22. Februar 2011

"Berlin bietet bessere Möglichkeiten"

Interview geführt von

Erfolge fallen nicht vom Himmel, Zähigkeit und Ausdauer gehören ebenfalls dazu. Und natürlich Talent. "Die Mathematik Der Anna Depenbusch" hat davon eine Menge vorzuweisen. Im Gespräch mit laut.de reflektiert die Hamburgerin ihren Werdegang fernab von Reißbrett-Planung.Bei unserem Interview-Termin präsentiert sich Anna Depenbusch im Vorfeld flexibel und unkompliziert. Meiner Idee, das Gespräch nicht in den Büroräumen ihrer Plattenfirma 105 Music zu führen, sondern vielleicht lieber im Rahmen eines gemeinsamen Essens, stimmt sie gern zu. Es sind nur wenige Schritte bis in die "Glasperle", einem kleinen Restaurant in der Hamburger Altstadt.

Während wir uns aus der Mittagskarte ein Gericht auswählen, serviert die Kellnerin Getränke. Noch immer ist es bitterkalt in diesem späten Hamburger Februar. Wir geben unsere Bestellung auf, und starten das Interview.

Deine Liebe zur Musik erwachte, wie zu lesen ist, in der Schul-Big-Band. Was war da das Besondere, und wie hat es deinen Werdegang beeinflusst?

Wir hatten einen Lehrer, der Jazz-Musiker war. Der hat eigentlich alle infiziert, und viele separate Projekte initiiert. Im Umfeld der Schule wurde also viel Jazz gemacht, und bin so ich natürlich auch dazu gekommen - und drangeblieben. Ich habe gleich direkt nach der Schule mein Geld mit Musik verdient, hatte viele Engagements, und Zusammenarbeiten mit anderen Künstlern. Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, etwas anderes zu machen. Es stellte sich nie die Frage, vielleicht einen 'normalen' Beruf zu ergreifen. Doch meine eigenen Songs, die kamen viel später. 2006 erschien dann das erste eigene Album.

Es lief also, wenn auch nur in kleinem Rahmen, gut an. Ich war ein bisschen bekannt hier - im Hamburger, im norddeutschen Raum -, was natürlich auch mit dem Produzenten Michy Reincke zusammenhing. "Ins Gesicht" kam auf seinem Label raus, ein sehr stilles, introvertiertes Album. Das neue knüpft schon daran an. Da gibt ja auch diese ruhigen, nachdenklichen Sachen, aber es ist dennoch ganz anders - und: das passt schon alles gut zusammen, das mit dem von früher und heute.

Damals hast du viele Nebenjobs gehabt, darunter einen kleinen Auslieferungslaster gefahren. Das wirkt sehr konträr zum späteren 'Star-Dasein'.

Oh, da war eine Menge mehr als nur das! Ich war Kartenabreißerin im Theater, arbeitete in einer Boutique mit dem Namen "Bitch" - die mit sehr exklusiven Klamotten handelte. Da hatte z. B. Nena eingekauft, die Scorpions kamen und und und. Es waren schon sehr extrovertierte Verkaufsstücke da im Laden, eben passend für die Bühne. Dann habe ich als Synchronsprecherin gearbeitet, z. B. Baywatch-Folgen synchronisiert ...

... aber nicht Pamela Anderson ...

... nein, nein, eher mal eine Yoga-Lehrerin, oder ein Opfer am Strand. Was halt so kommt in den Nebenrollen!

Bei deinem Job im Kleiderladen: Wie ist denn Nena eigentlich so als Kundin? Nervig oder ..

(Lacht) Da möchte ich eigentlich nichts zu sagen. Sie ist ... nun, schon sehr bestimmt! Insgesamt war die Zeit sehr aufregend, eben deswegen, wer da so alles kam. Es war ein witziger Laden. Sehr klein, und sehr exklusiv.

Wie kam der Kontakt zu 105 Music (Stefan Gwildis, Ina Müller, Annett Louisan, Ruben Cossani) zustande, wo jetzt dein Album veröffentlicht wurde?

