25. April 2017

"Ich verdiene genug mit CDs"

Interview geführt von

Die Credits des neuen Ayreon-Albums "The Source" lesen sich eher wie die Personal-Daten eines Fußballspiels als die einer Musikplatte – und zwar beider Mannschaften. Trotzdem laufen sämtliche Fäden bei einem Mann zusammen: Arjen Lucassen. Dem geht es auch nach vierzig Jahren aktiver Karriere quasi nur um eins: die Musik.

Dunkel wars, der Mond schien helle, als Devin Townsend blitzeschnelle im Columbia-Theater auf die Bühne sprang. Ein paar Kilometer weiter sitzt zeitgleich in einem Berliner Hotel ein Mann, der sowohl mit Townsend als auch dessen heutiger Vorband Between The Buried And Me bereits zusammengearbeitet hat: Arjen Lucassen, Mastermind der Prog-Oper-Instanz Ayreon. Für sein neues Album "The Source" hat er erneut die Crème de la Crème der Musikwelt zusammengetrommelt – Paul Gilbert ist ebenso zu hören wie Guthrie Govan, James LaBrie, Hansi Kürsch und Floor Jansen – und alle tanzten nach der Pfeife des niederländischen Halbriesen, der nie live auftritt, dessen Nerd-Aura aber trotzdem von gewissem Rockstar-Flair durchzogen ist.

Wobei: das mit dem "nie live auftreten" stimmt nicht so ganz. Für Herbst 2017 plant Lucassen die ersten großen Ayreon-Live-Shows. Drei Abende, alle innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Wie die Vorbereitungen laufen und auch, welche Nachbereitungen er im Sinn hat, darüber sprach im Interview. Außerdem entwirrte er für uns die Story seines aktuellen Albums, gab Einblicke in seinen Songwriting-Prozess und zollte einem Prog-Kollegen Tribut, mit dem er (noch) nicht zusammengearbeitet hat: Steven Wilson.

Ich würde gern mit dem vorangegangenen Album einsteigen: "The Theory Of Everything". Ein Jahr nach der Veröffentlichung erschien ja ein Film gleichen Namens. Und wenig später kam Disneys "Inside Out", dessen Prinzip ein wenig an "The Human Equation" erinnert...

Ja, ich weiß. Sie klauen alle meine Ideen, haha. Naja, "The Theory Of Everything" ist eh ein bekanntes Konstrukt. Das habe ja nicht ich erfunden. Ich weiß gar nicht, wer zuerst damit ankam. Stephen Hawking wahrscheinlich. "Inside Out" ist mehr oder weniger dasselbe wie "The Human Equation", das stimmt schon. Aber ich bin sicher, das ist nur Zufall. Es wäre schmeichelhaft, wenn sie es wirklich geklaut hätten, haha. Könnte mal meinen Anwalt fragen...

Hast du die Filme gesehen?

Ja! Ich mochte beide.

Im Falle von "The Source" ist es ja eher umgekehrt. Dem Album gingen Filme wie "Interstellar" und "Arrival" voraus, deren Storylines schon auch gewisse Ähnlichkeiten zu deiner aufweisen.

Stimmt, haha.

Hast du dich davon inspirieren lassen?

Nein, ich habe die Filme gesehen, aber die Story schleppe ich schon länger mit mir herum. Die ist schon über ein Jahr alt. Älter als "Arrival" ist sie auf jeden Fall, kann sein, dass sie nach "Interstellar" kam... Aber das ist alles Zufall. Wird eigentlich mal Zeit, dass sie einen Film zu meinen Geschichten drehen.

Du könntest ja einen drehen. Oder gab vielleicht schon Angebote?

Oh Gott, nein. Es gibt so viele Drehbuchautoren da draußen, die ihre Geschichten in die Welt tragen möchten. Und ich kann keine Filme machen. Ich kann bloß Musik.

In Science-Fiction-Stories – ob das jetzt deine sind, Filme oder sonst etwas – gibt es häufig diesen Gegensatz zwischen einerseits dem Feiern von Technologie bzw. technologischem Fortschritt und der gleichzeitigen Verdammung derselben.

Das ist richtig. Aber ich will definitiv nicht sagen, dass Technologie schlecht ist. Ich bin für sie! Es gibt niemals Gut und Böse in meinen Geschichten. Es ist ein bisschen wie bei "Star Trek". Damit bin ich aufgewachsen, weißt du. Ich fungiere vor allem als Beobachter. Technologie ist, was die Leute mit Technologie machen. Und das kann gut wie schlecht sein. Oh guck mal: (zieht sein antikes Handy aus der Tasche) Das hier ist mein Telefon. Zehn Jahre alt, hihi.

