27. Juli 2017

"Dalí war unser Held, bevor die Beatles kamen"

Interview geführt von

"Paranormal" heißt Alice Coopers neues Studioalbum. Metaphysik klammert der passionierte Golfer aus der Bedeutung des Wortes aus, viel mehr handele es sich hierbei um Sachen, die einfach jenseits der gängigen Definition des Begriffs "Normalität" stehen, erzählt er. Das passt auch bestens zur Biographie des Schockrock-Veteranen. Diese liest sich nämlich wie ein einziger unglaublicher überzogener Mythos.

Frank Zappa als Förderer, Salvador Dalí als Bekanntschaft, der ihm mehrere Werke widmet, John Lennon, Harry Nilsson und Keith Moon als fixe Trinkergruppe, (Cooper entkommt dem Suff rechtzeitig – im Gegensatz zu vielen seiner Freunde). Die Trinkergruppe, "Hollywood Vampires" genannt, erlebt 2015 namentlich ein Revival. Da gründet Cooper gemeinsam mit ein paar Freunden eine Cover-Band und spielt einen Tribute an die "toten Trinkerfreunde". Mit dabei: Johnny Depp, Duff McKagan, Joe Perry – auch Kaliber wie Paul McCartney oder Dave Grohl schauen im Studio vorbei.

Weil es nach dem Vampires-Run Zeit für eine neue Alice-Platte wurde, ging Vincent Fournier, so Cooper mit bürgerlichem Namen, mit seinem Produzenten Bob Ezrin ins Studio. "Paranormal" entstand mit Hilfe von Freunden und Bekannten – darunter unter anderem U2-Drummer Larry Mullen Jr., der die gesamte Platte einspielte. Für drei Tracks reformierte sich auch die originale Alice-Cooper-Band. Wir trafen Alice Cooper zum Gespräch in Berlin.

Alice, du warst in letzter Zeit ja nicht nur als Solokünstler, sondern auch mit einem Album der Hollywood Vampires samt Tour gut ausgelastet. Wann fandst du die Zeit und Inspiration, das neue Album "Paranormal" zu schreiben?

Ich habe mit Johnny (Depp, Anm.) ja im Film "Dark Shadows“ gemeinsam gespielt. Ich wusste, dass er ein guter Gitarrist ist. Eines Nachts kam er und jammte mit uns. Wow, der Typ kann spielen!. Wir begannen, über die alten Hollywood Vampires zu reden, das war meine Trink-Gemeinschaft. John Lennon, Harry Nilsson, Keith Moon und ich, wir haben jede Nacht so lange gesoffen, bis wir nicht mehr stehen konnten. Wir dachten, es wäre eine tolle Idee, eine Band auf die Beine zu stellen, die all unsere toten Trinkerfreunde ehrt (lacht). Die hätten darüber gelacht, so komisch das klingt. Bevor ich mich umsehen konnte, hatten wir eine Band, ein Album, eine Tour. Anderthalb Jahre, zwei Jahre dauerte dieser Prozess. Und als diese Zeit um war, meinte ich, es wäre an der Zeit für ein neues Album. Bob Ezrin sagte: "Ja, lass uns das doch machen!'" Aber ich wollte kein Konzeptalbum machen. Jeder erwartet sich das von mir, und mir fiel zudem nichts ein, was ich konzeptuell hätte schreiben können. Also sagte ich, lasst uns doch einfach ein Album mit fünfzehn großartigen Rocksongs aufnehmen. Umgeben wir uns mit grandiosen Musikern, nehmen wir tolle Stücke auf. Das haben wir gemacht. Ich sitze da, höre es mir an – und bemerke plötzlich: Wir haben ein Konzept. Ich habe unbeabsichtigt ein Konzeptalbum gemacht (lacht).

