7. Oktober 2004

"Deutscher Hip Hop ist albern"

Interview geführt von

Die Blues Explosion, bestehend aus Jon Spencer, Judah Bauer und Russell Simins hat derweil andere Sorgen. Sie kommen gerade aus Berlin und promoten fleißig ihr neues Album "Damage". Leicht gequält sitzen sie in ihren Sesseln der Hotel-Lobby. Das Spätstück liegt noch angefressen auf den Tischen herum. Jetzt ist Bierlaune angesagt. Mr. Spencer fragt mich nach einem Getränk, steht auf und bestellt ein Kölsch für mich. *Freu*.

Danach sitzen wir gemeinsam mit Russell am Tisch und warten auf Judah, der mal eben auf die Toilette musste. Simins sitzt wie ein rockiger Brummbär im Sessel und schaut zum Fenster raus. Jon sieht ganz entspannt aus. Na, dann fange ich doch mal mit einem kleinen Small Talk an, bevor ich meinen Kassettenrecorder anschmeiße und einen wilden Soundbrei vorspiele, den ich kurzfristig für die Jungs vorbereitet habe. "Wie lange bleibt ihr in Köln? - Jon: Nur noch diese Nacht. - "Habt ihr von der c/o Pop gehört, die zur Zeit hier statt findet?" - Jon: Ja, gibt es irgendwo heute Abend gute Musik? - "Klar, nicht weit von hier im Stereo Wonderland und im gegenüber liegenden Blue Shell. Da spielen einige Gitarrenbands. Ich freue mich vor allem auf Motocrotte und Clayton Farlow!" - Jon: Was machen die für Musik? - "Rock'n'Roll!" - Jon: Yeah, hört sich gut an.

Dann fragt der Promoter noch nach einem guten Brauhaus, wo man gutbürgerliches Essen bekommt. Da stehen die New Yorker drauf. Meine Empfehlung: "Oma Kleinmann's". Da gibt es tellergroße Schnitzel mit einem Haufen Beilage, und damit sind die smarten Rockrüpel wohl nicht fertig geworden. Wahrscheinlich sind sie ins Hotel gerollt und haben den Weg am Abend leider nicht mehr in die angesagten Clubs gefunden.

Aber genug der lokalen Genuss-Intimitäten. Mr. Bauer scheint ein längeres Geschäft machen zu müssen. Russell brummt schon lauter herum, dass er endlich Musik hören will. Mr. Spencer entschuldigt sich noch einmal höflich und gibt dann sein Okay. Mein lieber Kollege Paul Greco, der mich seelisch unterstützen wollte, hat mich entweder vergessen oder er kommt mal wieder zu spät ...

Gut. Fangen wir an. Ich habe hier ein Mixtape und spiele euch jetzt ein paar Songs vor.

Jon: Und wir sollen dann erraten, wer das ist?

Genau. Und dann können wir uns darüber unterhalten oder auch nicht. (die Begeisterung steht Russell ins Gesicht geschrieben. Ich bin mir nicht sicher, ob er das jetzt gut oder scheiße findet. Seine Mimik verrät nur Langweile und Coolness. Jetzt nur nicht die Fassung verlieren. Hätte nicht gedacht, dass mir ein Glas Kölsch mal so gut schmecken würde).

The Dirtbombs - Ode To A Black Man

Russell: Yeah.

Jon: Ich liebe diesen Song. Der ist gigantisch. Das ist mein Lieblingsstück auf dieser Platte.
("Ultraglide In Black"). Großartiges Album.

Mögt ihr auch die anderen Bands von Mick Collins?

Jon: The Screws sind sehr gut und The Gornies waren einer der Größten, yeah!

Franz Ferdinand - Take Me Out

Jon: Tatsächlich mag ich diese Platte.

Russell: Der Song ist gut.

Jon: Das ist Franz Ferdinand? Yeah! Meine Frau liebt dieses Album. Sie hat sie ständig gespielt und es ist einfach catchy. Ich habe sie nie live gesehen. Sind sie gut?

Sie sind fantastisch.

Jon: Warum?

Es macht einfach Spaß, sie auf der Bühne zu sehen. Dir bleibt nichts anderes übrig, als zu tanzen.

Jon: Es ist gut, eine Band zu sehen, die selber Spaß hat. Allerdings ist das Video zu diesem Song geklaut. Das haben Freunde von mir gemacht.

(Ah, Mr. Paul Greco enters the building)

Was für eine Beziehung habt ihr zum Hip Hop?