Bis vor einem Jahr war meins noch auf demselben Level, haha.

Echt? Cool. Naja, weißt du, vor ein paar Wochen war ich mal joggen auf einer einsamen Landstraße, als gerade die Schule aus war. Und die Hälfte der vorbeiradelnden Kinder hat mich nicht mal kommen sehen. In solchen Situationen frage ich mich: "Sind sie glücklicher als ich damals, als es noch keine Computer gab?" Deswegen interessiert mich das so sehr. Ich bin ja ohne Computer aufgewachsen. Das gab es einfach nicht, genausowenig Mobiltelefone und solches Zeug.

Naja, jede Generation hat etwas, was die vorherige nicht hatte – und umgekehrt. Vor dir wuchsen die Leute auch mal ohne Fernseher auf.

Das stimmt! Sie haben wahrscheinlich gesagt: "Als ich klein war, haben wir Radio gehört", während ich dachte: "Oh Mann, das ist doch total langweilig". Deswegen möchte ich all das auch auf gar keinen Fall verteufeln. Meine Geschichten sind Eskapismus, mehr will ich gar nicht. Ich will nicht mit dem Finger auf etwas zeigen und sagen, das da ist gut und das da ist schlecht. Die Leute sollen einfach für 80 Minuten der Realität entfliehen können, das ist das Wichtigste. Wenn man mag, kann man zwischen den Zeilen meine Ansichten herauslesen. Aber ich möchte das den Leuten nicht aufzwingen. Meine Aufgabe als Musiker ist es nicht, Leute zu erziehen.

Du spielst in deiner Musik viel mit Folk-Elementen – als Kontrast zu Synthesizer und Co. Das könnte man wohl im Zusammenhang mit dem Kontrast Naturalität vs. Technologie sehen.

Absolut! Und ich liebe einfach Kontraste. Deswegen ist meine Musik so dynamisch. Du hast erst diesen wiiiirklich heavy Part und dann kommt ein netter, leichter. Den größten Kontrast auf "The Source" gibt es wohl in "Everybody Dies" zu hören. Ein total fröhlicher Track! Didi didi dadadadada! Aber der Text ist niederschmetternd. Auf meinem Soloalbum habe ich einen Track namens "Dr. Slumber's Eternity Home" – der geht so ähnlich, sehr gut gelaunt (singt): "Doc-tor Slum-ber's eternity home..." Allerdings geht es um ein Euthanasie-Zentrum, wohin Leute gehen, um zu sterben. Ich liebe diesen Gegensatz. Wie du gesagt hast: Es zeigt zwei Seiten der Medaille.

"Ich kann nicht mehr als Fan Musik hören"

Um nochmal kurz zu den Filmen zu gehen: Deine Facebook-Page ähnelt ja mittlerweile fast schon Fantheorie-Seiten wie man sie von "Star Wars" oder so kennt...

Ja! Sie versuchen alle Verbindungen zwischen den Stories zu finden. Das ist super. Ich liebe das.

Mal sehen, ob ich bei "The Source" alles soweit richtig verstanden habe. Die Forever fliehen von Planet Alpha...

Zu dem Zeitpunkt waren sie noch nicht die Forever. Sie waren noch Menschen.

Ah, da hätten wir schonmal den ersten Fehler. Aber sie fliehen von Alpha, weil 'The Frame' den Planet retten und deshalb die Menschheit vernichten möchte.

Genau, sein Ziel ist, den Planeten zu retten. Hier haben wir es wieder: weder gut noch böse.

Schließlich beginnen sie ein neues Leben auf Planet Y – mithilfe der Substanz namens 'The Source' –, müssen allerdings große Teile der Bevölkerung zurücklassen.

Richtig, sie müssen fast alle zurücklassen.

Kannst du mal kurz skizzieren, wie genau die Verbindung zu den anderen Alben verläuft? Es ist ja ein Prequel...

