laut.de-Kritik

"Die Verkörperung dessen, was wir an Miles Davis liebten."

Review von

Was für eine Unverfrorenheit, mit der Christian Scott der Jazzpolizei Paroli bietet. Vom ersten Ton bis zum letzten Geräusch überzeugt der Trompeter, dem Randy Jackson (Santana, Aretha Franklin, Bob Dylan) die Verkörperung dessen zuschreibt, "was wir alle an Miles Davis so liebten". Dass Christian Scott die mit diesem nicht gerade gekleckerten Vergleich verbundene Herausforderung annimmt, beweist er eindrucksvoll auf "Anthem", der erst zweiten Veröffentlichung des 21-jährigen Jazz-Youngsters.

Seine Kompositionen und Arrangements besitzen die Weite einer Molvaerschen Klangarchitektur, wie schon der Eröffnungstrack "Litany Against Fear" signalisiert. Die geniale Piano/Gitarren-Hookline des Openers wartet geradezu darauf, sich in die Gehörgänge der Hörer und Hörerinnen zu fräsen.

Hinzu kommt die tonsetzerische Virtuosität eines Johannes Enders und die damit verbundene, ineinander verschachtelte Melodieführung eines Tied & Tickled Trios. Hörbar beispielsweise auf "The Uprising". Grandios einfache Themen konkurrieren darauf mit coolen (nicht unterkühlten!) Improvisationen um die Hinhör-Vorherrschaft.

Das Ganze gepaart mit der Furchtlosigkeit eines Esbjörn Svensson, verzerrte Gitarren, Rockdrums und andere Jazz-Abtrünnigkeiten organisch und souverän in die eigenen Vorstellungen eines zeitgemäßen Jazz zu integrieren. Wiedererkennungswert heißt das magische Schlagwort, und ein bisher unbetretenes Terrain (auf dem zu Genüge beackert geglaubten Jazzfeld) reißt seine Pforten bereitwillig für Christian Scott auf. Was damit gemeint ist, verdeutlich "Dialect" exemplarisch, aber jedes andere Stück auf "Anthem" könnte ebenso als Beglaubigung fungieren.

Vorzügliche Basslines ("Re:", "Cease Fire") befruchten das höchst kreative solistische Können des Protagonisten, dem schon im Kindesalter von seinem Onkel eingetrichtert wurde, er solle nicht zu viele Aufnahmen anderer zeitgenössischer Trompeter anhören, um gar nicht erst in die Versuchung zu geraten, wie diese klingen zu wollen. Das hat sich Christian Scott offensichtlich hinter die Ohren geschrieben, denn seine Eigenständigkeit in der Tongestaltung und Linienführung hört man ihm mehr als deutlich an.

Rhythmisch fundiert wird der Zaubertrank vom stets rockig gespielten und abgemischten Drum. Das muss ein gewaltiger Snare-Kessel sein, auf den Marcus Gilmore da eindrischt. Bisher hat sich in meiner Hörkarriere selten ein so rockiges Schlagzeug unter einen Jazzteppich gekehrt! Und auch der Pianomann Aaron Parks leistet mit seiner Bassline-, Harmonie- und Improvisationsarbeit Hervorragendes.

Ebenso wie Gitarrist Matt Stevens (der glatt als solistisch optimierte Version eines Eivind Aarset durchgeht), die Tieftöner Luques Curtis und Esperanza Spalding und die Saxmannschaft Walter Smith III (Tenor) und Louis Fouché (Alt). Auf der Post Diluvial Adaptation von "Anthem" soll zudem Brother J (Ex-X Clan) an den Vocals fungieren, das ist auf meiner Version jedoch leider nicht der Fall.

Um zurück zur Herausforderung zu kommen, in einem Atemzug mit dem Trompetengott schlechthin, Miles Davis, genannt zu werden: "Nicht, dass der Youngster bereits in dieser Liga spielt, aber auf dem Weg dahin könnte er sich durchaus befinden" heißt es im Promo-Beipackzettel und ausnahmsweise ist das mal nicht geflunkert! Schwärmen ist tatsächlich das einzige, was nach offenbarenden 60 Minuten übrig bleibt.

Trackliste

  1. 1. Litany Against Fear
  2. 2. Void
  3. 3. Anthem
  4. 4. Re
  5. 5. Cease Fire
  6. 6. Dialect
  7. 7. Remains Distant
  8. 8. The Uprising
  9. 9. Katrina's Eyes
  10. 10. The 9
  11. 11. Like That

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