11. Juni 2014

"Ich wollte klingen wie ein Monster"

Interview geführt von

Arch Enemy haben Angela Gossows Ausstieg gut verkraftet und fanden dank Neuzugang Alissa White-Gluz zu ungeahnter Stärke. Wir sprachen mit der Kanadierin über das aktuelle Album "War Eternal", ihren Wechsel zur Band und "Hottest Chicks In Metal". In Bezug auf ihre Castingshow-Vergangenheit hält sie sich jedoch bedeckt.

Alissa White-Gluz kommt gerade von den ersten Gigs als Arch Enemy-Frontröhre zurück, hat gerade einen Hotelumzug hinter sich gebracht und eine gebrochene Rippe, die einem Bühnenunfall geschuldet ist. Zum Glück steht all das unserem Telefongespräch mit der Sängerin nicht im Wege.

Hi Alissa, du kommst ja gerade von deinen ersten Liveshows mit Arch Enemy. Nervt das nicht ein bisschen, jetzt schon wieder zwei ganze Tage Interviews zu geben, statt zu spielen?

Naja, natürlich hat man es irgendwann satt, immer wieder über dasselbe Zeug zu reden, aber gleichzeitig bin ich froh, dass man uns überhaupt so viel Aufmerksamkeit schenkt. Das ist ein Privileg. Deshalb bin ich auch immer offen, mit den Leuten zu reden.

Wie liefen denn die Gigs?

Großartig! Wirklich unglaublich. Ich hatte noch niemals zuvor solch einen Adrenalinschub auf der Bühne.

Demnach waren die Reaktionen auf dich als neue Sängerin positiv?

Ja, auf jeden Fall! Es hat sich richtig angefühlt.

Gab es denn große Unterschiede für dich zwischen Konzerten mit The Agonist und jetzt mit Arch Enemy?

Ja. Die Fans sind durch die Bank genauso leidenschaftlich – wie auch bei Kamelot und anderen Bands mit denen ich schon gesungen habe – aber auf die Show selbst bezogen, hat sich ziemlich viel verändert. Ganz einfach auch wegen meines eigenen Gefühls. Der Energieaustausch zwischen den Bandmitgliedern und den Fans ist toll!

Hast du mittlerweile eigentlich wieder Kontakt mit The Agonist? Die Trennung lief ja eher unschön ab…

Nein, ich spreche nicht mehr mit ihnen. Meine Beziehung zu The Agonist endete an dem Tag, an dem sie mich rausgeworfen haben. Bei Arch Enemy läuft dagegen alles prima. Mit Angela und den Jungs ist es wie in einer Familie.

Apropos Angela: Wie steht ihr zueinander? Gibt sie dir häufiger Tipps?

Ja, sie war mir schon immer eine gute Mentorin, hat mir viele Ratschläge gegeben und war da, wenn ich mal jemanden zum Reden gebraucht habe. Sie gibt mir Tipps, wenn sie denkt, dass es mir helfen könnte, respektiert mich jedoch als Künstlerin und versteht, dass ich meine eigenen Fähigkeiten entwickelt habe. Sie ist immer da um zu helfen, aber manchmal auch, um einfach nichts zu sagen, wenn sie der Meinung ist, dass das, was ich mache, gut ist.

Sie steht der Band also noch immer sehr nahe.

Oh ja, ich spreche täglich mit ihr.

Warst du in das Songwriting zu "War Eternal" eigentlich direkt involviert oder stand schon alles, bevor du zur Band gestoßen bist?

Von mir stammen die Lyrics zu fünf Songs, die der restlichen fünf kommen von Michael. Ich habe zudem viele Gesangsarrangements ausgearbeitet. Ein Teil der Instrumentierung stand schon, bevor ich mich angeschlossen habe, doch das meiste passierte, als ich bereits mit der Band jammte. Angela hat für dieses Album gar nichts mehr geschrieben.

Hat sich im Songwritingprozess viel verändert verglichen mit der Arbeit bei The Agonist?