Ja, richtig, es ist ein Prequel. Das Ende dieses Albums ist der Anfang des Albums "01011001" – sie knüpfen nahtlos aneinander an. Es sind sogar dieselben Sounds. Im Grunde erkläre ich, wo die Rasse der Forever herkommt. Die Forever erschaffen gewissermaßen die menschliche Rasse. Sie packten ihre DNA auf einen Meteoriten, der die Erde traf und die Dinosaurier auslöschte. Vor 56 Millionen Jahren. Sie waren verantwortlich für den Aufstieg der Menschen auf der Erde. Und nun übernimmt auf der Erde die Technologie die Kontrolle. Genau wie auf Planet Y die Technologie Überhand nahm und sie komatös werden ließ. Es war cool für mich, zu gucken, woher die Forever stammten. Und es war so: "Okay, sie waren einst menschlich. Und sie kommen von einem Planeten namens Alpha, wo das Gleiche mit der Technologie passiert ist." Also im Grunde wiederholt sich die Geschichte einfach.

Und "March Of The Machines" ist also nicht etwa der Teaser für ein nächstes Album, sondern die Verbindungsstelle zu den bestehenden.

Ja, das ist der Moment, an dem die Forever komplett abhängig von Technologie werden. Deswegen gibt es den Song "Comatous": Sie haben keinen Grund mehr zu leben, aber sterben werden sie auch nicht mehr. Sie sind einfach und das wars. Ich habe nie erklärt, wie es dazu kam. "March Of The Machines" erklärt, warum sie ihre Emotionen verloren haben. Wenn ich das jetzt erklären würde, würde das das Ende der Geschichte ruinieren. Die Leute müssen das Album kaufen, um zu erfahren, was passiert ist. (lacht)

Siehst du dich selbst eigentlich mehr als Geschichtenerzähler oder in erster Linie als Musiker?

Musiker!

Also kommt immer zuerst die Musik und dann die Story.

Richtig. Ich empfinde meine Geschichten einfach nur als eine Extra-Dimension zur Musik. Die Musik ist viel, viel wichtiger.

Auf dem neuen Album arbeitest du mit einem Sänger namens Zaher Zorgati von der Band Myrath zusammen...

Oh ja, super cool. Du musst unbedingt mal bei ihm reinhören.

Habe ich heute schon ein bisschen. Vorher hatte ich allerdings noch nie was von ihm gehört. Wie läuft denn bei dir so eine Rekrutierung ab? Denkst du dir: "Ich brauche diese Art von Sänger für das Album?" und suchst dann entsprechend?

Nein, umgekehrt! Wie du gesagt hast: Ich starte mit der Musik. Die Musik inspiriert dann die Geschichte. Dann suche ich nach Sängern, die zu Story und Musik passen. Ich habe eine Wunschliste mit etwa hundert Sängern, aber sie passen natürlich nicht alle dazu. Entsprechend sortiere ich dann aus. Wie ich zu dieser Liste komme? Ich abonniere einfach eine Menge Magazine und lese sie alle. Wenn ich auf etwas Interessantes stoße, mich z.B. eine Review neugierig macht... Beispiel Myrath: orientalische Melodien, toller Sänger – "Oh, interessant!" Also tippe ich das bei YouTube ein, hörs mir an und wenn es mir gefällt, notiere ich mir den Namen.

Nun wird es seltsam: Nachdem ich die Sänger dann ausgewählt habe, verteile ich sie über das Album. Da es Doppelalben sind, sollte natürlich sollte jeder Sänger einigermaßen gleichmäßig über beide Seiten verteilt sein. Das ist ziemliche Puzzlearbeit. Dann schreibe ich die Charaktere für die Sänger. Ich suche nicht anhand der Figuren nach Sängern, sondern umgekehrt. Ich schreibe die Figuren basierend auf der Persönlichkeit des Sängers.

Also hörst du während des Songwritingprozesses auch jede Menge andere Musik und isolierst dich nicht etwa.

Gar nicht. Ich verstehe Bands nicht, die sagen: "Wir hören keine Musik von anderen, um nicht von ihnen beeinflusst zu werden." Ich möchte doch beeinflusst werden! Bitte beeinflusst mich! Ich bin ständig auf YouTube, checke neue Bands, neue Musik aus. Das inspiriert mich. Es heißt ja nicht, dass du kopieren musst, was du magst. Also ich bin sehr offen was das angeht. Ich will alles wissen und mitkriegen, was aktuell geschieht und nicht in der Vergangenheit hängen bleiben. Klar, in der Vergangenheit sitzt die Musik, die ich wirklich mag – die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Alles zwischen dem zehnten und zwanzigsten Geburtstag – das ist die Musik, die dich prägt. Das wird wohl immer deine Lieblingsmusik bleiben. Aber nichtsdestotrotz höre ich mir so viel an wie möglich.