Nach der ersten CD habe ich mit Michy gesprochen und gefragt, wie es nun eigentlich weitergehen kann oder soll. Kann ich hier überhaupt noch ein Album machen? Da stand natürlich die Frage der Finanzierung im Raum. Ich hab' auch weiter Songs aufgenommen, Demos erstellt, und Michy mal gefragt: "Sag mal, glaubst du, ich kann damit bei 105 vorsprechen? Wär' das o.k. für dich?", und er meinte: "Also, wenn die dich nehmen, dann hast du natürlich meinen Segen!" Dann habe ich mir einen Termin geholt, dort vorgesprochen. Und es hat geklappt!

So einfach ging das?

Sie haben es schon ein bisschen abgeklopft vorher. Wollten ein paar neue Songs hören, und eine Vorproduktion. Aber es ging eigentlich wirklich sehr schnell.

"Wo krieg ich nur Geld für ein Orchester her?"

Im den Begleittexten ist von einer rund zweijährigen Vorlauf/Vorarbeitszeit für die Songs auf dem Album zu lesen. Du hast also das O.K. erhalten, und dann zwei Jahre Zeit zum Songschreiben bekommen? Ohne Druck und alledem?

Einige Titel hatte ich schon erarbeitet, da bestand der Kontakt zu 105 noch nicht. Die reine Arbeitszeit für das schlussendliche, komplett veröffentlichte Album nach dem ersten Treffen nahm rund ein Jahr in Anspruch. Es gab auch die Idee, das Ganze anderweitig, von anderen Produzenten produzieren zu lassen. Wir haben uns dafür auch getroffen, aber irgendwie war ich mit einer solchen Vorgehensweise nicht zufrieden. Denn ich hatte meine eigene Vision davon, wie ich es haben wollte, und musste das 105 nun auch irgendwie beibringen. Und sie sagten dann am Ende nur: "Dann mach es so, wie du es willst!"

Alles in Eigenarbeit - bist du nie auf den Gedanken gekommen, auf Haustexter Frank Ramond, der ja unter anderem Annett Louisan und Ina Müller betreut, zurückzugreifen?

Nein. Er ist grandios, da kann man nur seinen Hut vor ziehen. Aber ich habe einfach einen ganz anderen Stil als er.

Unser Essen wird gereicht. "Hey, das sieht gut aus!" freut sich Anna über einen sehr appetitlich zubereiteten und reichlich ausgestatteten Gemüse-Reis-Teller. Mein Gyros-Geschnetzeltes macht einen ebenfalls verheißungsvollen Eindruck, und wir lassen es uns schmecken.

Du hast dir selbst das Klavierspiel beigebracht. Das ist für mich immer ein so hohes Ding, wie kann man sich das vorstellen?

Man muss einfach Zeit investieren. Die meisten Leute haben einfach nicht soviel Lust für soetwas, also, dafür richtig Zeit hineinzustecken. Ich finde, man kann jedes Intrument - egal, wie alt man ist - irgendwie erlernen. Ich habe mich dem Instrument immer verbunden gefühlt, ich liebe es auch - wirklich. Das gehört einfach dazu für mich.

Als der Wunsch aufkam, selbst Klavierspielen zu können, habe ich gemerkt: ich brauche dafür zum Üben einen Ort, an dem wirklich kein Mensch ist, wo ich für mich alleine bin, wo ein schönes Instrument steht, wo mich keiner ablenkt, wo ich von morgens bis Abends einfach in Ruhe üben kann. Das Schloss Salzau am Setenter See in Schleswig-Holstein war dafür einfach perfekt. Ich habe mich dort vorgestellt - ich kannte das Schloß bereits; und erhielt die Erlaubnis dafür. Es ist der beste Ort zum Üben und Spielen am Klavier! Obwohl nicht geplant, sind dann einige Songs dort entstanden, etwa der "Astronaut". Doch den Großteil schrieb ich hier in Hamburg, in den Hafenklang Studios.

Es gibt Stücke, die ein ganz variables Tempo haben und in denen Klavier und Gesang immer gleichzeitig arbeiten. So ist das auch beim "Astronaut". Ich wollte das eigentlich selbst aufnehmen - ohne Tontechniker, eben als ganz intimen Song. Ich hatte ein komplettes Set-Up dabei. Zwei Mikrofone waren im Klavier installiert, eines draußen, ganz nah bei mir. Es gibt in dem Lied Stellen, wo ich den Kopf nach hinten nehme, und der Gesang mehr über die Mikrofone im Klavier kommt. Das ergibt einfach einen spacigen Sound. Ich mag es sehr, dass die Aufnahmen von Klavier und Gesang dabei beim Hören nicht so einfach trennbar sind, was das Ergebnis angeht.

