektieren und zu bewältigen, dann ist das ein Geschenk.

Das funktioniert Llve, denke ich zumindest, besonders gut, wenn der Musik dann auch noch die richtige Atmosphäre beiwohnt. Gibt es einen Ort, an dem du noch nicht warst, wo du aber gerne einmal spielen würdest?

Dallas: Oh, ja. Ich will unbedingt nach Brasilien und Südamerika im Allgemeinen. Wir kriegen tonnenweise Mails aus der Gegend von Leuten, die uns gerne dort spielen sehen würden. Du kannst einfach nicht überall präsent sein, aber ich hoffe, dass wir das mittelfristig hinbekommen.

Dallas, hab Dank für die Zeit.

Dallas: Sehr gerne.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT City & Colour

Dallas Green, seines Zeichens Sänger der kanadischen Hard-Core-Combo von Alexisonfire, ist ein produktiver Mensch. So produktiv, dass er neben seiner …

Noch keine Kommentare