laut.de-Kritik

Rage und Inbrunst, Furor und Raserei.

Review von

"We just, eh … Have we got that already? All right": Die ersten Worte, die knisternd den Opener eines lange ersehnten Albums einleiten. Eine Platte, die vor knapp einem Jahr wohl viele für unmöglich gehalten hätten und die so rau, laut und rabiat klingt, als versuche man, einen Hinkelstein mit Sandpapier abzureiben.

Der erste Satz, ein Gesprächsschnipsel aus dem Studio, schlägt den Bogen zu dem, das den gesamten Viertling von Bloc Party auszeichnet: derbe, ungeschliffene Lo-Fi-Ästhetik wie frisch aus dem Proberaum, härter, dreckiger und düsterer als alles, das man bisher von der Band kennt. Anders als das Debüt, völlig konträr zur zweiten und dritten Platte.

Im Vorfeld hatte man so etwas Ähnliches wie Respekt oder Furcht vor dem, das einen auf "Four" erwarten würde. Die Welle der Post-Punk-/Indie-Rock-Bands, die Anfang und Mitte der 2000er die Musikwelt überschwemmte, ist längst abgeebbt. Der Mehrheit neuer Veröffentlichungen dieser Garde mangelt es an Durchschlags- wie Überzeugungskraft. Damalige Dinosaurier versuchen sich an der Reanimation des einstigen Erfolgs, reproduzieren aber doch nur wiedergekäute Eigenplagiate.

Nicht so Bloc Party: Die drei Jahre Auszeit haben Wirkung gezeigt. Nach vielen Spekulationen und von der Band als Hoax in die Welt gesetzten Unsinnsnachrichten fanden Kele Okereke, Russell Lissack, Gordon Moakes und Matt Tong sich im Winter 2011 in einem New Yorker Studio ein, um wieder gemeinsam aufzunehmen.

Es kracht und rumpelt wie nie zuvor: Ein schneidendes Gitarrenriff, ein paar Störgeräusche, deftiger Bass und Drums wie ein Gewitter auf "So He Begins To Lie" bilden den stürmischen Gegenpart zum Gesang, der trotz Rage und Inbrunst noch immer lieblich wie Belcanto klingt.

Die Variabilität von Keles stimmlichem Repertoire beeindruckt: Engelsgleich sanft ("Day Four"), scharf und kratzig ("TeamA"), flüsternd, schreiend und unbeherrscht ("3x3") kann er. Ohnehin scheint es, als schöpfe die Band viel ihrer energetischen Passion, die sie in Töne übersetzt, aus Furor und Raserei.

Auch den Hang zur Verwundbarkeit haben Bloc Party nicht verloren. Gesetzte, feingliedrige Stücke wie "The Healing" und "Real Talk" mögen strukturell und technisch einfach wirken und auf nur wenigen Akkorden basieren; ihre Wirkung verfehlen sie deshalb nicht.

Elektronische Spielereien finden keinen Platz zwischen Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang. Repetitiv, rhythmusbetont und präzise spielen Lissack, Moakes und Tong ihre Stärken an den Instrumenten aus. Die Daft Punksche Gitarreneinlage auf "Octopus" zum Beispiel: Auf einer so nervösen und zittrigen Melodiephrase stand selten eine erste Singleauskopplung der Band.

In der symbolschwangeren (Bild-)Sprache von Artwork und Albumtitel lassen sich zahlreiche Bedeutungsspielräume ausloten: Vier, die klassische Konstellation einer Rockband und zugleich Verweis auf die neu gewonnene Symmetrie im Machtgefüge von Bloc Party, die den Monopolistenanspruch Keles, der dem Vorgänger die Elektronik einimpfte, überwindet; der Vier-Viertel-Takt als konventionelles Rockmetrum; die vier farbigen Kreise als Sinnbild für die vier Individuen, durch deren einzigartiges Zusammenspiel dieses Produkt entstand.