Jon: Auf unserem neuen Album sind ein paar Gastmusiker dabei. Wir respektieren und schätzen sie.

Habt ihr euch schon vorher gekannt?

Jon: Nein, Chuck D. haben wir vor der Session getroffen. Wir spielten zusammen auf dem "Tribute Festival for the Blues" in der Radio City Music Hall. Wir haben uns die Garderobe mit Chuck D. geteilt. Dort haben wir ihn getroffen, und das war eine sehr günstige Gelegenheit zusammen zu kommen. So geschah es auch. Hip Hop hat sicherlich Einfluss auf die Blues Explosion. Aber das ist nichts Neues.

Unser letztes Album "Plastic Fang" ist klassisch gesehen ein straightes Rock'n'Roll-Album. Für mich ist da aber auch schon immer ein Einfluss von verschiedenen Leuten dabei, wie Chuck D., Ice Cube und unzähligen anderen. Nicht nur MCs, auch Produzenten. Für mich werden diese Bands immer eine Rolle spielen und meine Musik beeinflussen. Das heißt nicht, dass ich mir alle neuen Hip Hop-Sounds anhöre, aber es gab mal eine Zeit in meinem Leben, wo ich mich sehr für den Old School interessiert habe und mir diese Musik sehr nahe ging.

Und wie war letztendlich die Zusammenarbeit mit Chuck D.?

Jon: Das war gut. Ich war etwas verängstigt und nervös, aber es war o.k.

(Tja, da hätte mein lieber Kollege Johannesberg jetzt mit Sicherheit die Könige der Hip Hop-Szene vorgespielt. Meine Kenntnisse in dem Bereich sind eher bescheiden. Mal sehen, was sie davon halten.)

Absolute Beginner - Hammerhart

Russel: Deutscher Hip Hop? Kenne ich nicht.

Jon: Wer ist das? Ist das eine aktuelle Band?

Das ist eine Band aus Hamburg. Sehr aktuell.

Russel: Ich weiß nicht, ist vielleicht etwas engstirnig von mir, aber ich denke immer, deutscher und französischer Hip Hop ist ein wenig albern.

(Und jetzt bitte Kollege Paul Greco)

Französischer Hip Hop entstand genauso wie der amerikanische Hip Hop aus einer Gesellschaft von entrechteten Menschen. Ursprünglich waren das die Farbigen in Amerika, und in Frankreich kommen die meisten Bands ebenfalls aus schwarzen Communities. Viele kommen auch aus Afrika und der Karibik.

Jon: Und deutscher Hip Hop ist weiß?

Die Mehrheit der deutschen Hip Hop-Bands sind weiße Kids aus der Mittelklasse. Der französische Hip Hop hat mehr Legitimität. Das Ding ist aber, dass deutsche Hip Hop-Bands musikalisch gesehen sehr gut sind.

The Pharcyde - She Said

Russell: Was auch immer das ist, it's WACK! Wieso spielst du nicht Jay-Z oder so was? Das ist gut.

Jon: Wer ist das? Pharcyde? Welches Album? Sie hatten eine gute Platte …

Russell: Das erste Album war großartig, man. It's alright to the Pharcyde.

Beastie Boys - So Watcha Want

Russell: Ahhh, shit!

Jon: Lass mich raten, das sind Kids aus der weißen Mittelklasse? Check this out! Live muss man die gesehen haben.

Russell: Das verstehen wir, so wie Public Enemy. Das ist eine großartige Kunstform.

Jon Spencer Blues Explosion - She said

Russell: This is us on speed!

Jon: It's speed-up, man.

Russell: It's definitely speed-up, man. Speed-Up! (grins)

Jon: Das ist viel zu schnell abgespielt.

Jon Spencer Blues Explosion heißt jetzt nur noch Blues Explosion, wieso?

Jon: Unsere Band gibt es schon sehr lange. In einer Band zu spielen, bedeutet mir sehr viel. Im Laufe der Zeit ändern sich natürlich auch einige Dinge. Den Namen zu kürzen war ein Weg, um unsere musikalische Bindung hervorzuheben. Die Beziehung, die zwischen uns existiert.

The Strokes – Someday

Russell: Das sind die Strokes. Das ist die zweite Single. "Last Night" mag ich noch viel lieber. Und vor allem die Videos dazu. Hey, die erste Platte, die ich mag.

Habt ihr New Yorker Lieblingsbands?