Ich glaube, ich bin als Songwriterin reifer. Außerdem habe ich früher so gut wie alles selbst gemacht. Jetzt hatte ich Michael (Amott, Gitarrist und Hauptsongwriter; A.d.R), der ständig mit mir kollaborierte. Es war cool, jemanden zu haben, der mit mir gearbeitet hat. Das wollte ich immer. Es lief alles sehr viel reibungsloser ab, war insgesamt deutlich angenehmer.

Hast du dich auch anders vorbereitet?

Hm ... ja. Weißt du, Arch Enemy ist eine andere Band. Die Songs erfordern ein anderes Feeling. Ich vertraue auf meine Skills als Sängerin nicht deshalb, weil ich alles kann, sondern weil ich weiß, wann ich welche Dinge tun muss. Ich glaube, es ist sehr wichtig, abzuwägen, wie viel zu viel und wie viel zu wenig ist. Du musst die richtige Balance finden, damit die Vocals zum Song passen.

Hast du dir dafür auch Angelas Stil angeschaut und versucht, deinen mit ihrem zu kombinieren? Oder hast du eher dein eigenes Ding durchgezogen, nur eben jetzt in einem anderen Kontext?

Nein, bei einigen Songs war definitiv Angelas Sound am besten. Also habe ich ihren mit meinem zusammengeführt. "You Will Know My Name" ist ein Beispiel, weil das wie ich finde ein klassisches Arch Enemy-Stück ist. Da wollte ich schon ein bisschen mehr von Angelas Ton unterbringen. In anderen Songs, wie beispielsweise "As The Pages Burn", habe ich dagegen etwas komplett Eigenes gemacht.

Ich finde über das gesamte Album gesehen, klingen deine Vocals etwas "weiblicher" als Angelas. Kommt das vielleicht daher, dass du auch Erfahrung mit cleanem Gesang hast?

Das könnte sein, ja. Ich tendiere dazu, ein bisschen Melodie in meine Screams einzuflechten. Natürlich geht es auch anders: "Down To Nothing" ist so brutal wie nur irgend möglich! Früher schämte ich mich für den weiblichen Ton. Ich wollte klingen wie ein Kerl! Wie ein Monster! Über die Jahre habe ich realisiert: Ich bin ein Mädchen – warum sollte ich darauf nicht stolz sein? Jetzt mag ich die Tatsache, dass ich wie eine "monströse" Frau klinge. (lacht) Ich schäme mich nicht mehr, eine Frau zu sein und das ist eine gute Sache. Aber ja, Angelas Ton ist ebenso fantastisch und gerade, wenn wir die alten Songs live performen, versuche ich mehr und mehr, ihn zu integrieren.

"Die Fans sollen die neuen Arch Enemy sehen können"

Du hast bereits mit Kamelot und Nightwish gesungen. Sind das und Arch Enemy zwei komplett verschiedene Dinge für dich oder versuchst du, sie ähnlich zu behandeln?

Als ich mit Nightwish gesungen habe, war das sicherlich eine verrückte Erfahrung. Nightwish ist eine riesige Band und befindet sich an der Spitze des symphonischen Metal! Kamelot ist eine großartige, melodisch-epische Band mit ein bisschen Prog. Ich habe dabei sehr viel gelernt. Und tatsächlich sind sie Arch Enemy sehr ähnlich. Alle drei Bands besitzen eine klare Vision davon, was sie mit einer Show tun wollen. Eine Show ist nicht nur das Wiederholen von Songs, damit die Leute sie hören können. Eine Show ist das Präsentieren einer vollkommenen Erfahrung. Das beinhaltet Licht, Stage-Setup, wie das Backdrop auszusehen hat, die Crew ... Es sind so viele Leute beteiligt, um eine solche Show auf die Beine zu stellen! Das habe ich von Kamelot gelernt. Es ist wirklich eine beeindruckende Sache, alles zusammenzubringen, damit die Fans es genießen können.

2006 hast du an der Castingshow Canadian Idol teilgenommen, was ja so ziemlich den Gegenentwurf zur Metalwelt darstellt ...