Wann wurde die Idee geboren, einige Lieder auch mit großem Orchester einzuspielen?

Als klar war, dass ich das Album produziere, habe ich mich hingesetzt und versucht, jedem Song sein wirklich eigenes Kostüm zu geben, seinen eigenen Stil. Dann fiel mir auf: eigentlich brauchst du dafür auch mal ein Orchester. Dann bin ich also wieder hingegangen und habe nachgefragt, ob das eigentlich mit drin ist im Budget. Doch es sah nicht danach aus. Es war also rasch klar, dass es nicht finanzierbar ist. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht, nachgedacht: "Wo krieg' ich das Geld dafür her?" Schließlich habe ich Fördergelder zugesprochen bekommen. Es gibt in Berlin eine Stiftung, die nennt sich Initiative Musik und fördert Populärmusik-Projekte. Es ist eine ganze Menge Arbeit, da so einen Förder-Antrag zu stellen! Dann habe ich eine Kalkulation aufgestellt, eine Erläuterung, was ich machen möchte, und mit wem - und sie haben es schließlich genehmigt!

Warum Unterstützung aus Berlin, und nicht hier aus Hamburg?

In Hamburg habe ich einen Antrag auf Kulturstiftung gestellt, da hätten wir auch eine Kleinigkeit bekommen. Aber ich wusste, dass es in Berlin andere, bessere Möglichkeiten gibt, da habe ich eben ein bisschen gepokert. (schmunzelt)

"Ina Müller ist schon 'ne laute Frau"

Ich kann mir vorstellen, dass es mit einem polnischen Orchester sicher nicht ohne Sprachschwierigkeiten ablief.

Das war gar nicht so schlimm. Ich habe mich im Vorlauf natürlich erkundigt, mit welchem Orchester ich das machen könnte. Und da tauchte immer wieder von Kollegen, die z. B. Filmmusik machen, der Name Wroclaw Score Orchestra auf, das wären ganz großartige Musiker. Es wird dirigiert von einem Berliner Dirigenten, Joris Bartsch Buhle, der das Ganze später auch kommunizierte. Wir waren drei Tage in Breslau, haben die Parts in einem alten Sendesaal aufgenommen. Ich saß im Regieraum, gab Anweisungen durch, die der Dirigent dann ans Orchester weiterleitete, das war schon sehr ungewöhnlich für mich ... und vor allem ganz toll!

Ich persönlich mag beim Album diesen Gegensatz sehr gern, dass es da neben den großen Arrangements auch viele kleinen Momente gibt, also nur das Klavier und ich. Es passiert schon eine Menge, da sollte man sich beim Zuhören auch gern etwas Zeit zum Entdecken nehmen. Denn das ist das, was oft fehlt, gerade, wenn es um Promotion geht: dass die Leute ganz schnell einen ersten Eindruck haben wollen, und sich eigentlich gar nicht so richtig die Zeit nehmen, erst einmal komplett in das Ganze einzutauchen. Da bin ich absolut bei der richtigen Plattenfirma gelandet, weil es dort genauso gesehen wird. Dass eben Wert darauf gelegt wird, richtig hereinzuhören, richtig zuzuhören. Es ist natürlich auch immer ein Risiko, so eine Art Stilmix anzubieten, wie er nun vorliegt.

Wieviel Autobiographisches steckt denn tatsächlich in deinen Texten?

Ganz viel! Das sind die Themen, die mich beschäftigen; Geschichten, die mir begegnet sind; oder die ich beobachte. Für die suche ich natürlich eine Form, die über eine bloße Inspiration hinausgehen. Mit Ausnahmen natürlich: ich war nicht in diesem Kasino mit Madame Clicqout, habe diese Frau so natürlich nie getroffen. "Wenn Du Nach Hause Kommst" handelt von einer Frau, die davon überzeugt ist, dass ihr jeder Fehler verziehen wird, das spielt sicher eine persönlichere Rolle.

Sind wir Männer tatsächlich alles so schrecklich abgehobene Astronauten, die das eigentlich wirklich Wahre und Schöne gar nicht mehr sehen?