Ich finde auch, neue Musik kann dahingehend oft inspirierender sein. Auf deine Lieblingsmusik kommst du zwar immer wieder zurück, aber du kennst sie irgendwann auch in und auswendig. Sie kann dich nicht mehr wirklich überraschen – Neuentdecktes schon.

Das ist möglich, ja. Was aber leider nicht mehr geht, ist, als Fan Musik zu hören, die meiner ähnlich ist. Ich hasse es. Echt. Davor hatte ich mein Leben lang Angst: Dass ich eines Tages nicht mehr als Fan Musik hören kann. Dieser Tag ist nun leider gekommen. Es ist heute unmöglich für mich, als Fan Dream Theater oder Nightwish oder Kamelot zu hören. Dabei kommen immer Gedanken wie: "Oh, ich mag die Bassdrum. Aber hier hätte die Cymbal mehr Höhen vertragen." Ich kann es einfach nicht mehr auf dieselbe Weise genießen, wie ich einst Black Sabbath und Deep Purple genießen konnte – als Kind in den 60ern, als ich nichts über Musik wusste.

Wer weiß, vielleicht ändert sich das eines Tages wieder.

Hoffentlich!

"Steven Wilson ist ein verdammtes Genie"

Basierend auf den beiden bereits veröffentlichten Songs handeln einige "The Source" schon als Album des Jahres...

Ich hoffe doch! (lacht)

Wer ist denn für dich ein "Album des Jahres"-Kandidat? Da du eh die ganze Zeit nach neuer Musik suchst, hast du sicher einen heißen Tipp.

Naja, ich bin ein alter Sack und weiß, dass nächsten Monat ein neues Deep Purple-Album rauskommt (inzwischen erschienen: "inFinite", A.d.R.). Bob Ezrin – einer meiner Lieblingsproduzenten – hat produziert. Darauf freue ich mich wirklich. Devin Townsends Zeug mach ich auch sehr. Oh, sein Album kam schon letztes Jahr oder?

Ja, aber bei seinem Output würde es mich nicht wundern, wenn bald schon das nächste kommt...

Da hat du recht, haha. Gerade gestern habe ich Avenged Sevenfold gehört. Das kam dieses Jahr oder? Das fand ich echt cool. Viele verschiedene Styles. Ich kannte die Band vorher nicht, das war das erste, was ich von ihnen gehört habe. Ich dachte, sie wären so eine kommerzielle Radioband, aber das sind sie ja überhaupt nicht.

Denkst du schon über eine Rekrutierung für eins deiner Alben nach?

Hmm, das Jahr ist noch jung, eine Menge kann passieren... (lacht) Was wäre denn dein Kandidat für das Album des Jahres?

Steven Wilson wahrscheinlich. Oder Pallbearer.

Wie? Pulp Era?

Pallbearer. Könnte man wohl als Doom Metal mit einer kräftigen Prise Pink Floyd beschreiben.

Oh cool. Und Steven Wilson bringt dieses Jahr noch ein Album raus?

Sieht jedenfalls so aus. Ein kurzes Studio-Snippet hat er schon gepostet und es ist großartig.

Sowieso alles was der Kerl anfasst ist großartig. Der Typ ist ein verdammtes Genie. Nicht nur wegen seiner Musik – auch seine Interviews sind toll. Ich hab mir in letzter Zeit recht viele Interviews mit ihm angesehen. Er ist so intelligent und hat echt viel zu sagen. Auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme.

Mit was zum Beispiel nicht?

Wenn ich das verrate, hasst er mich vielleicht... (lacht) Und ich habe ja absolut kein Problem damit, dass er die jeweilige Meinung vertritt – überhaupt nicht! Aber ein Beispiel: Er wurde gefragt, was er live spielen wird und meinte: "Ich spiele was ich will – was das Publikum will, interessiert mich nicht." Damit habe ich kein Problem; wenn das seine Meinung ist, ist das okay. Aber im September spiele ich zum allerersten Mal live mit Ayreon. 9000 Leute werden da sein und kommen von überall aus der ganzen Welt. Stell dir mal vor, eine Gruppe reist aus Australien an, mein zweites Album "Actual Fantasy" ist ihre Lieblingsplatte und ich würde keinen Song davon spielen! Ich will spielen, was die Leute hören wollen. Aber gut, Steven Wilson tourt ständig. Ich kann mir vorstellen, dass er ab und zu mal die Songs wechseln muss... Aber bei mir ist es zum Beispiel auch so, dass ich sogar mit den Alben versuche, die Fans zufriedenzustellen. Deswegen mache ich es doch! Ich kriege Mails von Leuten, die schreiben, ich hätte ihr Leben verändert! So etwas ist doch total inspirierend. Das passiert recht oft und jedesmal denke ich bei mir: "Ja, deswegen mache ich es".