Dazu möchte ich bitte nur sagen: "Kein Kommentar", weil ich nicht glaube, dass das besonders relevant ist.

Okay, aber es bedeutet, dass du viele verschiedene Einflüsse hast. Versuchst du also auch, diese in deine Death Metal-Vocals einzubringen?

Absolut! Mich inspirieren ganz viele unterschiedliche Stilrichtungen, nicht bloß Metal. Bei einigen Songs – wie zum Beispiel "As The Pages Burn" – spürte ich einen gewissen Gojira-Vibe. Die Band mag ich sehr. Ich habe versucht, diese Art von Vocals ebenso unterzubringen. Bei "Time Is Black" fühlte ich wiederum einen komplett anderen Vibe, der nicht einmal mehr Metal war, obwohl natürlich schon entsprechende Parts vorkommen. Ich mag Abwechslung. Arch Enemy geben mir die Möglichkeit eine neue Ausprägung des Metal zu entdecken.

Weil du gerade "Time Is Black" erwähnst: In diesem und einigen anderen Songs taucht mit Streichern ein neues, fast schon symphonisches Element im Arch Enemy-Sound auf. Ging das vielleicht sogar unmittelbar von dir aus?

Nein, jedenfalls würde ich nicht behaupten, es sei meine Idee gewesen, sie auf das Album zu packen. Aber mir gefällt es sehr. Wir haben die Parts mit einem echten Streichorchester aufgenommen, das war ziemlich cool. Ich weiß nicht, ob wir dieses Element weiterhin miteinbeziehen, oder ob es eine einmalige Sache nur für dieses Album war. Diesmal hat es einfach gepasst. Die Streicher geben den Songs ein gewisses Extra, sie gleichen sich der Atmosphäre an. Ich bin persönlich überaus aufgeschlossen in Bezug auf Musik, weswegen ich so viele Farben und Strukturen wie möglich integrieren will.

Mir ist aufgefallen, dass bei den zwei Videos, die "War Eternal" begleiten, ausschließlich die Band zu sehen ist. Beim Vorgänger "Khaos Legions" gab es ja stellenweise separate Handlungsstränge im Clip. Habt ihr wegen der einschneidenden Besetzungswechsel entschieden, darauf zu verzichten, um den Fokus auf das neue Line-Up zu legen oder geschah das unabhängig davon?

Ja, wir verfolgten einen reduzierten, sehr rohen Ansatz in den Musikvideos und versuchten die Stimmung eher mit technischen Spielereien wie Kamerawinkel und Licht zu kreieren, statt narrativ vorzugehen. Arch Enemy haben zwei neue Mitglieder (neben Alissa selbst ist auch Gitarrist Nick Cordle erstmals auf einem Studioalbum zu hören; A.d.R.) und wir möchten, dass die Leute die Band sehen können. Damit sie vertraut werden mit den neuen Arch Enemy. Natürlich touren wir auch durch die ganze Welt, doch die Fans sollten schon vorher einen Eindruck von uns bekommen. Schließlich dauert es eine Weile, bis wir jede Stadt abgeklappert haben. Das war auf jeden Fall ein Grund, die Musikvideos schlicht zu halten.

"Es ist cool, jemanden inspiriert zu haben"

Du bist mittlerweile ziemlich lange im Business mit dabei. Frauen haben es ja häufig schwer in der Metalszene. Hattest du oder hast du immer noch deswegen Probleme?

Es wurde definitiv besser und besser. Ich habe durch das Touren und das Bandleben viel gelernt, was dir niemand vorher beibringen kann, weil du es einfach selbst erleben musst. Manchmal gibt es trotzdem noch immer Probleme mit bestimmten Menschen oder speziellen Zuhörerschaften. Doch ich fühle mich nicht ausgegrenzt, nur weil ich ein Mädchen bin. Vor allem nicht innerhalb dieser Band. Arch Enemy ist sicherlich eine Gruppe, die viele Hindernisse in dieser Richtung aus dem Weg geräumt hat.

Siehst du dich selbst als Vorbild für jüngere Mädchen, die im Metal Fuß fassen wollen?