Jeder Charakter hat ein paranormales Problem, eine Anomalität in der Situation des Songs oder in seinem Hirn. Das Wort "Paranormal" deckt das ab. Ich denke dabei nicht an UFOs oder Geister. Die Bedeutung des Wortes ist eben "anders als normal". Mein ganzes Leben war anders als normal. Es passt auch toll zu diesem Album. Alles, was wir auf diesem Album gemacht haben, war paranormal. Larry Mullen Jr. dabei zu haben, das war alles andere als normal. Er brachte eine ganz andere Spielart. Andere spielen Hi-hat/Snare, er aber denkt in Hi-hat/Tom-Tom. Das ändert alles. Der ganze Song wird anders. Es ist immer noch gitarrenorientiert, immer noch ein Rocksong. Aber statt der Snare hörst du etwas anderes am Boden des Songs. Das war eine tolle Sache, ihn dabei zu haben. Er hat noch nie auf den Alben anderer Leute gespielt. Larry fragte, auf welchem Song er spielen solle. Ich antwortete ihm: "Spiel doch am ganzen Album!". "Echt?" "Ja, warum nicht, spiel doch das ganze Album". Es war toll. Er war der erste Drummer, der je meine Lyrics haben wollte. "Wofür brauchst du die Texte?" "Damit ich sie am Schlagzeug interpretieren kann.". Das macht Larry, er interpretiert die Texte auf den Drums. Das ist schon paranormal!

Woher kennst du Mullen Jr.?

Über Bob Ezrin. Der kennt ihn gut und sprach mit ihm darüber. Larry war interessiert, sagte aber: "Ich hab noch nie auf den Alben anderer gespielt, immer nur bei U2". Bob meinte, wir sollen das tun – für alle von uns. Es klappte perfekt. Ich wusste, dass er ein toller Schlagzeuger ist. Er spielt einzigartig. Bei anderen war es eine offensichtliche Wahl, sie dabei zu haben: Billy Gibbons auf "I've Fallen In Love And I Can't Get Up", das ist ein purer Texas-Roadhouse-Rock'n'Roll-Song. Als wir den Song fertig hatten, blickten Bob und ich uns an und sagten nur: "Billy Gibbons!" Billy hörte den Song und meinte nur: "Ja, das bin ich." Er brauchte nur einen Take. Aber auch, die originale Alice-Cooper-Band dabei zu haben, war bemerkenswert. Ich habe sie angerufen und gesagt, dass ich mit ihnen live im Studio aufnehmen möchte, sogar den Gesang. Ich wollte sehen, ob wir die Magie der 1970er noch mal einfangen könnten, das gelang uns auch. Sie spielen einfach immer noch genau auf diese Art. Wenn man die Songs mit ihnen hört, merkt man sofort, dass sie nicht wie die andere Band klingen. Es ist total anders, und es wurde toll.

"Johnny Depp, Joe Perry, Duff McKagan - alles Alpha-Tiere!"

Wie war es, mit deiner Originalband nach so langer Zeit wieder zu arbeiten?

Es war, als wären die 35 Jahre nie vergangen. Es war alles sehr direkt, wir haben ja lange zusammengearbeitet. Was damals mit der Originalband passierte: Wir sind zusammen in die Highschool gegangen, aufs College, wir haben zusammen gehungert, haben es zusammen nach oben geschafft, sind zusammen reich geworden. Wir haben fünf Platin-Alben gemacht und irgendwann ging uns einfach der kreative Treibstoff aus. Wir haben uns nicht scheiden lassen, sondern sind einfach nur getrennte Wege gegangen. Wir blieben immer in Kontakt, keine Gerichtsverfahren, keine Wut, keiner war auf den anderen sauer. Dennis [Dunaway] macht gerade ein eigenes Album und rief mich an, um zu fragen, ob ich nicht eine Gesangsspur einsingen kann. Klar! Wir waren immer miteinander verbunden. Dennis ist einer der besten Bassisten überhaupt. Neil [Smith] spielt wie Keith Moon. Mike [Bruce] hat seinen eigenen Style, kein Leadplayer, sondern einfach ein toller Rhythmusgitarrist. Ich merkte gleich: Das ist stark. Manche Leute glauben, wenn man sich trennt, redet man nie wieder miteinander. Bei uns trifft das Gegenteil zu: Wir blieben stets Freunde. Es war kein Problem, sie aufs Album zu kriegen.

Bei Alice Cooper als Solokünstler hat ja jeder genaue Vorstellungen von deiner Bühnenshow, deiner Person, dem ganzen Drumherum. Waren die Hollywood Vampires eine Art Urlaub für dich?