Da du die Liveshow schon erwähnt hast: Wie weit sind denn die Vorbereitungen?

Ich habe inzwischen die Setlist fertig und die Sänger auf die Songs aufgeteilt. Vor ein paar Tagen, kurz bevor jetzt die Promo-Tour startete, habe ich noch die Mails an alle Sänger geschickt. Jeder singt in etwa vier Stücken. Ich habe ihnen diese mitgeteilt, die Lyrics dazugepackt und so. Mal sehen, was sie sagen. Vielleicht sind einige mit der Aufteilung am Ende gar nicht so zufrieden und wollen lieber woanders singen, haha.

Wir hatten auch schon ein Meeting mit den Gitarristen. Darin wurde zum Beispiel besprochen, wer wo die Akustikgitarre spielt und solche Sachen. Wenn ich vom Promo-Run zurückkomme, treffe ich mich mit dem Bassisten und gehe mit ihm die Parts durch. In diesem Stadium befinden wir uns gerade und Ende des Monats [März] ist die erste Probe angesetzt. Für die erste Hälfte des Sets. Es ist schon noch eine Menge zu tun. Weißt du, letztendlich hat die Band die Songs noch nie gespielt.

Und allzu einfach zu lernen sind die Stücke auch nicht wirklich.

Nee, einige sind schon recht komplex. Und dazu kommen noch die Visuals. Wir haben einen riesigen Bildschirm auf der Bühne und ich habe ein Konzept für jeden Song ausgearbeitet. Ich schreibe quasi ein komplettes Drehbuch.

In die Richtung wollte ich eh noch fragen: Wirst du die Stücke zu einer neuen Story kombinieren? Devin Townsend hat das im "Retinal Circus" ja gemacht.

Es wird keine kontinuierliche Storyline. Das wäre unmöglich, weil wir ja von jedem Album Songs spielen und ich währenddessen auch bisschen durchmischen möchte – nicht einfach in der richtigen Reihenfolge runterspielen. Mit Drehbuch meinte ich in diesem Fall eher, wann wo welches Spotlight auf wen gerichtet werden soll. Sänger A kommt bei Sekunde 36 auf den Bildschirm, Sänger B kurz danach. Solche Dinge. Ziemlich kompliziert, aber es wird cool.

Du trittst normalerweise nicht live auf. Für viele Musiker ist das Touren heutzutage die einzige Möglichkeit, noch Geld mit ihrer Musik zu verdienen. Bei dir geht es sich aber noch aus?

Naja, ich verkaufe eine Menge Platten. Bei Amazon bin ich glaube ich aktuell Nummer 1 in der entsprechenden Kategorie. Ich dachte mir auch: "Was zum Teufel?" Die Vorverkaufszahlen waren noch nie so hoch wie für das neue Album. Und die Tickets für die Show waren an einem Tag ausverkauft! Die Pakete sind ja auch wundervoll: Es gibt ein Buch, mit vier CDs und einer Making-Of-DVD. Tolles Artwork! Das ist alles nicht ganz billig und ich kriege halt Prozente davon – wenn es sich verkauft.

Vor allem mache ich alles selbst: Ich schreibe, ich nehme auf, ich habe mein eigenes Studio. Selbst beim Artwork gebe ich sämtliche Anweisungen. Ich muss niemanden bezahlen. Nur die Sänger – sofern sie bezahlt werden wollen. Es fallen kaum größere Kosten an. Ich muss mich nicht für drei Wochen in einem teuren Studio einmieten, ich verfüge über das Copyright, bekomme also sämtliche Royalties. Dream Theater müssen die wahrscheinlich auf fünf oder sechs Leute aufteilen – plus den Manager. Einen Manager will ich auch nicht, genausowenig einen Publisher. Das mache ich einfach selbst. Weil ich nicht live auftrete, habe ich dafür viel Zeit. Für mich ist nicht live zu spielen eher der Grund dafür, dass ich Kohle mache, haha. Touren frisst 90 Prozent der Zeit – all das Rumgereise, das Warten...