Ja, manchmal bekomme ich erzählt, jemanden inspiriert zu haben. Ich finde das echt cool. Es ist großartig, wenn die Mädchen deshalb nicht mehr so schüchtern sind, wie sie es vielleicht einmal waren. Als ich selbst anfing, habe ich jedoch gar nicht darüber nachgedacht, eine Frau zu sein. Es war nicht so, dass ich gesagt hätte: "Hm, das ist jetzt irgendwie komisch, ein Männerding zu machen", sondern eher: "Hey, ich will das, also mache ich es!" Mein Geschlecht durchkreuzte nie meine Absichten.

Was denkst du, wenn du auf der anderen Seite die ständig auftauchenden "Hottest Chicks In Metal"-Ranglisten und Ähnliches siehst?

Das ist schon ein bisschen befremdlich. Ich glaube, es hat einen gewissen Wert, wenn einige Magazine sich ausschließlich auf Frauen im Metal fokussieren, nur weil es immer noch cool ist, zu feiern, wie viele Frauen mittlerweile an dieser Musikrichtung teilhaben. Aber ich würde "The Greatest Musicians In Metal" gegenüber "The Hottest Chicks" bevorzugen. Denn in den meisten Fällen macht eine Frau Metal, weil sie eine gute Musikerin ist und es will. Nicht, weil sie gut aussieht und es anscheinend eine coole Sache ist. Wenn ein Mädel wirklich etwas aus ihrem Aussehen machen möchte, kann sie von mir aus modeln gehen. Metalmusikerin ist in dieser Hinsicht ja nicht die offensichtlichste Wahl. (lacht)

Beeinflussen solche Dinge in irgendeiner Weise deine Musik oder Bühnenperformance?

Es gab schon Zeiten, in denen ich mich verletzlich fühlte, weil ich eine Frau bin und deshalb meine Weiblichkeit "unterwerfen" musste. Aber genau das lässt sie gewinnen. Und das will ich ganz sicher nicht. Deshalb denke ich meistens gar nicht mehr groß drüber nach. Ich bin überzeugt, mit "War Eternal" ein gutes Album gemacht zu haben, ich bin vertraue inzwischen auf meine Fähigkeit, gut performen zu können. Also tue ich einfach, was ich tue.

Gibt es momentan vielleicht ein Event mit Arch Enemy, auf das du dich besonders freust?

Zurzeit freue ich mich einfach tierisch auf das Albumrelease. Ich kann kaum erwarten, es endlich in den Läden stehen zu sehen. Ich bin echt stolz darauf und will, dass die Leute es in die Finger bekommen und den Rest des Albums hören können. Wir haben uns viel Mühe gegeben bei den verschiedenen Versionen. Es gibt jede Menge Goodies: Play-Through-Tracks, Vinyl, DVD, Artbook, Demoaufnahmen…

Wie schätzt du selbst die Reaktionen auf "War Eternal" ein?

Ich glaube schon, dass das Album den alten Fans zusagen wird. Genau wie auch den neuen und meinen eigenen Fans, die ich über die Jahre angesammelt habe. Bisher waren die Reviews sagenhaft und überwältigend positiv – auch von Journalisten, die zunächst skeptisch waren. Das ist wirklich ermutigend. Ich bin sehr glücklich mit der Musik, die wir geschaffen haben und denke, dass sie für sich selbst spricht.

Und wie siehst du persönlich das neue Arch Enemy-Album im Kontext mit den Vorgängern?

Ich glaube, es ist eine gute Möglichkeit für die Band, ein neues Kapitel aufzuschlagen. "War Eternal" erinnert mich ein bisschen an "Wages Of Sin": Es ist sehr scharfkantig, erfrischend, aufregend und hoffentlich interessant.

Du sagtest mal, "Wages Of Sin" wäre dein erstes Metalalbum gewesen. Hat es dich für "War Eternal" besonders inspiriert?

Es hat mich generell als Musikerin geformt, aber während der Arbeit an "War Eternal" habe ich eigentlich kein spezielles Augenmerk darauf geworfen.

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