"It is the sound that only the four of us could make", bringt Kele es auf den Punkt. Und diese vier bilden eine eingespielte Einheit, die Wildheit und Zerstörungskraft, Zerbrechlichkeit und Intimität gleichermaßen vertonen. Von Emotionalität und Intuition geprägt, ist "Four" trotzdem ein durchdachtes Album, das tief sitzt.

Die Erneuerungskraft ihres temporären Rückzugs zahlt sich aus: Enthusiasmus hat in die Spielweise der Musiker zurückgefunden. Von Erschöpfung, Langeweile und Distanz, wie Kele die Pause damals erklärte, ist nichts mehr zu spüren. Kunstfertig transponieren sie den Druck, die Dringlichkeit und die Hingabe, die sie auf der Bühne auszeichnet, auf Platte.

Mit der Vermengung prägnanter Melodien, wütender musikalischer wie gesanglicher Interpretation und emphatischer Texte erreichen Bloc Party eine Intensität, die eindringlicher kaum sein könnte. Heraus kommt ein grober Brocken Musik, der einem mal unverdaulich wie ein rohes Stück Fleisch, mal beklemmend wie ein Kloß im Halse stecken bleibt.

Trackliste

  1. 1. So He Begins To Lie
  2. 2. 3x3
  3. 3. Octopus
  4. 4. Real Talk
  5. 5. Kettling
  6. 6. Day Four
  7. 7. Coliseum
  8. 8. V.A.L.I.S.
  9. 9. Team A
  10. 10. Truth
  11. 11. The Healing
  12. 12. We Are Not Good People
  13. 13. Mean
  14. 14. Leaf Skeleton

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30 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Schöne Review!

    Ich liebe dieses Album, 5 Sterne wären meiner Meinung nach verdient gewesen.

  • Vor 11 Jahren

    Eine Woche zu spaet !
    Das Debut war ganz klar einer der Alben der 00er. Auf AWITC gefiel mir nur noch the prayer. Auf Intimacy waren 2 lieder geil mercury und signs (ihr bestes lied ueberhaupt). Mit four versuchen sie so ein bisschen back to the roots. aber dieser versucht misslingt ein wenig. fuer das album haette man sich deutlich mehr zeit nehmen sollen. mich konnte nur octopus ueberzeugen

  • Vor 11 Jahren

    Arbeitet sich bei mir langsam von "Scheißplatte" zu 3/5 hoch. Mag ich lieber als Album 2 und 3. Wohl auch, weil der Sound ein wenig an Silent Alarm in kaputt erinnert und man endlich mal wieder den Schlagzeuger hört.

  • Vor 11 Jahren

    @ TheBeast666
    ...es war eine ironisierte antwort auf das exaltierte statment des t.b.c. eins über mir.

    bin jetzt aber etwas ausgeleiert mit dem thema.
    es wird sicher auch in naher und ferner zukunft manigfach gelegenheit geben,darüber zu parlieren.

  • Vor 11 Jahren

    @Der-Wal (« @ TheBeast666
    ...es war eine ironisierte antwort auf das exaltierte statment des t.b.c. eins über mir.

    bin jetzt aber etwas ausgeleiert mit dem thema.
    es wird sicher auch in naher und ferner zukunft manigfach gelegenheit geben,darüber zu parlieren. »):

    Oh, die wird es mit Sicherheit geben. Solange du die passende erwischt, soll es mir recht sein. ;)

  • Vor 11 Jahren

    Bloc Party mochte ich eigentlich nie wirklich gern hören, dieses Album hat mich am anfang auch nicht überzeugt. Beim Zweitenmal hören hat es sich dann doch geändert. Ein Solides Album und bis Dato das beste der Band. 2-3 Mehr Tracks die mir gefallen hätten und das Album hätte eine bessere Wertung von mir bekommen. Trotzdem sehr hörenswertes Zeug, bin positiv Überrascht.