24. März 2009

"Klitschko wollte selber mitmachen"

Interview geführt von

Chris Cornell weiß, dass sein Drittling spaltet: "Scream" zeigt den Rocksänger in Koop mit Timbaland von einer ungewohnt clubbig-elektronischen, ja poppigen Seite. Wir sprachen mit ihm über den aktuellen Longplayer, die Reaktionen darauf, den Kreativprozess mit Timbaland und seine letzte Band Audioslave.Top oder flop - eine andere Meinung über Chris Cornells drittes Soloalbum "Scream" scheint nicht möglich zu sein: Soundgarden- und Audioslave-Fans halten sich die Ohren zu. Menschen die aufgrund des Videoclips zur Single "Part Of Me" erstmals von der Alternativerock-Größe hören, verstehen den Aufruhr nicht.

Der Protagonist selbst ist sich des gemischten Feedbacks bewusst. Zum Interviewtermin greift er morgens in Los Angeles entspannt zum Hörer und macht deutlich: Die neue Scheibe ist ihm dennoch wichtig.

Hi Chris, gehts dir gut?

Hervorragend!

Darf ich unser Magazin kurz vorstellen? laut.de ist eines der größten Online Music-Mags im deutschsprachigen Netz, unsere User kommen auch aus Österreich und der Schweiz ...

Fantastisch ... Werdet ihr mein Album positiv besprechen?

Ich denke schon ... Mir gefällt es jedenfalls ganz gut - da du aber als Alternativerock-Sänger bekannt bist, dürften einige Fans von deinem neuen, elektronisch orientierten und clubbigen Style irritiert sein. Wie waren denn die Reaktionen im Vorfeld?

Live waren die Reaktionen gut, aber diese Erfahrung ist auch eine andere. Die Platte ist von vorn bis hinten grooveorientiert und eignet sich deshalb gut für eine Live-Perfomance. Im Netz, etwa auf einer Fanpage, waren die Leute dagegen überrascht und hatten gemischte Gefühle. Das war zu erwarten.

Viel wichtiger: Wenn die Leute das Album wirklich durchhören, werden sie ihre Meinung eher an dem orientieren, was die Platte musikalisch zu bieten hat. Stilistisch kennt man mich so nicht, aber rein musikalisch gesehen, ist es ein sehr reichhaltiges Album. Wenn du vergisst, dass ich für Alternativerock bekannt bin, und einfach nur die Musik anhörst, kommt es gut an.

Kann ich mir vorstellen, denn für meine Ohren sind deine Stimme und die elektronischen Instrumentals gut ausbalanciert.

Die Vocals einzusingen, war sehr inspirierend, weil es sich total neu und frisch anfühlte. Timbaland ist ein Produzent und Songwriter, der es versteht, eine Menge Stimmung in die Tracks hineinzubringen. Nicht alle Hip Hop- oder Pop-Producer können das. Er schon. Songs wie "Long Gone", "Scream" oder "Never Far Away" sind sehr atmosphärisch.

Mein Favorit ist ja "Climbing Up The Walls" ...

Ja, das ist auch einer meiner liebsten Tracks.

Der Song klingt, wie er heißt. Eine upflifting Nummer mit tollem Refrain.

Seit ich Lyrics schreibe, lasse ich mich meistens erst mal davon inspirieren, welche Gefühle die Musik in mir auslöst. Welche Lyrics würden dazu passen? Und "Climbing Up The Walls" ist dafür ein perfektes Beispiel.

Als wir von den Plänen zu deinem neuen Album erfuhren, waren wir schon überrascht: Chris Cornell und Madonna arbeiten mit demselben Produzenten ... Wieso hast du dich eigentlich für einen Hip Hopper entschieden?

Wir sprachen über Remixe, er wollte einige Songs von "Carry On" überarbeiten. Ich mochte die Idee zwar, fand es aber interessanter, ein komplettes neues Album zu machen, einen neuen Sound für ein Album zu kreieren. Er war einverstanden, wir hatten ein kurzes Gespräch, das wars.

Außerdem: Ich denke nicht darüber nach, mit wem ein Produzent, Rick Rubin ist etwa ein guter Freund von mir, schon gearbeitet hat. Das ist einfach ihr Job.

Times change

Wäre es keine gute Idee gewesen, auch mit anderen Producern zu kollaborieren? Ich denke da beispielsweise an The Neptunes ...

Da käme sicher etwas Interessantes heraus, gerade mit Pharell. Er ist ja am Alterantiverock interessiert. Ich bin ein großer Fan einiger seiner Songs.

Er hat eine lässige Funkrockband am Start, N.E.R.D., ich könnte mir vorstellen, da könnte was Explosives rauskommen ...

Da geb ich dir recht. Ich hab auch schon mal drüber nachgedacht, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ich dachte auch schon mal daran, mit N.E.R.D. zu touren. Das wäre mit Sicherheit eine aufregende Geschichte.

Lass uns übers Songwriting sprechen. Du hast es schon angedeutet, mit einem Produzenten und Soundtüftler eine Platte zu machen, ist für jemanden, der es eher gewohnt ist, mit einer Band zu jammen, ein völlig anderes Ding. Wo siehst du die Hauptunterschiede?

Der größte Unterschied zeigte sich eigentlich erst danach, als es darum ging, die Platte aufzunehmen. Ich musste vorher noch nie ein Album von vorne bis hinten einsingen. Normalerweise singe ich die Tracks ein, sobald die Lyrics stehen, oft sind da die Instrumentals noch nicht mal komplett. Diesmal hatte ich das ganze Album ohne Vocals auf CD, ich fuhr im Auto herum und sang dazu, so habe ich geprobt.