Der "Astronaut" handelt - im Nachhinein - viel mehr von mir selbst, als mir vorher klar war. Den habe ich ja damals im Schloss geschrieben, im Winter. Alles war weiß draußen, und ich war komplett allein. Ich hatte Wochen mit niemandem gesprochen, saß am Klavier und arbeitete an diesem Song, und war dann richtiggehend erschreckt darüber, dass er eigentlich mehr von mir handelte, als ich dachte. Ich glaube, dieses Astronaut-Sein ist so ein Teil, den wohl jeder mehr oder weniger in sich trägt. Oder nehmen wir "Kommando Untergang": das ist in der Ausführung ein großer Balance-Akt. Einerseits viele melancholische Momente, trotzdem immer irgendwie hoffnungsvoll. Ich bin halt Optimistin! Immer. Auch bei allem, was schwierig oder auch traurig ist.

Gleich im Alben-Opener "Tim Liebt Tina" hast du das böse F-Wort eingebaut, das klang für mich irgendwie irritierend ...

Nun, einige Radio-Sender haben es dennoch schon gespielt. Es ist doch eigentlich so harmlos! Und so zart gesungen. (lächelt)

Zu irgendeinem Netz-Beitrag über deine Musik meinte ein User-Kommentar: "Ist Annett Louisan inzwischen dunkelhaarig?". Was sie ja ohnehin seit rund zwei Jahren ist, aber der zielte sicher auf etwas anderes hinaus.

Ach, da hat jemand wohl einfach nicht richtig hingehört. Wir beide haben ganz unterschiedliche Stimmen, und ich komme handwerklich auch aus einer ganz anderen Ecke. Da hat vielleicht jemand nur aufs Label geguckt, und das alles für eins genommen.

Wenn man nach vielen Mühen so praktisch aus dem Nichts kommt, und - auch von Seiten der Kritiker - auf einmal freundliche Aufnahme erfährt, wie erlebt, oder erfühlt man das?

Es gibt so viel Positives. Z. B. die ersten Einträge im Gästebuch, wenn bei Facebook Leute was schreiben. Was mich total freut, ist, dass die Leute das alles wirklich begleiten. Ich freue mich natürlich auch über die positive Kritik der Presse. Denn die ist oft so unberechenbar, was das angeht. Ich hab' natürlich auch ein tolles Team um mich rum. Da sind alle überzeugt von der Musik, das springt immer wieder auf jeden Einzelnen über. Und ich freue mich auf auf die kommende Tournee. Wir werden da deutschlandweit auftreten. Und ich bin, nachdem ich praktisch nur den nordeutschen Raum in dem Zusammenhang kenne, gespannt, wie denn so das ganze Land auf uns reagiert.

Du bist bei "Inas Nacht", der Ina-Müller-Show, aufgetreten. Die ist ja nun ein ganz anderer Typ als du, mit ihrer offensiven Power. Hast du keinerlei Berührungsängste gehabt?

Sie ist schon 'ne laute Frau. (lacht) Aber auch sehr sensibel. Sie hatte sich für die Sendung "Kommando Untergang" gewünscht. "Ich hab' dein Album, hab' es gehört, und DEN Titel, den möchte ich in meiner Sendung!" erklärte sie mir, und dass sie ihn besonders mag. Während der Show sang sie dann die zweite Stimme, und hat das ganz, ganz feinfühlig gemacht.

Welche Künstler nennst du eigentlich als persönliche Favoriten?

In meinen musikalischen Phasen unterscheide ich mich manchmal schon extrem. Rufus Wainwright ist ein Favorit, oder Edith Piaf. Ich mag es, wenn musikalische Sachen dramatisch werden, das ist gerade bei Edith so wunderbar: eben einfach mal die Stimme so richtig auszupacken. Oder Gisbert zu Knyphausen. Immer eine tolle Sache, wenn Leute ihr eigenes Ding machen, ihre eigenen Songs und Texte schreiben. Eben so eine eigene Art, eigene Sprache besitzen. Ich finde es schön, Musik machen zu können, die nicht an einen Trend gebunden ist. Die man auch in späteren Jahren noch hören mag.

Wir haben zu Ende gegessen, auf Anna wartet noch ein Foto-Termin in den Räumen der Plattenfirma. Zurück im norddeutschen Winterfrost verabschieden wir uns voneinander, und Anna gibt mir eindringlich auf den Weg: "Vergiss nicht, zum Konzert im Frühjahr zu kommen!"

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