Genau so war es! Als ich mich mit den Vampires zusammentat, fühlte es sich an, als wäre ich in einer Bar-Band, in einer Coverband. Johnny Depp hier, Joe Perry dort, Duff McKagan da: Man würde glauben, mit so vielen Alpha-Tieren würde es zu Konflikten kommen. Es gab keinen einzigen. Keiner wollte der Anführer sein, jeder fragte "Hey, was willst du machen?". Ich sehe die Vampires als teuerste Bar-Band der Welt. Wir zollen unseren "dead drunk friends" Tribut, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Leuten, mit denen wir tranken. Schau mal die Songs, die wir spielen können: Bowie, T.Rex, The Doors ... das machte soviel Spaß. Und dann kommen plötzlich all diese Leute dazu: Dave Grohl, Brian Johnson, Paul McCartney, Joe Walsh. So viele Leute wollten auf dem Album mitmachen, es war toll. Auch die Tour machte großen Spaß.

Urlaub war es mich aber aus einem bestimmen Grund: Dieser Alice redet niemals mit dem Publikum. Kein "Hallo, wie geht's euch heute Abend?". Alice schaut nur grimmig ins Publikum und ist der Bösewicht. Er zeigt dem Publikum bis zum Ende der Show nicht einmal, dass er es bemerkt. Bei den Vampires erzähle ich zwischen den Songs Geschichten über John Lennon und The Doors, leite zum nächsten Stück über. Zur Abwechslung konnte ich mal mit dem Publikum reden – und die Leute schienen überrascht zu sein. Aber zum ersten Mal war ich nicht Alice. Als Alice hätte ich niemals mit ihnen geredet. Aber diesmal war das ich, nicht er. Und wenn wir das nächste Mal rausgehen um zu spielen, wird es genau so sein und wieder genau so viel Spaß machen.

"Mit Salvador Dalí zu arbeiten, war phänomenal"

Zum Thema "nicht normal" fällt mir eure Verbindung zu Frank Zappa ein. Der meinte damals zu euch: "Ich verstehe nicht, was ihr da macht. Deshalb nehme ich euch unter Vertrag".

(Lacht). Das war eines der großen Komplimente, die ich in meinem Leben bekommen habe. Frank Zappa, der sich die Songs von "Pretties For You" anhörte. Die Songs waren zwei Minuten lang und hatten 35 Wechsel drinnen. Frank meinte: "Was ist das?" "Nun, das ist eben die Art, wie wir schreiben". Er verstand es nicht. Er fragte uns, woher wir kommen. "Phoenix, Arizona", haben wir gesagt. Er meinte: "Jetzt verstehe ich es noch weniger. Wenn ihr aus San Francisco kommen würdet, New York, London ... das würde ich verstehen. Aber Arizona? Was ist denn bitte dort im Grundwasser, dass ihr so etwas schreibt?". "Das ist bemerkenswert", sagte Frank, "ihr habt acht solcher Stücke. Und ihr könnt sie sogar noch perfekt live spielen". "Nun", antwortete ich, "Das ist eben die Art, wie wir spielen. Das ist unser Stil." Als wir zusammen das Album aufnahmen, meinte Frank: "Ich möchte nichts davon produzieren. Ich möchte, dass ihr da reingeht und diese Stücke live spielt. Weil sowieso niemand glauben wird, dass ihr das live spielen könnt" (lacht). Das haben wir getan, haben das Album in drei Tagen eingespielt. Frank wusste auch nicht, dass wir uns sehr ernsthaft mit Led Zeppelin messen wollten. Wir wollten uns mit all diesen Bands messen – aber dieser Sound entstand erst, als Bob Ezrin daher kam. Davor spielen wir Psychedelic, aber als Bob Ezrin kam, nahm er das Chaos und brachte es in Form. Er sagte: "Warum weiß man bei The Doors gleich, dass es sich um The Doors handelt? Oder bei den Rolling Stones? Wenn die Leute euch hören, wissen sie nicht, wer das ist. Das könnte jede andere Band sein. Ich werde euch einen Signature Sound geben, einen Sound, den nur ihr habt." Daran haben wir sechs, sieben Monate lang gearbeitet. Dann kam "Love You To Death" raus, und es klang wie Alice Cooper. Das gab uns Bob: einen Sound, eine Identität. Wir hatten eine visuelle Identität, aber keine musikalische. Ich sehe Bob als meinen George Martin. Ich habe zwölf, dreizehn Alben mit ihm aufgenommen. Wann immer ich die Chance bekomme, ein Album aufzunehmen, bringe ich Bob ins Spiel. Er hat auch das Vampires-Album gemacht.