... kein Studio zur Hand.

Nee, genau. Keine Inspiration. Man kann nicht kreativ sein. Also ja: Ich verdiene noch genug von CD-Verkäufen und Copyrights.

Du bist gerade Teil eines vom Metropole Orkest initiierten Votings und stehst recht gut da. Der Sieger darf mit dem Orchester aufnehmen. Hast du dir schon überlegt, was du im Fall der Fälle recorden würdest?

"Everybody Dies" als reine Orchesterversion fände ich ziemlich cool. (singt) Tatadudududududum!

Also würdest du einen bestehenden Song umarrangieren, keinen extra dafür schreiben?

Nee, nee, klar: Etwas, das bereits existiert. Aber ehrlich gesagt fürchte ich, dass sich das ganze Orchesterding letzten Endes als großer Schwindel entpuppt. Ich glaube, sie sind einfach nur hinter den E-Mail-Adressen her. Erst dachte ich: "Okay, cool, sie veranstalten diesen Contest und in zwei Wochen lösen sie dann auf, wer gewonnen hat." Jetzt habe ich gesehen, dass das ja über Monate hinweg läuft! Lächerlich. Ich trau dem nicht so ganz... Wahrscheinlich starten sie dann noch eine neue Runde... Ehrlich gesagt denke ich darüber nach, die Fans zu bitten, nicht mehr abzustimmen. Sie müssen ihre E-Mail-Adresse angeben und kriegen dann am Ende lauter Spam. Schlussendlich packen sie dann wahrscheinlich einfach irgendeine populäre holländische Teenager-Pop-Band, die alle lieb haben, auf die 1 und machens mit der. Naja... Aber es ist auf jeden Fall cool, dort so weit oben dabei zu sein! Mit Epica!

Epica sind ja gerade wieder an dir vorbeigezogen.

Ja, ich weiß, hahaha. Aber sie promoten auch kräftig – mit Postern, Flyern und was weiß ich. Alles was ich gemacht habe, war der Facebook-Post. Ich hab mit ihnen schon drüber gewitzelt. Mark Jansen hat mir letzte Woche eine Mail geschrieben, dass er sich sehr aufs neue Album freut und so: "Die Songs sind cool, Mann. Und viel Glück mit dem Metropole-Orchester – NICHT!" (lacht) Aber wie gesagt, ich trau dem nicht so...

Naja, hoffen wir mal das Beste.

Hoffen wir das Beste, ja. Cool wäre es schon. Es ist ein gutes Orchester.

Abgesehen davon: Was wird denn dein nächstes Projekt sein? Ich nehme an, Ayreon legt dann erst einmal wieder eine Pause ein.

Nee, ich kann nicht zwei Ayreon-Alben hintereinander machen. Aber zumindest bis zu den Liveshows werde ich mit Ayreon beschäftigt sein. Das wird noch eine Menge Arbeit. Wir werden die ersten beiden Shows filmen und im Nachhinein auf DVD rausbringen. Ich als Kontrollfreak werde in all das involviert sein, auch den Schnitt. Den Sound mixe ich sowieso. Von "Theater Equation" weiß ich, dass der gesamte Prozess einige Monate in Anspruch nehmen wird. Wird ja wieder 5.1 und so... Dafür wird wohl das kommende Jahr draufgehen. Daneben möchte ich natürlich schon über neue Projekte nachdenken, klar. Aber wie ich immer sage: Ich plane nicht wirklich. Gut, ich plane schon, aber halte mich nie an den Plan. Das ändert sich immer. Ich habe keine Ahnung, was als nächstes kommt.

Vielleicht mehr von The Gentle Storm?

Ich glaube eher nicht. Anneke [van Giersbergen]macht ja jetzt Vuur – was mehr oder weniger dieselbe Band ist. Ich weiß nicht, ob sie nochmal The Gentle Storm würde machen wollen, wenn das läuft.

Also eher etwas komplett neues?

Etwas neues oder vielleicht ein Soloalbum. Star One wird es wohl auch nicht, weil "The Source" da recht nahe ran kommt. Es ist ziemlich heavy. Heavier als die Vorgänger. Aber ich probiere immer ein Soloalbum zu machen und scheitere dann doch, also wer weiß. Möglicherweise starte ich mal wieder einen Versuch, der dann zu etwas ganz anderem wird, haha. Wer weiß...

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