Es war eher ein bisschen demomäßig, so, wie wenn ich Zuhause Songs schreibe, bevor ich ins Studio gehe: Man hat Ideen, probiert sie aus, spielt ein paar Instrumente ein, schreibt Texte und singt die Songs dann ein, ohne sich ganz genau daran zu erinnern, welche Melodien oder Lyrics man jetzt genau haben wollte, weil ja nichts aufgeschrieben ist.

So hatte ich früher schon schwierige Zeiten im Studio, als ich versuchte, einen Song eins zu eins als Demo zu reproduzieren. Insofern war die neue Arbeitsweise sehr gut für mich, denn ich konnte viel proben, das kam mir offensichtlich entgegen.

Du hattest also keine Probleme im Studio?

Doch, beim ersten Song haben wir ein paar Tage gebraucht, um herauszufinden, was funktioniert. Timbaland konnte sich in mich als Songwriter und Sänger gut hinein versetzen. Er versteht meine Persönlichkeit, hatte aber auch keine Angst, Timbaland-Beats zu kreieren und mir zu helfen, dazu zu schreiben und zu singen. Er kam nicht mit Beatideen an, die seiner Meinung nach nach Soundgarden oder Audioslave klingen.

Als der erste Song im Kasten war, "Long Gone", und wir uns einige Tage eingegroovt hatten, kamen wir sehr schnell voran, waren produktiv und hatte eine tolle Zeit. Wegen mir hätten wir weiter machen können, aber nach 20 Songs haben wir aufgehört.

Timbaland mag zwar Soundgarden und Audioslave, "Scream" klingt aber eher mellow. Wolltest du von Anfang an kein Gitarrenalbum produzieren?

Nun, bevor wir anfingen, ging ich zwei Wochen mit meinen Gitarren in ein kleines Studio, um ein paar Riffideen aufzunehmen, damit wir einen Ausgangspunkt haben. Nach einer Woche habe ich meine Meinung geändert.

Ich wollte nun in die neue Situation ohne vorgefertigte Ideen hinein gehen und dann mit Ideen lieber auf den Punkt parat sein. Mir kam das als der aufregenste Weg vor, Musik zu schreiben. Ich habe bisher viel Zeit damit verbracht, alleine in einem Raum zu sitzen und Songs zu schreiben, sei es für eine Band oder für mich selbst.

Einer der größten Vorteile ein Album mit Timbaland zu machen, war, dass ich meine bequemen Pfade verlassen und auf jemanden im Studio musikalisch und kreativ reagieren musste. Das wollte ich so, und es hat funktioniert. Genau deshalb ist die Platte von den Lyrics und Melodien her auch anders geworden.

Müssen wir dein Plattencover - du zertrümmerst eine Gitarre - dann als eine Art vorübergehendes Antirock-Statement deuten?

Auf keinen Fall Antirock! Aber sicher drückt es aus, dass "Scream" kein Gitarrenalbum ist, das war Teil des Fotokonzepts. Dafür schäme ich mich auch nicht. Im Gegenteil: Ich bin sehr stolz auf das Album.

Von Robotern und Wladimir Klitschko

Wie sieht eigentlich dein Bühnen-Line-Up aus, wenn du die Platte live performst?

Ich spiele mit Robotern (lacht) die sind wirklich cool und vor allem raucht keiner (lacht) - Ich spiele mit denselben Leuten, mit denen ich schon getourt bin, und einem zusätzlichen Keyboarder. Das Album klingt dann natürlich rockiger als auf Platte, es funktioniert trotzdem gut.

Wir waren überrascht, dass Boxchampion Wladimir Klitschko im Video zu "Part Of Me" mitspielt. Er ist hier ziemlich populär. Wie kam denn der Kontakt zustande?

Nun er hat sich selber ins Gespräch gebracht. Er ist ein großer Fan von Timbaland und auch von mir. Er hörte früh von dem Song und wollte mitmachen. Und ich sagte: natürlich. Sein Auftritt gefällt mir übrigens besonders gut.

Lass uns zum Schluss das Thema wechseln: Ich hab dich zweimal mit Audioslave gesehen und fand eure Fusion großartig. Wusstest du schon bei den Aufnahmen zu "Revelations", dass es dein letztes mit Audioslave sein wird?

Nein, so weit denke ich nie in die Zukunft. Ich wollte so lange bei Audioslave dabei sein, wie wir Freude an der Band haben und inspiriert sind. Ich liebe diese Audioslave-Platte besonders. Ich denke aber, es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir ziemlich viel Musik in recht kurzer Zeit kreiert haben - mehr als Rage Against The Machine. Wir haben erreicht, was wir wollten.

Und ein viertes Album war nicht drin?

Ich habe den Sinn nicht mehr gesehen. Wir haben drei Alben in fünf Jahren gemacht. Was mich angeht, hätten wir uns für ein viertes neu erfinden müssen. Ich war dafür zu der Zeit aber nicht wirklich bereit. Ich wollte wieder für einige Zeit lang mein eigenes Ding durchziehen.

Eine letzte Frage: Gerüchtehalber hieß es, du wärst ein Kandidat fürs Mikrofon, sollte eine Led Zeppelin-Reunion Wirklichkeit werden. Haben sie dich jemals gebeten, vorzusingen?

Ich wusste gar nicht, dass es Singer-Auditions gegeben haben soll. Ich kenne ein paar Leute aus dem Led Zeppelin-Umfeld. Da war nie die Rede von Auditions. Und ich hoffe, das bleibt so! Das wäre Horror! Keiner will Led Zeppelin ohne Robert Plant sehen! Das macht keinen Sinn, ich wäre deprimiert. Da müssten sie mich schon dafür bezahlen, das anzusehen!

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