In deiner Arbeit spielt der Surrealismus eine große Rolle. Nicht nur deine Verbindung zu Zappa, der ja auch dem Surrealen zugeneigt war, bezeugt das – du warst ja auch ein Bekannter von Salvador Dalí, hast mit ihm gearbeitet. Woher kam diese Liebe zum Surrealismus?

Vier der Jungs in der Band haben Kunst studiert. Wen haben wir studiert: Salvador Dalí. Er war unser Held, bevor die Beatles kamen, bevor Dylan kam. Er hatte großen Einfluss auf uns, er ging in unser Blut über. Ich wusste nicht, wann das ausbrechen würde, aber ich wusste, irgendwann würde es das tun. Rock'n'Roll ist so eine visuelle Musik, wir wunderten uns damals, warum das keiner in seine Arbeit einbezieht. Warum macht keiner Visuals? Hinter jeder Band ist eine leere Fläche, das müssen wir zum Leben bringen, haben wir uns gesagt. Wir benutzten Krücken als visuelles Element, etwas, das auch bei Dalí oft vorkam. Als Salvador Dalí die Show sah, sagte er nur: "Das ist Surrealismus". Wir antworteten: "Ja, das kann man so stehen lassen. Du warst auch ein großer Einfluss für uns!". Als Groucho Marx die Show sah, sagte er: "Das ist Vaudeville". So sah er das, als Vaudeville. Jeder dieser Riesen sah, was er sehen wollte – das war schon interessant. Als ich dann mit Dalí arbeiten durfte war das phänomenal. Er rief mich an und meinte: "Ich mache jetzt das erste bewegte Hologramm". Keiner wusste damals, was ein Hologram ist. "Was ist das, ein Hologramm?", fragte ich. "Du wirst in der Mitte sein, mit all diesen Diamanten, einem Venus-de-Milo-Mikrophon, wo du deine Hand durchstecken kannst". Ein Hologramm war das eine, aber eines, das sich bewegt – das bis dahin ungesehen. Ich habe eine Woche mit ihm gearbeitet. Er sprach ein Wort auf Italienisch, ein Wort auf Englisch, ein Wort auf Französisch. Ich habe nie verstanden, was er sagte. Irgendwann hatten wir eine Pressekonferenz. Ich wurde gefragt, wie es war, mit Dalí zu arbeiten. Ich meinte: "Keine Ahnung, ich habe nie ein einziges Wort verstanden!". Daraufhin steht Dalí auf und ruft: "Perfekt! Die größte Form der Kommunikation ist Verwirrung!". Ich war baff, fragte ihn: "Du sprichst Englisch". Er meinte nur: "Natürlich". Eine Woche sprach er in einer unverständlichen Sprache, plötzlich kann er Englisch! (lacht) Er war so bizarr. Mal ehrlich, ich habe wirklich alle getroffen, aber niemand war so bizarr wie Dalí. Er war aber lustig. Es war surreal. Ein großartiges Erlebnis, Teil eines seiner Kunstprojekte zu sein. Für mich hätte es nicht besser kommen können. Das war so, als würde man ein Album mit Frank Sinatra aufnehmen. Oder mit den Beatles zu singen. Größer als Dalí – das geht nicht.

Eine letzte Frage: Wie viele Leute fallen vor dir auf die Knie, wenn sie dich zufällig treffen, und winseln "Wir sind unwürdig?"

Du meinst am Tag? Ich würde sagen, das passiert viermal täglich. Das wird mir für immer anhängen. Mike Myers meinte zu mir, er hätte mir auch etwas viel Schlimmeres geben können, das mir für immer anhaftet. Wenn ich am Flughafen bin, passiert das dauernd. Geschäftsleute fallen vor mir auf die Knie und sagen "I'm not worthy, I'm not worthy". Ich versuche dann so zu tun, als ob es das erste Mal wäre, dass das jemand tut. "Oh, wie clever! Jetzt versteh ich es – Wayne's World". In Wirklichkeit denkt man sich: "Schon wieder?"

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