Jon: Ja, aber du hast sie bisher noch nicht gespielt. The Velvets, The Dolls, Suicide, The Ramones, ...

Russell: The Yeah Yeah Yeahs.

(Judah hat sein Geschäft endlich erledigt und entdeckt Pauls Bass)

Jon (zu Paul): Und du willst dich als Bassist vorstellen?

Paul: Braucht ihr einen?

Jon: Ich weiß nicht wie gut du bist. Du musst mal spielen, damit ich es bewerten kann.

Ich benutze immer nur eine Saite.

Jon: Also, dein erster Fehler war schon mal, dass du nicht mit einem 6-saitigen Bass angekommen bist.

Und mein zweiter Fehler?

Jon: Du hast deinen Mund aufgemacht. Bassplayer, you stay in the back! (Gelächter)

Alan Vega - Be Bop A Lula

Jon: Oh, das ist Alan Vega.

Russell: Erste Platte, erste Soloplatte.

Jon: Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern, welche Platte das ist.

Russell: Das ist nicht die erste Soloplatte. Keine Ahnung wie die heißt. Das ist eine erstaunliche Platte.

New York Dolls - Bad Girl

Jon: Vielleicht werden wir mit denen in Portugal spielen. Wir sind sehr gespannt, wie das wird.

Russell: Ist nicht gerade jemand von denen gestorben?

Jon: Mehr als einer.

Russell: Nein, jetzt vor kurzer Zeit?

Nancy Sinatra - These Boots Are Made For Walking

Jon: Nancys Tochter wohnt in Hoboken, New Jersey. Sie kümmert sich um die Karriere ihrer Mutter. Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihrer Mutter ein paar Songs zusammen singe in Maxwells, ein kleiner Punkrock-Laden in Hoboken. Danach war ich mit Nancy im Studio, und wir haben ein paar Songs aufgenommen. Ich denke, das wird im Herbst veröffentlicht (4. Oktober, Anm. d. Red.). Nancy Sinatra ist eine tolle Frau. Sie hat eine sehr gute Liveband. Tom Berkley spielt Schlagzeug und irgend jemand aus Guns 'n Roses spielt da auch mit. Das ist eine richtige Rockband. Nancy ist wirklich großartig.

Gibt es noch andere Künstler, mit denen du gerne mal arbeiten möchtest?

Jon: Tony Joe White. Ein amerikanischer Swamp Rock-Typ. Er hat "Pope Salade" gesungen. Das war sein größter Hit.

Boss Hog - Whiteout

Wird es demnächst ein neues Album von Boss Hog geben?

Jon: Nein. Christina schreibt gerade an neuen Stücken. Sie jammt mit dem Produzenten, mit dem sie zusammen aufgewachsen ist. Er heißt Wolf und kommt aus Washington D.C. Sie macht mit ihm eine Platte. "Whiteout" wurde von Tore Johansson produziert. Wir spielen morgen auf einem Festival in Malmö, in Schweden, da wohnt Johansson.

Du hast gesagt, dass euer neues Album "Damage" die Mutter aller Blues Explosion-Platten sei. Was genau bedeutet das?

Jon: Die Beste!

Das letzte?

Jon: Die Mutter aller Platten. Heavy! Great! Big! Stupendous! Musik, mit dem meisten Bass.

Elliott Smith - Son of Sam

Jon: Mit ihm haben wir was auf unserer letzten Platte gemacht … Das war der Anfang unserer Freundschaft. Wir hatten ein paar Sessions mit ihm in New York und andere bei ihm in L.A. Einige Aufnahmen werden wir in Zukunft sicherlich benutzen. Aber es war sehr sehr traurig ... Eine Tragödie. (Elliott Smith beging im Oktober 2003 Selbstmord, Anm. d. Red.)

Welche Platte habt ihr euch zuletzt gekauft?

Russell: Ich weiß was das war.

Jon: Ich weiß was die nächste Platte sein wird, die ich kaufen werde. "How The West Was Won" von Led Zeppelin. Live Aufnahmen aus den 70er Jahren. Die wurde schon vor ein paar Jahren veröffentlicht.

(Und dann wendet sich Jon noch mal Pauls Bass zu, den Judah die ganze Zeit im Hintergrund gespielt hatte und offensichtlich weit spannender fand als mein Interview.)

John: Spielt ihr in einer Band zusammen? Wie heißen die?

La More.

Jon: L'amour? Oh la la!

Das Interview führte Jasmin Lütz.

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